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Pierre Bastien, Dr. Truna

»Electric Totems«

áMARXE Records

Im Verlauf der Evolution haben sich unsere Gehirne so konstituiert, dass sie Vertrautes bevorzugen. Wenn wir etwas zu kennen glauben (und das Bekannte ist nicht gerade mit Schrecklichem konnotiert), beschleicht uns ein Wohlgefühl. Es ist also kein Wunder, dass frei improvisierte Musik, so sie nicht gerade mit Zitaten gespickt ist, vielen nicht auf Anhieb zu gefallen weiß. Ebenso wenig verwunderlich ist, dass dem Rezensenten beim aufmerksamen Abhören Vergleiche in den Sinn kommen. Etwa die Salve aus einer Maschinenpistole, ein Formel-1-Rennen aus dem Cockpit gefilmt, Polizeisirenen, ein Hühnerstall und so fort. Derartigen Assoziationen zu viel Raum zu gewähren, wäre eine zu oberflächliche Annäherung an die auf dem am 4. Oktober 2024 erschienenen Album »Electric Totems« versammelten Nummern; sie taugen jedoch, um über Musik Lesenden eine Ahnung von diesem seltsamen Klanggebilde zu vermitteln. Dieses bietet nämlich eine Geräuschkulisse samt darin stattfindendem, absurden Theater. Die beiden Dramatiker (= Musikanten) nennen freimütig surrealistische Techniken, die ihnen beim Komponieren geholfen haben. Folgerichtig werden jene vier Songs, die den Kern des Albums bilden, »Cadáver exquisito 1–4« geheißen; in Anlehnung an das literarische Spiel mit gefaltetem Papier. Umrahmt werden die vier Musikstücke von »Tótem 1« bzw. »Tótem 2«. Pierre Bastien und Dr. Truna haben nämlich »in der sengenden Hitze eines Valencianischen August« je einen elektrischen Totempfahl gebaut. Dr. Trunas nahm die Form eines röhrenden Bullen an, Bastiens war mit Gebläsen ausgestattet, »für den Moment errichtet und dann demontiert. Man kann die Hitze des Dschungels in den Eröffnungs- und Schlussstücken spüren, die wir zunächst auf unseren Totems, der Globotarra und einigen anderen selbst erfundenen Instrumenten improvisierten«. In einer zweiten Session spielte Dr. Truna Cello und Bastien Trompete, »um wieder als strenges Duo zu improvisieren«, ohne dabei die Aufnahme von Session eins abzuhören. Dann wurden die beiden »Bänder« collagiert, wobei der Zufall nicht die kleinste Rolle gespielt hat. Eine neuerliche Anwendung surrealistischer Verfahrensweisen. Zum guten Schluss: Den eingangs erwähnten Gedanken bestätigt die Hörerfahrung des Rezensenten: Selbst bei einer so massiv von Lärm und Zufällen getragenen Produktion hilft das wiederholte Hören dabei, Musik, die zu wesentlichen Teilen aus Geräuschen besteht, »schön« zu finden. »Aufregend« fand ich sie schon beim ersten Abhören.

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