Pauline Oliveros und ich haben uns während meiner Studienzeit kennengelernt. Pauline trat damals im Rahmen des Avantgardemusikfestivals »Töne und Gegentöne« der Wiener Festwochen gemeinsam mit Sonic Youth auf. Das fand ich schon sehr spannend, weil da so unterschiedliche musikalische Welten aufeinandergetroffen sind, die aber an diesem Abend unglaublich gut miteinander funktioniert haben. Sie saß da auf der Bühne mit ihrem Akkordeon und hat ganz ruhige, meditative Musik gespielt. Ich war fasziniert von diesem Konzert und schickte der US-amerikanischen Künstlerin eine Kassette mit meiner eigenen Musik. Damit gerechnet, dass Oliveros darauf antworten würde, habe ich nicht. Doch ich erhielt eine positive Rückmeldung. Sie schrieb, meine Musik gefiele ihr sehr, und äußerte sogar den Wunsch, in Kontakt zu bleiben und irgendwann etwas gemeinsam zu machen. Das war der Beginn unserer langjährigen Freundschaft und mehrerer Zusammenarbeiten.
Wir haben sie erstmals zum Projekt »Mondecho« bei den Salzburger Festspielen/Zeitfluss 1997 und im Klangturm St. Pölten 1999 eingeladen. »Mondecho« beruht auf einer Idee und dem Konzept von Pauline Oliveros. Klänge von der Erde, die mit Hilfe von Amateurfunkern in elektronische Signale umgewandelt wurden, wurden Richtung Mond gesendet und von dessen Oberfläche reflektiert, und dieses Echo wurde mit 3,6 Sekunden Verzögerung wieder auf der Erde empfangen. Dort haben wir MusikerInnen wiederum mit diesen Sounds improvisiert. Für mich ist »Mondecho« exemplarisch für Oliveros’ Neugier, ihren Innovations- bzw. Pioniergeist und ihre Experimentierfreudigkeit. Außerdem ist es das von ihr entwickelte Konzept »Deep Listening« par excellence – dieses gewissermaßen in die Unendlichkeit »hineinhören«.
Deep Listening war für Pauline Oliveros, die auch die Deep Listening Band, gemeinsam mit Stuart Dempster und Panaiotis, sowie das Deep Listening Institute gegründet hat, eine Lebensphilosophie. Deep Listening bedeutet, achtsam auf alles Hörbare zu hören, egal womit man gerade beschäftigt ist. Solch intensives Zuhören umfasst die Geräusche des Alltags, der Natur, die eigenen Gedanken, genauso wie musikalische Klänge. Deep Listening war die Art, wie Pauline, von buddhistischen Lehren beeinflusst, ihr Leben geführt hat, in Achtsamkeit und Respekt gegenüber allem Seienden. Deep Listening geht also über das Hören hinaus. Es geht um das bewusste Wahrnehmen, Im-Moment-Sein und vor allem auch nicht zu werten. Für Oliveros waren alle Klänge schön, egal ob es Vogelgesang, Musik oder eine Maschine auf einer Baustelle war. Äußerst wichtig ist dabei auch der Raum, in dem etwas stattfindet und in den achtsam und zugleich wertfrei hineingehört wird. Eine Offenheit gegenüber allem Hörbaren, allem Seienden ist dabei wesentlich. Wenn die Wahrnehmung zu eng wird, ist man nicht verbunden mit seiner Umwelt, sagte mir Pauline.
Fragen stellen und zuhören
An »Mondecho« anschließend haben wir dann noch einige weitere, sehr feine Projekte realisiert, z. B. »Post Paradise« in Kooperation mit dem Wiener Konzerthaus/Generator, dem Café Prückel und dem ORF Ö1 Kunstradio 2003, die gemeinsame Komposition »Deine Stimme in meinem Kopf« mit Alvin Curran auf dem Album »Embodiment« (Extraplatte EX 707-2) 2007, aufgenommen im Wiener Porgy & Bess 2003, und das Netzwerkprojekt »PHONART_The lost Languages of Europe« 2011-2013. Pauline Oliveros war auch gemeinsam mit ihrer Ehefrau und Schriftstellerin Ione und der Komponistin Miya Masaoka zu Gast bei der Erstausgabe des phonofemme Festivals 2009.
Pauline hat mich bei allen Projekten vor allem gelehrt: »Beginne dein Projekt immer mit Fragenstellen. Die Antworten sind nicht wichtig. Das Fragenstellen impliziert ja auch gleichzeitig das Zuhören. Wer alle Antworten weiß, der hört ja gar nicht zu.« Als ich am 24. November 2016 von ihrem Tod erfuhr, war ich fassungslos. Ich hatte eine wunderbare Freundin, Lehrerin, Musikkollegin und vor allem den großartigen Mensch Pauline Oliveros verloren. Meine Gedanken galten insbesondere auch Paulines Lebensgefährtin Ione.
Man konnte mit ihrem plötzlichen Ableben nicht rechnen. Paulines Werk und ihr Gedankengut sind jedenfalls unsterblich. Sie hat Generationen von MusikerInnen und KomponistInnen stark beeinflusst. Sie ist nicht nur eine wesentliche Pionierin der elektronischen Musik, sondern vor allem auch eine der nach wie vor wenigen KomponistInnen, die ihre eigenständigen »weiblichen« Ideen und Entwürfe der Musikkonzeption erfolgreich entwickelt haben.
phonofemme Festival
20. bis 22. Oktober 2017, Wien
www.facebook.com/phonofemme
Bild: Mia Zabelka © Petra Cvelbar