manfred rahs
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Parenthetical Girls

Vieles an der Band führt erst einmal in die Irre. Schon allein der Name: Parenthetical Girls: Mädchen, okay, da gibt es eins, Rachael Jensen, aber der Rest? Lauter Jungs, und vor allem Gründer und Mastermind der Band: Zac Pennington, definitiv kein Mädchen. Manchmal, allerdings, steht er im Blümchenkleid auf der Bühne: gender trouble als Farce?

 

Foto: © Manfred Rahs

Auch der Titel des ersten Albums »(((GRRRLS)))« legt eine falsche Fährte, ist doch die Schreibweise der amerikanischen Riot Grrrl-Bewegung entlehnt, aber die Musik ?? Pennington antwortet auf die Frage nach möglichen Referenzen, sie hätten zwar Respekt für die musikalischen Aktivitäten der Kolleginnen, aber ein Einfluss seien sie nicht, schlie&szliglich spielen die Parenthetical Girls »keinen Indie Rock«, wie er lächelnd hinzufügt.

Some things are best left unsaid ??

Covergestaltungen, auf denen sich Pennington in ironischer Anlehnung an Tori Amos‘ »Jackie’s Strength« als Braut fotografieren lässt oder die Zeichnungen von ihm als Junge und als Mädchen auf »(((GRRRLS)))« tragen das ihrige zum gender trouble bei. Ob Pennington den schwulen Dandy tatsächlich mimt oder ironisch Geschlechter-Maskerade betreibt, bleibt jedoch ebenso unbeantwortet wie unerheblich. Oftmals sagt der Wunsch nach Zuordnung mehr über den Fragenden als über die Befragten. Eins scheint aber offensichtlich: Die Band verspürt nicht den Wunsch, sich auf Kategorien wie Queerness, Transgender et al. festzulegen. Lieber ist ihnen das Spiel mit Uneindeutigkeiten und Widersprüchen, die Irritation des Publikums in inhaltlicher wie formaler Hinsicht. Fragile Songkonstruktionen mit schneidend scharfen Beobachtungen, bluttriefende Selbstdarstellungen sowie ein drastischer Hang zum Morbiden, wie Songs über weibliche Suizide belegen. Engelsgleich werden diese Minidramen von Pennington besungen und nicht nur seine sapphonische, ins Falsett reichende Stimme, sondern auch seine Gestalt erinnert an jene überirdischen, unwirklich schönen und abgründig grausamen Erscheinungen.
para1.jpgPennington bildet auch das konstante Zentrum der 2002 gemeinsam mit Jeremy Cooper in Everett, Washington gegründeten Parenthetical Girls, die damals noch Swastika Girls hie&szligen. Seitdem sind etliche MusikerInnen hinzugekommen, andere haben die Band wieder verlassen, kollaboriert wurde u. a. mit Owen Pallett (Final Fantasy) und Owen Ashworth (Casiotone for the Painfully Alone) sowie kontinuierlicher mit Jherek Bischoff (The Dead Science) und Rachael Jensen und zuletzt mit Freddy Ruppert von Former Ghosts. Ein »nebulöser, nicht quantifizierbarer kreativer Graubereich« verschiedenster Ideen, wie sich die Band in Bezug auf ihre AutorInnenschaft selbst definiert. Ursprünglich als »low quality cassette tape« von Cooper und Pennington in deren Schlafzimmern aufgenommen, erscheint 2004 ihr erstes Album »(((GRRRLS)))«, ein von Glockenspiel durchzogenes atemloses Hauchen, mit deutlichen Referenzen an Jamie Stewart von Xiu Xiu, langjähriger Freund und Unterstützer der Band. 2006 folgt »Safe as Houses«, eine verstörende Songsammlung, die um häusliche Gewalt und innerfamiliäre Tragödien und Grausamkeiten kreist, von der es in den Kritiken hie&szlig, sie sei eine »creepily pretty presentation of female reproductive power as a kind of monstrosity«. Die Geschichten, die erzählt werden, sind nicht die eigenen, auch wenn sie so klingen. Mitunter scheint nicht einmal die Rolle des oder der ErzählerIn klar. »(((GRRRLS)))« endet mit dem Song »Love Connection«, der zwei Jahre später auf »Save As Houses« mit »Love Connection II« fortgesetzt wird. Das gleiche blutig-sexuelle Ereignis, diesmal allerdings aus einem anderen Blickwinkel. Die Frage, wer hier aus welcher Perspektive spricht, irritiert Pennington. Das könne er nicht eindeutig sagen, was wiederum zur Irritation bei Violinistin und Keyboarderin Rachael führt, für die die Sache klar scheint: »Zuerst erzählt ein Junge, dann ein Mädchen.« »Tatsächlich?«, fragt Pennington und lächelt wieder höflich.

Windmills Of Your Mind
So zurückhaltend sich die Bandmitglieder auch in den Interviews präsentieren, live wird mit den Grenzen des Möglichen experimentiert. Pennington klopft mit dem Schlagstock die Bühnengerätschaften ab, liegt minutenlang auf dem Boden und singt bewegungslos ins Mikro, wandert wenig später durchs Publikum oder verlässt das Lokal gleich ganz, um auf der Stra&szlige weiter zu singen. Beim Auftritt beim Donaufestival 2010 lie&szlig er sich mit entblö&szligtem Oberkörper auf die Bühne tragen, dem heiligen Sebastian gleich. Die dazugehörigen Stigmata haben kunstvoll drapierte Blutegel besorgt.
Gezielte Dramaturgien wie diese verleiten zu dem Schluss, die Parenthetical Girls seien so etwas wie eine »theatralische Band«, gibt Pennington zu Bedenken, wobei dies eher seiner Faszination durch theatralische MusikerInnen entspringt: »Theatralische Popmusik ist wohl das, woran ich am allermeisten interessiert bin, aber eben spezifisch Popmusik und nicht so sehr Theater.« Wenig erstaunlich, dass als Vorbilder Genesis P-Orridge oder Mark E. Smith von The Fall genannt werden, bei denen die Idee der Live-Performance im Vordergrund steht. »Tatsache ist, dass die Musiker, die ich am meisten liebe, in der Regel die langweiligsten Live-Performer sind. Bands, die live wirklich aufregend sind, haben eine unmittelbare Wirkung – das sind also nicht die Leute, die gute Popsongs schreiben oder ähnliches – sondern es sind Punkbands oder Bands, die eine Art frenetische Energie besitzen.«
»Frenetische Energie« ist das Zauberwort, aber anders als beispielsweise Jamie Stewart bleiben die Parenthetical Girls in ihren Songs distanziert, fast beiläufig. Sie sind keine Offenlegungen innerster Befindlichkeiten, kein nervöses Nach-au&szligen-Stülpen oder Auf-die-Bühne-kotzen. Dennoch wirken ihre Shows seltsam zerbrechlich oder »prekär«: »Unsere Band klang bei der Europatournee 2007 rockiger, wir bewegten uns auf einem schmalen Grat, was beängstigend war, denn die Dinge konnten sehr leicht sehr schlecht laufen.« Schlecht-Laufen im Sinne von Kollabieren, wie Rachael Jensen ergänzt, denn das ständige Wechseln der Instrumente, der Einsatz vieler alter Instrumente machten die Shows zu angreifbar.
para2.jpgEine Erfahrung der Verletzbarkeit, die sie bei ihrer zweiten Tour 2010 durch neues Line-up und neue Arrangements der Songs zu minimieren versuchten: »Wir sind als Band jetzt wesentlich gefestigter. Wir verwenden mehr Computer, worauf wir nicht wirklich stolz sind, aber es war eine Notwendigkeit. Wir versuchten die Musik etwas besonnener zu gestalten. Eine List vielleicht, sagen wir: Weniger anfechtbar dafür unmittelbarer, dem Publikum direkter zugänglich.« Eine List, die live nicht nur zum Verzicht auf umfangreiches Equipment führt, sondern auch dazu, dass Pennington selbst nur noch singt und kein Instrument mehr spielt. Konzentration auf das Wesentliche, für Pennington und Jensen gleichzeitig mit (be-)trügerischem Beigeschmack: »Wir sind schon sehr glücklich damit, wie die Songs jetzt klingen, es fühlt sich nur ein wenig wie Schwindeln an«, lachen beide, so scheint die Sache fast zu einfach. Die Songs werden nachträglich für die Shows adaptiert, denn generell spielt die Band auch zu selten, um Stücke in einem Live-Setting zu entwickeln, wie Pennington bedauernd anmerkt: »Wir sollten öfters live spielen! Aber wir sind faul.«

No Regrettable End
Angesichts der Produktivität der Parenthetical Girls wirkt dies jedoch beinahe wie Koketterie. 2008 erscheint das bislang dritte Album »Entanglements«, die Verwirklichung von Penningtons Traum von einem orchestralen Popalbum, mit bis zu 25 MusikerInnen eingespielt, eine kleine Popoper. 2002, 2004 und 2009 sind Sammlungen diverser Weihnachtslieder erschienen, eine weitere von Penningtons Obsessionen, sowie eine Vielzahl an Singles und Coverversionen. Die Vinyls sind mit liebevollem, teilweise individuell gestaltetem Artwork (z. B. geklaute Schwarzwei&szligfotos vom »Tandler«) versehen, gleichzeitig betreibt Pennington mit »Slender Means Society« sein eigenes Label, wo auch die Parenthetical Girls erscheinen. Aktuell wird das Projekt »Privilege« realisiert, eine fünfteilige EP-Box deren erster Teil »Privilege Pt. I – On Death & Endearments« Anfang 2010 erschien, »Privilege Pt. II folgt im Herbst. Die restlichen drei Teile in viermonatigen Abständen. Jedes Bandmitglied ziert eines der Covers, gezeichnet von der schwedischen Künstlerin Jenny Mörtsell und dem dramatischen Gestus entsprechend ist jede der auf 500 Stück limitierten EPs mit dem Blut der Porträtierten nummeriert.

Parenthetical Girls: »Privilege, Pt. I: On Death & Endearments« & »Privilege, Pt. II: The Past, Imperfect« (EPs 2010, Slender Means Society)

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