Was für ein Geniestreich! Dem Regieduo Sabine Hiebler und Gerhard Ertl ist mit der Dokumödie über die geniale Stefanie Sargnagel, deren Buch »Fitness« Vorlage war, großartiges Kino gelungen. Beißenden Humor und die Sezierung der österreichischen Seele praktiziert die Autorin und Comiczeichnerin Stefanie Sargnagel von Anbeginn dieses Films an und bewirkt damit eine vollständige Identifizierung mit ihr als Hauptdarstellerin. Denn wer wünscht sich nicht, mit versiffter Wohnung, dreckigem Geschirr, verstopfter Abwasch und verstopftem Klo Sympathien in der Peer-Group zu erwecken, die den Kultstatus befördern!?
Die Männer im »Sargnagel«-Film sind einfach nur lieb, selbst wenn sie (z. B. mit einer Lachmaschine) nerven oder Schluss machen. Steffis Boyfriend Hermann (Alexander Jagsch) lädt zum Träumen vom Kuscheln ein, wenn er über seinen Schwanz spricht, der »so weich ist wie ein Huhn«. Aber nicht nur das – auch Männertypen sind vielfältig: Voodoo Jürgens post als Lustobjekt. Und sexy Michael Ostrowski verkörpert gekonnt die Rolle des schnieken, geltungssüchtigen Regisseurs, der – ups – österreichisch in diese Rolle halt so »hineingerutscht« ist, durch Verbindungen und Kalkül. Beste Satire: Auch die Filmindustrie kriegt ihr Fett ab.
Film im Film
Ostrowskis von Hilde Dalik verkörperte Ehefrau, die Steffi im Film verkörpern soll, hat als blonde, aufgedonnerte Heteroschnitte nicht die besten Karten und wird von ihrem Ehemann und dem dickbäuchigen Filmproduzenten aus dem Film hinausgekickt. Dalik hat eine zweite Rolle inne, die wohl die lässigere ist, als beste Freundin von Steffi: die verkannte Schauspielerin, der nichts bleibt als der Kellnerinnenjob mit Psychotherapiekompetenz im Lieblingsbeisl.
Die in Uniform stereotyp gekleideten Mädchenschülerinnen dürfen im Film als wichtige Referenzgruppe auch nicht fehlen und haben ebenfalls einen starken Auftritt: Beim Besuch von Steffi in deren Klassenzimmer sind sie aufgefordert, die »schlimmsten« Schimpf-, Genital-, Tabuwörter usw. durch Niederschreiben im Diktat zu zelebrieren, sie sich anzueignen und ihnen damit ihre verletzende Wirkung zu nehmen: Fickifickificki. Das kann nur zur absoluten Begeisterung mit Selfie-Workshop-Ende führen!
Viva la Revolution!
Steffis Wohnung befindet sich im Gemeindebau. Die dort verorteten Wiener Originale – wie der grantelnde Nachbar am Balkon und die Hausbesorgerin, großartig verkörpert von Kulturstadträtin Veronika Kaup-Hasler – haben an dieser Stelle ihre atmosphäre- und situationsstiftenden, für Wien typischen, bestens bekannten Auftritte.
Bei Steffis Figur sind Beislleben, Alkohol- und Drogen- bzw. Tablettenkonsum im Dauereinsatz, wie der Film glauben machen will. Schon »sehr cool und Underground«, öfters mal fertig aus der Wäsche zu schauen. Das Leben mit Berühmtheit, Lesereisen und neu entstandenen guten Finanzierungsmöglichkeiten ist halt echt hart. Aber dass Steffi Sargnagel keine Interviews mag, ist unmissverständlich rübergebracht. Snief. Meine größte Bewunderung hat sie bzw. dieser Film trotzdem.
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