Im vollen, aber nicht unangenehm vollen Openair-Kessel ist schon eine beträchtliche Fangemeinde eingetroffen, als die Vorband die auf einmal sehr groß wirkende Bühne besteigt: The Dresden Dolls. Diese zwei Menschen (Schlagzeug, Klavier) haben hierzulande auch schon mal das Flex vollgekriegt, und landeten mit ihrem letztjährigen, selbstbetitelten Album einen der Newcomerhits 2004. Sie und Saul Williams (leider nicht gemeinsam) hat Reznor mitgenommen zur »Bleed Through«-Tour zur »With Teeth«-Platte. Und dem Publikum gefiel’s, waren doch der Lautstärkepegel und die Jubelschreie nach jedem kleinen, aber feinen Dresden Dolls-Stück unerwartet hoch. Die Ekstase nahm hier schon ihrem Lauf, um später in einem Orkan zu kulminieren.
Um es vorweg zu nehmen: Das NIN-Konzert war gut. Und das folgt aus der Gleichung, dass die erste Hälfte nicht gut, und die zweite Hälfte sehr gut war. Als Reznor die Bühne erklimmt ist es noch hell, was die Lichtshow überflüssig und die Stimmung gedämpft hält.
So bombastisch der Sound von Anfang an war, wählte Reznor als Eröffnungsblock einige Stücke der CD »Fragile«, bei denen schnell klar wurde, dass ein so überproduziertes, aufgeladenes, vielschichtiges Songwriting und -arrangement, wie es dort zu finden ist, auf der Bühne immer wie eine Klimper-Folk-Demofassung klingt. Mit »Wish« bricht er das erste Mal dieses Unbehagen auf und brettert in bester Früh-90er-Manier den Song in die Beine und die Fäuste des Publikums, für den er damals den Grammy erhalten hat.
Ab da bessert es sich also, Reznor macht einen erstaunlich großen Bogen um das neue Album, konzentriert sich stark auf alle bisherigen Veröffentlichungen, die allesamt ungefähr gleichgewichtig vorkommen. Das selten gespielte »Reptile« von »Downward Spiral« ist vermutlich der erste Non-Hit an dem Abend, und da ist die Dunkelheit auch passender Weise über uns hereingebrochen. Dieser Slow-Motion-Monolith eines Industrial-Rockosauriers vermochte mit Nachdruck zu vermitteln, dass Trent Reznor ein ungemein kluger, präziser und leidenschaftlich-unausstehlicher Teenage Angst-Apologet immer war und auch noch immer ist. Ganz besonders erfreulich war das vermutlich noch seltener gespielte »Dead Souls«, welches er von Joy Division für den »The Crow«-Soundtrack gecovert hat, und zu einer der besten Coverversionen zählt, die jemals jemand dieser Band angetan hat. Quasi im Spiegelblick folgt als nächstes Stück »Hurt«, welches von Johnny Cash die letzte Ehre erwiesen bekam, als er es kurz vor seinem Ableben 2004 coverte. »Hurt« ist nun mal seit »Downward Spiral« auch ein NIN-Evergreen, die von manchen als »Quotenballade« verschmäht wird, und das Publikum realisierte auch dankenswerterweise, dass hier Mitklatschen absolut unangebracht ist. Aber hymnisches Mitsingen im Refrain entschädigte diese Probleme, mit »Hurt« war Reznor in uns allen, und machte deutlich, warum sich das so gut anfühlt.
»With Teeth«, das gute, neue Album, bleibt auf Grund seiner fehlenden Live-Rock-Kracher eben etwas auf der Strecke – bei den vielen Hits, die Reznor seit 1989 seinen Fans geschenkt hat. Die besten Stücke darauf sind leider live völlig unspielbar, und was Reznor von »With Teeth« auf die Bühne holt, ist natürlich noch nicht so bekannt, wie die alten Sachen, das Publikum reagiert verhalten. Um ehrlich zu sein störte das Fehlen der neuen Songs nicht besonders. Aber eines fehlte schon: »Getting Smaller«, auf dessen Retro-Rock-Qualitäten man nicht müde werden sollte hinzuweisen, hat mit seinem Kawumm an Drum- und Gitarrenriffs eigentlich eine Live-Pflicht. Das war vielleicht der einzige Punkt, wo Reznor es ausgelassen hat, unsere Köpfe wegzublasen. In so ziemlich jedem anderen Punkt hat’s geklappt. Was ne Menge ist.