Prolog zur politischen Lage in Österreich: Die schwarz-blaue Rechtsregierung hungert kritische Kunst und Medien finanziell aus. VP-Kunststaatssekretär Morak – das Kunstministerium hatte zuvor schon SP-Kanzler Klima abgeschafft und zur Chefsache erklärt – initiiert andererseits sein Prestigeprojekt »Kunst gegen Gewalt« und subventioniert damit bereits wohlfundierte Hochkultur zusätzlich. Künstler sollen sich an neoliberale Zeiten anpassen und ihre Mittel von Sponsoren beziehen. Die erforderlichen Gesetzesänderungen, die Sponsoring für Firmen attraktiver machen, bleiben allerdings aus. Konsequent folgt daraus die Ausrichtung von konturlosen Festivals und das Überhandnehmen von Events, in der Kunst zum volkstümlichen Gaudium ohne gesellschaftlichen, progressiven und realpolitischen Anspruch verkommt. Auf diese Situation reagierend, richtete die Musik Kultur St. Johann, die auch im laufenden Betrieb interdisziplinär Kunstsparten, u. a. Kinofilme, bildende Kunst oder Literatur einbezieht, und sich darüber hinaus mit einem Kinderprogramm oder der Sub Area für Jugendliche an mehrere Generationen wendet, heuer erneut »Ein Kulturschutzgebiet« ein.
Nachdem Martin Siewert im Vorjahr im Mittelpunkt stand, wurden heuer bei »Artacts ’02« als Festival im Festival Musiker/Künstler aus Reformstaaten, die bei der bevorstehenden EU-Osterweiterung dabei sein werden, präsentiert. »Was fällt Ihnen zum Begriff Osterweiterung ein«, wurden Bürger aus dem östlichen Nordtirol (St. Johann) und dem westlichen Osten (Brno, Bratislava) von den Videokünstlern Daniel Jarosch und Falko Purner befragt. Wenn man dann darin die vereinfachende Aussage »hier sind die Menschen gut und im Osten schlecht« vernimmt, muss man bestürzt feststellen, dass der von Medienmonopolen überversorgte österreichische Bürger scheinbar nicht so weit ist, »Welcome to Babylon« (Videotitel) zu sagen. Obwohl oder weil die St. Johanner Tourismuswirtschaft – »Ein Kulturschutzgebiet« agiert selbstverständlich auch als Korrektiv gegen Auswüchse in Form von Lederhosenfesten etc. – bereits eine Unzahl von ArbeitnehmerInnen aus Osteuropa im für heimische Kräfte unterbezahlten Gastgewerbe beschäftigt?
Impro versus Popelektronik
Der räudige Elektronicscore hiezu stammte übrigens vom Tiroler Wahlwiener Philipp Quehenberger – auch einige St. Johanner Jugendliche wollen verständlicherweise in die Bundeshauptstadt ziehen -, der wie die ungarische Romacombo Romanyi Rota oder Posaunist Bertl Mütter und Bassist Peter Herbert (Reihe »Gentle Chamber Music«) im Vorfeld von »Artacts ’02« auftrat. Spektakulär dann der Festivalauftakt: Zur Vernissage der Ausstellung »gut – schlecht« der jungen Warschauer Galerie Raster Art – wir schreiben das polnische Kulturjahr in Österreich, Subventionen gab es aber leider keine! – gaben Maly Szu ein wildes Happening. Das als Kosmonaut, Kuh und Dinosaurier verkleidete Trio verfehlte die Tasten seiner Casioorgeln auch nicht, als sich eine Unmenge bunter Plastikbälle über Publikum und Musiker ergoss. Ein grandioser Spaß! Dass eine Fusion von Improvisations- und Elektronikmusik auch schief laufen kann, passierte in der 8. Auflage von Franz Hautzingers Regenorchester. Zu sehr dominierten die basslastigen Beats der Popmusikfraktion. Das mit zwei Ungarn besetzte Abstract Monarchy Trio des Vierteltontrompeters Hauztinger war darin vertreten und konnte trotz ungünstiger Akustik erst beim Konzert in der barocken Antonius-Kapelle aufblühen. Bei eingespielten Ensembles wie dem Improvisationsmusikkollektiv Vapori del Cuore konnte die Integration von Turntables oder Keyboards keineswegs schaden, sondern war ein erfreulicher Aspekt im konzentriert gespielten Set. Die Kuratoren Christian Scheib und Susanna Niedermayr, deren Ö1-Radioreportagen im Rahmen der Reihe »Nebenan« auch im Wiener Musikjournal »skug« als Printversion erscheinen, haben den Schwerpunkt auch auf digital generierte Musik gelegt. So überzeugte das polnische Duo EA mit in Quadrophonie dargebotener Klangsinnlichkeit, die trotz Ähnlichkeiten mit elektroakustischen Sounds niemals verstaubt anhob, und gelang ihrem Landsmann Wojt3k Kucharczyk eine überzeugende Performance: »*Retro*Sex*Galaxy*« ist inspiriert vom 1955 erschienenen Pop-Wissenschaftsbuch des Sowjetautors Perelman. Es geht um körperliche Reaktionen auf Musik, doch genügen allein die Sounds, die von introspektivem Klingklang (Kalimba) über Sounderzeugung mittels Antippen von Cinchkabeln bis zu offensiv lärmenden Breakbeats gingen.
Regionale Verankerung
Aufgegangen ist auch die Einbindung lokaler Orte, sicher ein Anliegen der Veranstalter um Muku-Leiter Hans Oberlechner. Die melancholischen Liebeslieder des slowakischen Duos Azachronic kamen im Ambiente eines in freier Natur stehenden Bauernhofs umso prächtiger und die Konzertfahrten auf das Kitzbühler Horn in einer Gondel der St. Johanner Bergbahnen waren ein echter Publikumshit. Die auch konzertant famosen Budapester Tigrics weckten nicht nur Assoziationen zum Ringelspielfahren, sondern ergötzten sich auf der Bergstation tatsächlich daran, sich selber auf einem Ringelspiel im Kreis zu drehen. Große Kinder, die naive, melancholische Sounds mittels Autobatterie zauberten! Die regionale Verankerung gipfelte in Gastspielen semiexperimenteller Clubmusiker in einer Disco der Marktgemeinde. Deuce (atmosphärisch, beatsunterfüttert), Arkona (stimulierende darke Bässe) sowie Olga & Jozef (funky minimal techhouse) beschallten die Humungus Bar, was problematisch war, da die anwesende Stammklientel (von der nicht mal Eintritt kassiert wurde) nichts mit dieser Musik anfangen konnte und die Barbelegschaft sofort nach Aufhören der Musiker/DJs die Jukebox mit lästigem Alternative-Gitarrenrockmainstream anwarf. Besser dafür geeignet wäre der zentrale Festivalort, die vom Abriß bedrohte Alte Gerberei, an dem Ludzie ein phänomenales Konzert gaben. Die Band aus Gdansk, obwohl ohne den erkrankten Bunio (Sampler, bass station) angereist, war ein finales Kraftpaket. Eine diffizil ausgefeilte Improvisation, die über weite Strecken mäanderte, doch sich allmählich energetisch steigerte, wurde von einer konsequent minimalistisch gehaltenen Videoarbeit begleitet. Mikolaj Burkiewicz ließ ein weißes Quadrat in ein großes schwarzes projizieren und mit dem Anziehen der Musik begann sich das kleine Quadrat allmählich rhythmisch zu bewegen. Malewitsch tanzte!
Dieser Artikel wird demnächst in der Printversion der Berliner Musikzeitschrift »Positionen« erscheinen.