M. Night Shyamalan, 2016 © Gage Skidmore/Wikimedia Commons, CC BY-SA 2.0
M. Night Shyamalan, 2016 © Gage Skidmore/Wikimedia Commons, CC BY-SA 2.0

Mit Blockbustern ins Tief

Mit dem Auf und Ab in der Karriere des Filmemachers M. Night Shyamalan und den Filmen des Regisseurs setzt sich Adrian Gmelch in seinem 2021 erschienen Buch auseinander.

An den Kindern merkt man, wie die Zeit vergeht, ist so eine oft dahingesagte Phrase. Dennoch, sein eigenes Altern nimmt man als erwachsene Person selbst meist nur indirekt wahr, eben wenn einem Phasen im Größenwachstum eines Kindes auffallen oder ein Gedanke wie »jetzt hat sie doch gerade die ersten Schritte gemacht und schwuppdiwupp, geht sie schon in den Kindergarten/die Schule …«. Auch in der Comicverfilmung »Old« bemerken die Erwachsenen zuerst an den Kindern Veränderungen, plötzlich sind die Kleinen gar nicht mehr so klein. Natürlich wachsen Kinder, aber innerhalb weniger Stunden? Bald erkennen auch die erwachsenen Protagonist*innen, dass sie rapide altern – der idyllische Strand, auf dem sich eine Gruppe von Urlauber*innen befindet, scheint seltsame Auswirkungen auf lebende Organismen zu haben. Von dem fatalen Stück Küste wegzukommen, erweist sich als unmöglich. M. Night Shyamalans Film »Old« lief 2021 in den Kinos und ist seine neueste Kinoarbeit. Wissenschaftlich betrachtet, ist der Plot vom Altern im Zeitraffertempo Unsinn, (filmisches) Erzählen ermöglicht jedoch einen Teil der Alltagslogik auszuhebeln und eine besondere Was-wäre-wenn-Versuchsanordnung zu schaffen.

Fantastisches und Unheimliches

»Old« trägt für Shyamalan typische Charakteristika wie z. B. fantastische Elemente und Unheimliches, Kinder als zentrale Akteure, dysfunktionale Familien, Aussöhnung, einen eng abgezirkelten Raum, in dem sich das Geschehen abspielt. Adrian Gmelch erwähnt »Old« in seinem Buch »Die Neuerfindung des M. Night Shyamalan«, das 2021 im Büchner-Verlag erschien. Aufgrund des Filmstarttermins konnte Gmelch den Streifen klarerweise bis zur Manuskriptfertigstellung keiner genauen Analyse und Einordnung ins Oeuvre des US-amerikanischen Regisseurs mit indischen Wurzeln unterziehen. Von Kritik und Publikum wurde »Old« unterschiedlich aufgenommen: Von hochgelobt bis Totalverriss reichen die Beurteilungen, sehr oft fällt das Urteil ambivalent aus – der Film sei teils extrem gut, teils schlimm misslungen.

Auch diese Bandbreite in der Bewertung eines Films ist typisch für Arbeiten Shyamalans. Der Cineast und Filmblogschreiber Adrian Gmelch folgt der Karriere des einstigen Shootingstars seit Langem und kennt die Arbeiten des Regisseurs, Drehbuchautors und Filmproduzenten wirklich, wirklich gut. Zwar ist Gmelch kein Filmwissenschaftler, sein Shyamalan-Buch ist aber weit mehr als die Würdigung eines bewunderten Künstlers aus Fanperspektive. Der Autor schätzt den Regisseur und seine Arbeit enorm, wirft aber trotzdem einen kritisch-analytischen Blick auf dessen Werk und untersucht die einzelnen Filme geradezu akribisch, setzt sie zueinander in Beziehung und versucht eine Einordnung der Einzelarbeiten und des bisherigen Gesamtwerks im Kinokosmos.

Laufbahn mit Bruch

Das Wort »Neuerfindung« im Titel deutet es an: M. Night Shyamalans Laufbahn verlief nicht ohne Bruch. Der Untertitel des Buchs präzisiert die Sache mit dem Karriereknick: »Wie sich ein einst gefeierter Filmemacher zurück an die Spitze kämpft«. Bekanntheit erlangte Shyamalan mit seinem dritten Langspielfilm, der Kinderbuchverfilmung »Stuart Little« (1999), der große Durchbruch gelang ihm im selben Jahr mit »The Sixth Sense«. Bruce Willis spielt darin einen Psychologen, der einen kleinen Buben, der behauptet, Tote zu sehen, als Patienten bekommt. Ein ungeheurer Plot Twist gegen Ende des Films lässt erkennen, dass es sich mit der Geschichte ganz anders verhält. Überraschende Plot Twists, also Wendungen in der Erzählung, sind ein Markenzeichen des Regisseurs. Mit »Unbreakable« folgt 2000 vielleicht der Höhepunkt in Shyamalans Filmschaffen, zumindest, wenn man den begeisterten Lobeshymnen auf den Film folgt, in dem David Dunn (Bruce Willis) als einziger Überlebender eines Zugsunglücks auf den an Glasknochenkrankheit leidenden Elijah Price (Samuel L. Jackson) trifft.

Es folgen »Signs« (2002), eine Satire (?) über eine Außerirdischeninvasion mit Mel Gibson als Pastor mit verlorenem Glauben und 2004 »The Village«, ein als Horror-Movie getarntes Aussteigermelodram. Nach den wenig beachteten »The Lady in the Water« (2006) und »The Happening« (2008) gerät Shyamalan vollends in die Filmindustriemaschinerie, die dem ehemaligen Independent-Regisseur kaum Handlungsfreiheit bietet. Die Verfilmung der TV-Animationsserie »Avatar – Der Herr der Elemente« unter dem Titel »The Last Airbender – Die Legende von Aang« (2010) floppt bei Kritik und an den Kinokassen. Der Tiefpunkt in Shyamalans Schaffen ist jedoch 2013 mit der kruden Science-Fiction-Verfilmung »After Earth« nach einem Entwurf von Will Smith erreicht. Das Vater-Sohn-Gespann Will und Jaden Smith gibt in dem unglaubwürdigen Survivalstreifen die schiffbrüchigen Überlebenden eines Raumfahrtdesasters, die auf der für Menschen unbewohnbar gewordenen Erde notlanden.

Neuorientierung

Nach diesen Misserfolgen – wobei Misserfolg ein relativer Begriff ist, denn selbst »After Earth« spielte etwa 140 Millionen Dollar mehr ein als die Produktion gekostet hatte – orientierte sich Shyamalan neu. Das Hollywood-Blockbuster-System mit riesigen Budgets aber vielen engen Vorgaben hatte sich als äußerst unbefriedigend für ihn herausgestellt. Fortan arbeitet er mit kleinen Budgets, die er zum Teil selbst aufstellt, und weitgehender Kontrolle über die Produktionen. Shyamalan koproduziert die TV-Serie »Wayward Pines« (2015–16) und führt auch bei einigen Folgen Regie, 2015 entsteht der unspektakuläre, aber nichtsdestoweniger unheimliche Horrorfilm »The Visit«. Ein Teenager-Geschwisterpaar besucht seine unbekannten Großeltern auf dem Land, Oma und Opa entpuppen sich als zunächst etwas exzentrische und schließlich bedrohliche Figuren.

Danach widmet sich Shyamalan der Fortführung der »Eastrail 177«-Trilogie, die mit »Unbreakable« begonnen hatte. »Split« (2017), in dem ein an dissoziativer Persönlichkeitsstörung Erkrankter im Mittelpunkt steht, der als »Beast« übermenschliche Kräfte entwickelt, ist ein Horror-Thriller, der einige übliche Topoi des Genres bricht und bei Kritik und Publikum sehr gut ankommt. Während der abschließende Film »Glass« (2019), in dem die Hauptfiguren der beiden ersten Teile zusammenkommen, oft eher verhaltene bis ablehnende Reaktionen hervorrief. »Glass« kann auch als Metafilm gelesen werden, in dem sich Shyamalan mit Konventionen des narrativen Kinos, insbesondere des Superheld*innenfilms auseinandersetzt. Ab 2019 produzierte Shyamalan für Apple TV+ die Mystery-Serie »Servant« (bisher drei Staffeln). 2021 kommt der oben erwähnte Streifen »Old« ins Kino.

Hohe Erwartungen

Manoj Night (eigentlich Nelliyattu) Shyamalan wurde zum Jurypräsidenten der Berlinale 2022 ernannt, was die Wertschätzung des Filmemachers in der Filmkunstbranche zum Ausdruck bringt. Durch Hollywood-Großprojekte (»The Last Airbender«, »After Earth«) habe Shyamalan »seltsam naiv seine Studiokarriere« verspielt, schreibt Gmelch, »Mit seinen selbstproduzierten Filmen ab 2015 […] startete jedoch das ›Zeitalter‹ der sogenannten Shyamalanaissance – ein Begriff, den US-Journalisten ins Spiel brachten«, so der Autor. Der Ausdruck »Shyamalanaissance« lässt erkennen, welchen Status der Regisseur offenbar in einigen Kreisen genießt, auch welch hohe Erwartungen an seine Filme gestellt werden.

Als Leser*in scheint eine solche Erhöhung oft seltsam, auch wenn man einige Shyamalan-Werke sehr mag. Adrian Gmelch setzt sich mit Shyamalan und seiner Arbeit nahezu umfassend auseinander. Biografisches und Werdegang als Filmemacher werden unter die Lupe genommen, ebenso wie die einzelnen Filme, die nicht nur inhaltlich nacherzählt, sondern auch aufgeschlüsselt und miteinander und mit thematisch ähnlichen Filmen anderer verglichen werden. Gmelch untersucht die Filmsprache des »›Outsiders‹ in Hollywood«, zählt Schnitte pro Film und deren Längen, analysiert Einstellungen und Kadrierungen, Perspektiven und Farben. Mit zahlreichen Filmstills illustriert Gmelch seine Filmanalysen. Sich mit Shyamalans trotz wiederkehrender Thematiken und immer wiedererkennbaren Elementen sehr unterschiedlichen Filmen anhand von Adrian Gmelchs Buch auseinanderzusetzen, lohnt jedenfalls.

Adrian Gmelch: »Die Neuerfindung des M. Night Shyamalan. Wie sich ein einst gefeierter Filmemacher zurück an die Spitze kämpft«, Büchner-Verlag, 2021, 326 Seiten, EUR 29,00 (E-Book: EUR 25,00)

Link: https://www.buechner-verlag.de/buch/die-neuerfindung-des-m-night-shyamalan/

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