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Live Fast, Die Young

Wer will ein »Rock Chick« sein? Chilo Eribenne blickt skeptisch auf ihre Popstarvergangenheit zurück.

Für die heute 35-jährige Chilo Eribenne wurde in den 80ern in der von Mark Moore gegründeten Band S-Express ein Traum wahr – mit dem Popsong »Theme From S-Express« wurde sie Nr.1 in den Charts. Während dieser Zeit tourte sie mit Neneh Cherry, Tim Simenon und Baby Ford. Sie arbeitete mit den DJs Colin Favor und Paul Oakenfold zusammen, trat mit ihrer Band oder als Sologitarristin im The Marquee Cafe sowie im Café de Paris auf und wirkte selbst in unzähligen Filmen und Performances mit. Ihre Jugend verbrachte Chilo Eribenne in West London, wo sie als 16-jährige im The Tricycle Theatre in Kilburn gemeinsam mit Kodwo Eshun und Jenny Jules als Schauspielerin agierte. Ihre DJ-Karriere reicht mit Classic Soul, Techno, Retro House und HipHop bis 1987 zurück. 1999 übersiedelte sie nach Wien, hier arbeitete sie bereits mit Franz Pomassl (Laton), dem Elektronikkünstler Alois Huber und dem Konzeptkünstler Falm zusammen. Sie produzierte mit dem Avandegardemusiker Holger Hiller »L’Amour Fou«. Projekte mit Gudrun Gut sind in Planung. Zu ihren Lieblingsregisseuren zählt Nicolas Roeg, der mit Filmen wie »The Man Who Fell To Earth«, »Bad Timing« oder »Performance« sie in ihren Streifen »A Short Film About Smoking«, »My Darling« oder »My Hamburger« stark beeinflusste. Heute lebt sie in Wien und London, ist Filmemacherin, Künstlerin und DJ und steht ihrer Vergangenheit als Popstar durch ihr Projekt »Rock Chick« äußerst skeptisch gegenüber.

In ihren aktuellen Projekten setzt sie sich nun intensiv mit dem Phänomen der Rolle jener Frauen im Musikbiz auseinander, die alles dafür geben würden, ein Star zu sein und deren Leben neben dieser Sehnsucht nach Ruhm stark von Abhängigkeiten, Sex-, Drogen- und Alkoholsucht geprägt ist, was sich an den Biographien von Paula Yates, Patsy Kensit oder Courtney Love nachvollziehen lässt. Auslöser für das Projekt von Chilo Eribenne war allerdings die Begegnung mit einer Frau aus ihrem Bekanntenkreis, die nach 15 Jahren des Scheiterns noch immer an ihrem Traum festhält, einmal ein Star zu sein.

Auch wenn sie sich heute selbst als rehabilitiertes »Rock Chick« bezeichnet, betrachtet Chilo Eribenne die Existenz als kurzlebiger Star und Groupie aus einem kritischen Blickwinkel. In ihrer Boxeninstallation »Rock Chick«, die sie im Februar 2004 im Semperdepot präsentierte, wird durch eine Fotografie der Sängerin Barca Baxant, gestylt von Mel Merio, und dem Song »Cheree« von Suicide, abgemixt mit eigenen Sounds, eine intime Atmosphäre geschaffen. Auf desillusionierende Weise geht es hier darum, sich von dieser Scheinwelt des Glamours, nach der sich viele sehnen, zu distanzieren. Als Darstellerin für ihre Fotografie, welche die blonde Heroine in Leopardenlook, umgeben von leeren Wodka- und Bierflaschen, zeigt, wählte sie die blonde Sängerin Barca Baxant, die im Duo Princess Him glamourösen Dance-Pop zelebriert. Ihre Rolle ist jedoch hier bloß die einer Darstellerin, ohne daraus Rückschlüsse auf ihr Leben ziehen zu wollen. Ihr zur Seite befindet sich ein Mann im Anzug als Synonym der Macht jener, welche die Produktionsbedingungen bestimmen. Die existenzielle Frage, ob nun ein »Rock Chick« als Star, Prostituierte oder Muse zu definieren wäre, schafft in diesem Rollenspiel fließende Übergänge.

Auch wenn es heute aufgrund des Hypes um Girlbands leichter ist, einen Plattenvertrag zu bekommen, hält die Karriere oft nur kurz, werden Bands wie Instantprodukte gehandelt. Diesem Phänomen geht Chilo in ihrem Projekt Chick Wings (eine EP wird diesen Frühling in Berlin produziert) nach. Parallelen zu Bandnamen, wie Lunachicks oder Chicks on Speed sind rein zufällig. Derzeit schreibt Chilo an 12 Songs, die im Frühling in Berlin aufgenommen werden. Das Multimediaprojekt Chick Wings bezieht Fotografie, Videoinstallation, ein virtuelles DJ-Mischpult und die Website chickwings.net mit ein. Die Inspiration zu ihrem Projekt kam Chilo Eribenne durch einen Artikel über die Produktion von »Chicken McNuggets«, der in »The Guardian« erschien. »Guten Appetit!« kann man nur wünschen, wenn man liest, wie aus Krallen, Federn und anderen tierischen Eiweißen wie Schwein und Rind Chicken McNuggets produziert werden. In ihrer geplanten Fotoserie vergleicht sie die Produktion von Stars mit jener von Chicken McNuggets und thematisiert, wie durch Make-Up und Designerkleidung Frauen auf dem Catwalk zu Stars gestylt werden. Der Titel ihrer Installation »Every woMan Imaginable« bezieht sich auf ein Kapitel in Johnny Rottens Biografie »Every Mistake Imaginable« und setzt sich mit der Kurzlebigkeit von Bands und deren schnellen Verschleiß auseinander, der mit dem von Fast Food vergleichbar ist. Abermals geht es um die Tragik, die hinter einem Leben in Glamour stecken kann.

Weshalb werden Frauen eigentlich so häufig als »Chicks« bezeichnet? Wie Chilo ausführt, ist der Spitzname »Bird« und »Chick« besonders im englischsprachigen Raum für Frauen zur Gewohnheit geworden, während für Männer der elegante französische Ausdruck »Guy« gewählt wird. »Chick« ist also ein Spitzname, der im Alltag, nicht gerade »politically correct«, häufig gebraucht wird. Es ist an der Zeit hier zu jener Korrektur anzusetzen, die Chilo Eribenne mit ihren Projekten initiiert.

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Text
Ursula Maria Probst

Veröffentlichung
16.06.2004

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