Der denkbar blödeste Einstieg in dieses Review geht ungefähr so: Liam Grant ist der neue Daniel Bachman, der aufgehende Stern im Fingerstyle-Guitar-Genre (formerly known as American Primitive). Das ist einerseits unfair, andererseits stimmt es irgendwie auch, aber so kommen wir ja nicht weiter. Liam Grant weiß ohnehin um die Ahnenreihe des Genres, von frühen Pre-War-Folk-Blues-Gitarrist*innen wie Mississippi John Hurt oder Elisabeth Cotton über die einschlägig bekannten John Fahey und Robbie Basho bis hin zu Jack Rose und all den noch eher jungen Musiker*innen, zu denen eben auch Liam Grant zählt. Der hat mit »Prodigal Son« sein zweites Album veröffentlicht, es zeigt auf dem Cover seinen Vater, auf der Rückseite beide Eltern als junge Menschen. Erste Assoziation beim Blick auf die Vintage-Fotografie: »Badlands«, das Roadmovie von Terrence Malick um ein heranwachsendes und delinquentes Pärchen auf der Flucht, against all odds und bis zum bitteren Ende. Ob Grants Eltern jemals auch nur Äpfel geklaut haben, ich weiß es nicht, aber die Veröffentlichung zeigt schon per Artwork an: Hier geht’s lang, ins Land der zerschossenen Träume, und früher war vielleicht auch nicht alles besser, aber gegenwärtig? Fangen wir lieber erst gar nicht davon an, wie Großunternehmer für Elektrotechnik mit Minderwertigkeitskomplexen und ein machtbesoffener Orang-Utan (nichts gegen die armen Tiere, aber irgendein Vergleich muss her, ohne Namen zu nennen) augenblicklich meinen, aufräumen zu müssen, und dabei mehr als nur Schaden anrichten. Widerstand bedarf auch der Selbstsorge, der achtsamen Ignoranz und des gezielten Wegschauens – sonst dreht man ja durch! Also, Gitarre spielen statt Doom-Scrolling! Und wenn Grant loslegt, dann ist für den Moment auch alles gut. Gleich zum ersten Track haut er auf der Weissenborn-Gitarre derart rein, dass man meint, hier gehe er elektrisch verstärkt zur Sache, aber der verzerrte Klang ist der primitiven Aufnahmetechnik geschuldet, sagen zumindest die Produktionsnotizen zum Album. Beherzt bleibt er durchwegs bei der Sache, sein Gitarrenspiel ist engagiert, rau bisweilen und überwältigend, und doch filigran, voller Details und letzten Endes – und das ist nicht unwichtig in einem Genre, in dem es an Fahey-Epigonen nicht mangelt – sehr originell. In der bisweilen hemdsärmelig erscheinenden, ungestümen Herangehensweise, der es an einnehmenden, aufstrebenden Melodien und damit Anziehungskraft nicht mangelt, hat Liam Grant seinen eigenen Sound gefunden, der gewissermaßen die unverblümte Direktheit des frühen Folk-Blues mit den transzendentalen Qualitäten Robbie Bashos verbindet. Down to earth und mit dem Kopf in den Wolken – absolut fantastisch. Hier und da finden sich auf der Platte auch zusätzlich Instrumente, Fiddle zum Beispiel, die spielt in diesem Fall Trevor McKenzie und nicht Mike Gangloff, mit dem Liam Grant hin und wieder tourt. Und Mike Gangloff ist ja Mitglied des schlafenden Riesen Pelt, und ich hoffe, früher oder später schnappen sich Pelt Liam Grant und nehmen mit ihm ein Album auf. Das wäre was, aber das ist noch Zukunftsmusik. Warten wir’s ab, für den Augenblick haben wir »Prodigal Son«, und das ist nicht wenig!

Liam Grant
»Prodigal Son«
VHF Records

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