Mit dem Beatles-Album »Let It Be« ist es kompliziert. Ursprünglich sollte das als Schwanengesang der Band bekannte Album unter dem Namen »Get Back« und lange vor dem eigentlich zuletzt aufgenommenen »Abbey Road« erscheinen. Die Aufnahmen dazu hatten sich indes als so kompliziert erwiesen, dass es über ein Jahr lang dauerte, ehe man sich – zumindest so irgendwie – auf eine Erscheinungsform geeinigt hatte, die dann nach über 30 Jahren mit einer neuen Edition revidiert wurde.
Die Vorgeschichte
Als die Band sich gleich zu Jahresbeginn 1969 einen Monat lang traf, um neue Musik einzuspielen, war Paul McCartney nicht nur die treibende Kraft dahinter, er war der Einzige, der überhaupt noch in der Gruppe sein wollte. Bereits im vorangegangenen Jahr waren während der Aufnahmen zum »White Album« spürbare Spannungen aufgetaucht. Ringo Starr hatte kurzfristig die Band verlassen, die drei anderen nahmen Songs in getrennten Studios auf und der Multiinstrumentalist McCartney verzichtete bei mehreren Tracks gleich ganz darauf, seine Kollegen einzubeziehen. Die Zeichen für »Let It Be« standen im Januar 1969 also nicht gerade gut und es sollten weitere Probleme folgen: Man hatte sich darauf geeinigt, den Januar über in den sogenannten Twickenham Filmstudios völlig neue Songs zu proben, um zum Abschluss ein Live-Album ohne Overdubs, Effekte und Co. aufzunehmen. Back to the roots also. Überdies wollte man sich bei den Proben wie auch dem Konzert filmen lassen, um daraus einen weiteren Beatles-Film zu machen. Diese durchaus innovative Idee indes kollidierte mit der für die Beatles inzwischen typisch gewordenen Arbeitsmethode. Spätestens seit »Revolver« hatte man nämlich das Studio als ein eigenes Element der Musik verstanden und brachte ganze Nächte damit zu, dort herumzuexperimentieren. Im eisigen Londoner Januar des Jahres 1969 also hatte man sich täglich ob der Filmcrew bereits am frühen Vormittag in einem fröstelnden, leeren Großraumstudio einzufinden und wurde bis zum Abend durchgehend auf Schritt und Tritt gefilmt.
Die Situation eskalierte schnell und nach einem Streit mit McCartney verließ George Harrison für einige Tage die Band, was Lennon zu der Bemerkung veranlasste, man könne ja Eric Clapton engagieren. Etwas musste sich ändern und nach Beratungen entschloss man sich dazu, in das hauseigene Apple-Studio zu wechseln, die Idee eines großen Konzerts fallen zu lassen, stattdessen jedoch kurzfristig am Dach des Studios aufzutreten. Der Winter der Unzufriedenheit, wie Harrison diese Zeit in Anlehnung an Shakespeare nannte, war schnell vergessen und die Beatles nahmen ihr tatsächlich letztes Album »Abbey Road« auf. Mit »Let It Be« konnte man nicht viel anzufangen; der Produzent und fünfte Beatle George Martin wusste nicht so recht, was er mit dem chaotischen Material tun sollte und auch Glyn Johns, Tontechniker der Stones, vermochte es nicht, ein zufriedenstellendes Ergebnis zu liefern. Da der Film zum Album sich 1970 der Fertigstellung näherte und somit der Zeitdruck wuchs, holte man sich den berühmten Produzenten Phil Spector, welcher die Idee eines ursprünglichen Rock’n’Roll-Albums einfach ignorierte, Streicher, Hall-Effekte und allerlei weitere Dinge über das Album legte und somit jenes Album schuf, das heute gemeinhin als letztes veröffentlichtes Album der Band bekannt ist.
Zufrieden mit dem Album waren Paul McCartney und George Martin indes nie und so gab es über die Jahre hinweg immer wieder die Idee, eine abgespeckte, besser produzierte Version des Albums zu veröffentlichen, welche eher der eigentlichen Intention entsprach. Im Jahre 2003 schließlich folgte »Let It Be…NAKED« als ein Versuch, das Album so zu präsentieren, wie die Beatles sich das 1969 wohl gewünscht hatten, angereichert mit einer zweiten CD voller Schnipsel aus den Sessions. Reichlich verspätet freilich, doch mit Begründung: Anfang der 1970er-Jahre wurde das Gros der Tapes gestohlen und erst 2003 war es gelungen, sie bei einem spektakulären Polizeieinsatz zurückzuergattern. Der 1970 veröffentlichte Film zum Album fand damals allerdings nicht seinen Weg zurück an die Öffentlichkeit, hatten die Beatles doch stets das Gefühl, er wäre zu negativ gewesen und müsse überarbeitet werden.
Zweifelhafte Veröffentlichungspraxis
In diesem Jahr schließlich ist es soweit: »Let It Be« findet im Rahmen der Wiederveröffentlichungen alter Beatles-Alben durch Apple Records und Universal in Form umfangreicher Deluxe-Boxen seinen Weg zurück in die Läden. Das Album selbst wird als dicke Box mit bis zu sechs CDs angeboten. Darin findet sich das Album von Phil Spector, remixed durch George Martins Sohn Giles. Im Vergleich zu den misslungenen Neuabmischungen des »White Albums« und von »Abbey Road« hielt sich Martin Junior hier deutlich zurück und modernisierte die bombastischen Mixe von Spector nur minimal. Schade, das wäre eine gute Gelegenheit gewesen, hier korrigierend einzugreifen.
Auf zwei weiteren Scheiben sind bisher unveröffentlichte Outtakes zu hören, wobei hier gleich mehrere Dinge bekrittelt werden müssen: Die beiden CDs sind eine wilde, unchronologische Mischung und nicht wenige dieser Outtakes waren schon einmal auf der »Anthology« zu hören. Der Fundus an Material hätte deutlich mehr erlaubt, wie nicht nur das auf »Let It Be…NAKED« dargebotene, sondern auch das in Fankreisen kursierende Material – immerhin mehrere dutzend Stunden – deutlich machen. Die Entwicklung einiger Songs ist so jedenfalls leider nicht nachzuvollziehen, viel eher bekommt man den Eindruck, es war den Herausgebern daran gelegen, nur nah am Original befindliche Versionen zu veröffentlichen. Auf den drei anderen Scheiben finden sich die 1969 veröffentlichten Singles, ein von Glyn Johns dazumal produzierter Mix sowie das eigentliche Album hochauflösend auf einer Bluray. Überdies fand ein Buch mit Vorworten von Paul McCartney, Giles Martin und Glyn Johns, detaillierten Besprechungen der Sessions und Tracks sowie etlichen Bildern seinen Weg in das Boxset.
Das mag nach viel klingen, aber tatsächlich fehlt so einiges: 1970 wurde in den Erstauflagen des Albums ein üppig bestückter, broschierter Fotoband beigelegt, welcher seitdem seiner Wiederauflage harrt. Ein separat soeben veröffentlichtes, preislich nicht gerade tief unten angesiedeltes Buch soll dies wohl kompensieren. Überdies ist festzustellen, dass »Let it Be…NAKED« und somit ein wichtiges Puzzlestück in der Box fehlt. Am stärksten allerdings vermisst man den Film. Er wurde aufwändig von Peter Jackson restauriert und völlig neu zusammengestellt, was die eineinhalb Stunden auf insgesamt sechs Stunden anwachsen ließ. Auch hier entschied man sich bei Apple zu einer separaten, im November folgenden Veröffentlichung in Form eines kostenpflichtigen Streams, ehe eine separate physische Publikation nachfolgt. Die Beatles haben aus dem doch sehr umfangreichen Material für sich – finanziell betrachtet – das Beste herausgeholt und eine ausgesprochen zweifelhafte Veröffentlichungspraxis gewählt. Für die Fans indes bleibt ein bitterer Nachgeschmack, man hätte für das viele Geld mehr bekommen können. Aus dem Vollen geschöpft wurde jedenfalls nicht.