Als der Held Odysseus an den Sirenen vorbeimuss, hat ihm längst wer den Braten verraten. Sein Ziel ist bekanntlich, zum eigenen Herd mit Frau und Kind zurückzukehren. Die Sirenen wären dabei eine tödliche Ablenkung. Um nicht Schiffbruch zu erleiden, heißt es: »You can listen, but you better not touch«. Also muss er sich an den Mast binden lassen, von anderen hilfreichen Männern. Wir nehmen uns da etwas mit für die eigene Lebensreise. Wenn Männer (tugendhaft) unterwegs sind, dann sind immer Frauen (gefährlich) das Problem. Die haben nichts Besseres zu tun, als abzulenken mit Hübsch-Sein und Herum-Gesinge. Schlimm. Nun, liebe Kinder, habt ihr die wesentlichen Eigenschaften des Patriachats kennengelernt, also bitte im weiteren Lebenslauf verinnerlichen.
Theaterautorin Molly Smith Metzler sieht das etwas anders. In der griechischen Mythologie ist sie firm. Die Erinnyen sind in »Sirens« beispielsweise drei elegant gekleidete Frauen, die nichts anderes als Shopping und Party im Sinn zu haben scheinen. Ein milder Entfremdungseffekt sorgt dafür, dass ihre Aussagen im ansonsten naturalistischen Kontext der Miniserie keinen rechten Sinn ergeben. Sie wiederholen mehrmals, wer sie sind, und geben ein belangloses biografisches Detail bekannt, aber sie handeln nie. Es scheint, als würden die Protagonist*innen der Serie die drei – bezeichnenderweise – immer wieder sogleich vergessen haben. Sie sind der Aufputz, der mit Sektflöte in der Hand im Hintergrund steht. Nur (und das ist wirklich clever), sie scheinen zugleich sehr wohl zu wissen, dass alles böse enden wird. Deswegen schütten sie dauernd Alkohol in sich rein. Es ist ja auch nicht ihre Schuld, dass niemand Gewissenbisse zu haben scheint.
Keine Angst, dieser Review ist einerseits spoilerfrei, also einfach die Serie auf Netflix anschauen und sehen, wie letztlich alle Figuren in diesem ausgewogenen Drama scheitern, denn das ist wirklich sehenswert. Und anderseits sind die Bezüge zur griechischen Antike nur Nerd-Stuff, das muss man nicht wissen, um diese knapp sechs Stunden Filmerzählung in vollen Zügen genießen zu können.
Wie geht es den Armen?
Was die Zuseher*innen geboten bekommen, hat es in sich. Smith Melzer zerlegt die Welt der Reichen, wie es kaum jemandem gelingt. Dazu stellt sie zunächst einmal jenen Kontrast her, an dem die gefeierte »White Lotus«-Crew gescheitert ist. Sie erzählt von proletarischen Welten. Davon, dass nicht genügend Geld für die Pflege des kranken Vaters daheim im provinziellen Buffalo vorhanden ist und die eigene College-Ausbildung abgebrochen werden muss, um die kleine Schwester durchzubringen. Das ist zuweilen schmerzhaft realistisch. Das Angebot, auf eine einmonatige Schiffsreise zu gehen, eine Luxusfantasie, die andere Serien einfach genüsslich ausweiden würden, quittiert die Protagonistin Devon DeWitt mit dem Hinweis, dass sie keine Krankenversicherung habe. Stimmt, das ist ein deprimierend realistischer Faktor. Wenn ihr ohne soziale Absicherung auf so einer Traumreise was passiert, kann sie sich eigentlich besser gleich zum Sterben auf den nächsten Stein legen. Für die Kosten eines möglichen Transfers in ein US-Krankenhaus, die medizinische Notversorgung, die Therapien für eine – zum Beispiel – Tropenkrankheit, würde sie schließlich für den Rest ihres Lebens zahlen müssen. So kommt kein wirklicher Fun beim Segeln auf. Ein bemerkenswertes Detail, das sich fast alle Serien, die Cinderella-Geschichten erzählen, sparen: Wenn eine junge und gutaussehende Frau an einen reichen Kerl gerät, der mit ihr tüchtig Spaß zu haben gedenkt, dann verspricht er ihr vielleicht manche teure Eskapade, aber sagt niemals »Babe, ich zahl dir die Krankenversicherung für die nächsten zehn Jahre.« Aber genau das würde Devon DeWitt brauchen, um endlich mal wieder gut schlafen zu können.
Die Selbstsorge und Sorge um andere ist das, was die Frauen ununterbrochen zu leisten haben, während die Männer eher ein bisschen sozial verblödet sind. Aber dennoch werden die Männerschicksale gut und ausgewogen gezeichnet. Die Serie kreist um das Schicksal zweier Schwestern, die eine wahrhaft traumatisierende Kindheit und Jugend verbindet. Die ältere Schwester Devon (Meghann Fahy) versucht, den Vater zu pflegen, während die jüngere Simone (Milly Alcock) sich in einen lukrativen Job als Privatsekretärin der Ehefrau eines Milliardärs aus der Buffalo-Provinz davongemacht hat. Die Figur des Vaters Bruce DeWitt (Bill Camp) ist herzergreifend. Der bereits seit Langem alkoholkranke Mann leidet unter einer schweren Demenz. Meist hat er vergessen, was er seinen Töchtern angetan hat. Hin und wieder fallen ihm Bruchstücke davon ein und er ist ehrlich empört und gelobt, alles wieder gutzumachen – nur um dies wenig später auch wieder vergessen zu haben. »I’m in hell«, summiert er schwermütig. Für die Tochter ist dies eine unlösbare Aufgabe. Sie ist am Ende ihrer Kräfte, wenn der Alte halbstündlich in der Nacht aufwacht, sie weckt und fragt, wo er ist. Auch sieht Devon immer wieder in ihm den Vater, dessen Liebe und Aufmerksamkeit sie sich lebenslang gewünscht hätte. Sie kann dieses alte, hilflose Kind nicht einfach allein lassen und es ist ihr auch unmöglich, ein letztgültiges Urteil über diesen Mann zu fällen.
Wie leben die Reichen?
»Sirens« erzählt mit viel schwarzem Humor die Geschichte unmöglicher Emanzipation. Vor dem Hintergrund dessen, dass letztlich alles einem Mann, dem Milliardär Peter Kell (mit boy-ischem Charme von Kevin Bacon gespielt) gehört, der gute Anwälte hat und niemals seine Macht teilen wird, können Frauen nur versuchen, sich anzudienen. Zu »bezirzen« (Zirze oder Kirke, ist übrigens jene Zauberin, die die Sirenen an Odysseus verrät), indem sie Männern das Leben schönmachen. Devon DeWitt hat beispielsweise die kuriose Neurose entwickelt, Männer abschlecken zu müssen. Das passt mal besser und mal schlechter, um ans »Ziel« zu kommen. Ihr jüngere Schwester Simone meint nach zahlreichen unglücklichen Affären, sie hätte nun als Assistentin der Milliardärsgattin Michaela »Kiki« Kell einen Ausweg gefunden. Die Superreiche wird eindrucksvoll von Julian Moore verkörpert und es scheint eine Weile, als hätte sie ihren Mann Peter im Griff. Sie und ihre Assistentin Simone sind die gefürchteten Herrinnen des riesigen Kell-Hauses und werden deshalb von den Angestellten gehasst. Ein schön herausgearbeitetes Detail liegt darin, dass die Superreichen stets das Gerede ihres Hofstaates fürchten müssen. Die Angestellten reden nämlich ständig hinter dem Rücken von Kiki und an der Stelle dürfen einem die Reichen wirklich ein ganz klein bisschen leidtun, denn das werden sie wohl auch in der Realität aushalten müssen. Das läuft so: Alle, vom Gärtner bis zur Köchin, erhalten eine Textmessage, schauen Kiki an und lachen. Bäh, wie fies!
Das Autor*innenteam hat seine Hausaufgaben bei der Darstellung von US-Superreichen gemacht. Kiki betreibt mit dem Geld ihres Mannes Peter eine Naturschutzorganisation, die sie in eine Art Kult verwandelt hat. Kranke Raubvögel werden aufgepäppelt und der Bezug zur Natur, den man selbstverständlich verloren hat, wird mythisch gefeiert. Das Ganze passiert aber nur, und hier ist die Serie pointiert realistisch, weil Naturschutzstiftungen a) Steuererleichterungen erhalten und b) bei Bebauungsplänen mitreden dürfen. Somit kann Peter Kell auf der wunderschönen Insel Nantucket dafür sorgen, dass andere Superreiche ihm nicht mit ihren Liegenschaften zu nahe kommen. Nach außen hin wird behauptet, man wolle die Naturschönheiten schützen, intern weiß jede*r, dass der Wert einer Immobilie fällt, wenn einem Nachbarn was an die Grundstücksgrenze bauen. Wir wollen doch schön exklusiv bleiben.
Peter Kell ist ein großes Kind, das durchaus sympathisch ist, wie er in seinem Man Cave sitzt und sich einraucht. Er mag Devon und er mag Simone und zu beiden Frauen entwickelt er jeweils eine – nun ja – gute Beziehung. Das Faszinierende daran: Der Mann ist fraglos ein Monster von antikem Ausmaß, aber er ist zugleich auch irgendwie ein netter Kerl, der ja auch nur seinen Spaß haben will. Solange alle nach seiner Pfeife tanzen, funktioniert das auch. Und die Frauen um ihn herum versuchen nun, im wechselseitigen Kampf ein Stück vom Kuchen zu ergattern. Sie vergessen dabei nie ganz ihre familiäre Verbindung und beweisen auch – soweit möglich – Frauensolidarität. Aber was nützt es ihnen groß, in einer Welt, in der alles einem einzigen Mann gehört? Deprimierend und erfrischend zugleich wird die Unauflöslichkeit der US-amerikanischen Klassenverhältnisse und des allmächtigen Patriarchats bebildert, ohne eine einzige der handelnden Figuren abzuurteilen. Sehenswert.
Editorischer Hinweis: Sehr aufmerksame skug-Leser*innen werden festgestellt haben, dass diese Artikelserie bereits vor mehr als zwei Jahren und mit gewissen Ankündigungen gestartet wurde. Kurz nach dem Erscheinen des ersten Beitrags überfiel Russland die Ukraine mit einer gigantischen Militärmaschinerie, die bis heute im Land wütet. Es schien damals, nicht mehr der richtige Moment für launige Streaming-Reviews zu sein. Der Krieg wütet immer noch, es kamen weitere hinzu und skug hat daraus gelernt: Keine weiteren Ankündigungen. Hoffen wir einfach auf die jeweils beste Wendung im Kleinen (Streaming-Serien) und im Großen (Frieden).











