Bestimmte Projekte lassen sich kaum vom Lauf des Momentanen entkoppelt wahrnehmen. Das gilt selbst dann, wenn durch sie Themen fokussiert werden, die lediglich indirekt auf Tagesaktuelles verweisen, wie in der gegenwärtigen Ausstellung »Geografie und die Politik der Mobilität«, in der globale Migrationsbewegungen vor dem Hintergrund weltumspannender Informationssysteme thematisiert werden.
Denn zu Beginn des Jahres 2003 stehen der so genannte Nahe Osten und die mediatisierte westliche Welt unter einem Zeichen. Die monotone Wiederkehr seiner Präsenz gleicht einem fernöstlichem Mantra. In fast quälender Gleichförmigkeit wird man durch das omnipräsente Nachrichteneinerlei nicht bloß daran erinnert, wie durch vorgezogene Neuwahlen in Österreich ein altes Schreckgespenst wiederkehrt, sondern vor allem daran, wie die seit Monaten laufenden Kriegsvorbereitungen der USA unabänderlich in einen Angriff auf den Irak münden. Die jeweils neu initiierten Debatten rund um die Berichte der UN-Kommissäre sowie die Spezifikation der Haltung der europäischen Staaten erscheinen lediglich als zeitlupenhafte Verzögerung des Kriegsbeginns auf der Ebene medialer Repräsentationen, während hinter dieser Oberfläche personifizierten Schlagabtauschs längst mehr als 250.000 US-Soldaten in der Golfregion ihrem Einsatzbefehl entgegensehen.
Spezialeinheiten, deren Uniformen als hochkomplexe militärische Displays zur sekundenschnellen Abtastung der einzunehmenden Gebiete konzipiert wurden, rechnen damit, auf ihren Laptops terrestrische Feininformationen von den Spähflügen der Global Hawk genannten Drohnen zwecks optimaler Verortung ihrer eigenen Aktionen abzurufen. Ihre optischen Aufzeichnungsgeräte erstellen gemeinsam mit Infrarot- und Radarsensoren diffiziles Datenmaterial, das sich tendenziell zur lückenlosen Visualisierung einzelner Gebietsraster eignen soll.
Währenddessen hat sich auch eine Elite europäischer Intellektueller vor den Computerbildschirmen positioniert; in der Stille ihrer Bibliotheken und Institute allerdings. Sie nämlich bemühen sich um ein adäquates Up-Dating ihrer Thesen zum letzten Irak-Krieg 1991 für den bevorstehenden Konkurrenzkampf im Feuilleton. Geradezu eigentümlich mutet es da an, wenn in Redaktionsstuben von Tageszeitungen plötzlich der Versuch unternommen wird, diesen neuerlichen US-Feldzug als ersten Krieg nach dem Maschinenzeitalter mit den Mitteln komplexer Informationssysteme zu definieren, nachdem bereits vor zwölf Jahren von militärischen Technologien die Rede war, deren Abbildungsformen mit den Koordinatensystemen von Computerspielen vergleichbar sind.
Geografie als Datennetz
Ungeachtet dessen üben die Einwohner Israels – und parallel dazu die Menschen in den palästinensischen Gebieten – die bevorstehenden Umwälzungen ihres Alltags durch den Krieg ein. Während die einen vor dem Hintergrund eines in Agonie daniederliegenden Alltags- und Wirtschaftslebens ihre Bunker reaktivieren und regelmäßig ihre Gasmasken testen, erwarten die anderen im Falle des Kriegsbeginns massive Attacken der israelischen Armee auf einzelne Dörfer und autonome palästinensische Zonen. Immerhin betrachtet die israelische Führung den Irak-Krieg als Chance für nationale Rettungsaktionen. Auch wenn die irakischen Scud-Raketen aus dem Jahr 1991 der Weltöffentlichkeit noch einigermaßen in Erinnerung sind, ist anzunehmen, dass Tel Aviv und Jerusalem im Schatten des Dreiecks USA, Irak und Europa verbleiben. Erschreckend rar bleiben in diesem Szenario differenzierte Analysen des politischen Systems Saddam Husseins, und einer damit einhergehenden möglichen politischen Berechtigung es lahm zulegen, ohne gleich zum Parteigänger der US-Außenpolitik zu werden.
Offensichtlich aber ist – über die politischen hard Facts des Versuchs einer Neuaufteilung des Machtgefüges im Nahen Osten hinaus -, dass die traditionellen Wahrnehmungs- und Repräsentationsformen von geographischem Raum durch die internationale Vernetzung von Daten- und Bildaufzeichnungssystemen auf extreme Weise verschoben werden. Durch das Zusammenspiel von Satellitenbildern, GPS-Koordinationssystemen und drahtloser Internetkommunikation mit dem Massenmedium Fernsehen, das weltweit die Wohnzimmer mit emblematisch zugespitzten Informationsszenarien beliefert, wird deutlich, welche Konsequenzen die aktuellen Informationstechnologien auf die Wahrnehmung von Raum haben können.
Im Zuge der Vermessung der Welt mit Technologien militärischer Herkunft kam es zu einem ähnlich radikalen Sprung im visuellen Weltverständnis, wie im Zeitalter der ersten Kolonisationsprozesse der Renaissance, als in der Malerei an der Entwicklung der Zentralperspektive gearbeitet wurde. Höchst naheliegend erscheint es vor diesem Hintergrund, konzentriert KünstlerInnengruppen zu präsentieren, die akribisch daran arbeiten, anhand dieses Phänomens soziale Veränderungsprozesse und aktuelle Formen der Migration im Sinne kulturell politischer Bewegung darzustellen. Wenn die gemeinsame Basis künstlerischer Repräsentationen das Auffinden, die Konstruktion und die Kritik visueller Repräsentationsformen ist, so gilt es auch die Darstellungsformen im Feld der Geografie zu befragen. Bis dato galt das als eher unterbelichtete Zone oder als Obsession von Einzelpersönlichkeiten wie dem Künstler Peter Fend oder dem jüngeren Slowenen Marko Peljhan. Überhaupt riecht der Begriff Geografie noch ein wenig nach Schulfach, das ebenso bald ad acta gelegt wird wie der unhandliche Atlas, in dem noch beruhigend anschauliche Landesgrenzen die Weltverhältnisse verbildlichen. Dass solche nationalen Demarkationslinien bloß eine Version der Wahrnehmung sind, erfahren heute 16-Jährige spätestens, wenn sie ein Referat für den Schulunterricht mit dem Thema »Industrialisierung in der Dritten Welt« vorbereiten müssen und im Kleinformat mit den Vorformen gegenwärtiger Globalisierungsdiskussionen konfrontiert werden.
Virtuelle Handlungsoberflächen
Im Kunstraum mit seinem Potential zur Implementierung gesellschaftspolitischer Debatten bereiteten zahlreiche unabhängig voneinander agierende Gruppen den Übergang historisierender Diskurse zu einer Auseinandersetzung mit geographischen Phänomenen vor. In erster Linie handelt es sich dabei um KünstlerInnen, die sich zunächst mit Themenfeldern beschäftigten, die mit Schlagwörtern wie Migration, Globalisierung oder Urbanismuskritik umschrieben werden können. Eines der verbindenden Scharniere wäre der Begriff »Terrain«, der zunächst im Bereich der Medienkultur eine Umwertung erfuhr, da man im Zuge des Hypes von Digital Culture bald von elektronischem Terrain sprach. Für das Ausstellungsprojekt »Geografie und die Politik der Mobiltät« in der Wiener Generali Foundation jedoch gelangte die Schweizer Künstlerin, Kuratorin und Theoretikerin Ursula Biemann zu einer darüber hinausweisenden Definition, da sie unter »elektronischem Terrain« die Verkopplung elektronischer Kommunikationsnetzwerke mit Abbildungen von Landschaften durch Satellitenmedien oder anderen geografischen Informationssystemen versteht.
In ihrem Einleitungstext zur Ausstellung konstatiert Ursula Biemann: »In verstärktem Maße sind elektronische Landschaften zu Handlungsoberflächen geworden. Satelliten beschränken sich nicht darauf, materielle Topografien der Erde aufzuzeichnen, sondern erfassen auch unsichtbare, das heißt atmosphärische, unterirdische oder unter Wasser gelegene Formationen. Ein aktuelles Beispiel wäre die militärische Ausforschung der Höhlenfestung der Al Quaida. Indem sie Raum durchmessen, repräsentieren Satellitenbilder nicht länger statische Augenblicke, sondern eine dynamisierte Geografie: bewegliche und veränderliche Oberflächen, auf denen ein ständiger Fluss von Signalen und Daten menschliche Migration, Flüchtlingsbewegungen und Grenzüberschreitungen anzeigt. Diese Migrationsströme werden für wissenschaftliche Zwecke, die in der Regel politische Konsequenzen haben,
aufgezeichnet und ausgewertet«. An dieser Stelle betont Ursula Biemann, dass die jeweiligen Bewegungen von den entsprechenden Bedeutungsregimen kontrolliert und gefiltert werden. In der Praxis etwa könnte das zur Geltung kommen, wenn sich eine gewachsene Kultur durch den Zustrom von Einwanderern bedroht fühlt. Somit haben solche Migrationsbewegungen kulturelle Veränderungen zur Folge.
In der Ausstellung »Geografie und die Politik der Mobilität« bietet Ursula Biemann als Kuratorin mehreren Gruppen, die sich als Künstler, Soziologen und Medienwissenschafter verstehen, Raum, ihre Arbeit in Form von Medieninstallationen zu präsentieren. Diese wirken rough und haben Laborcharakter, das Bildmaterial hat mitunter den Anschein eines disparaten Puzzles, da es nicht allein um didaktisch aufbereitete Darstellungen geht, sondern um die Reflexion von Recherchemethoden und den damit verbundenen Repräsentationsformen, die eben nicht mehr ein zentrales Bild oder als Video oder DVD formalisiertes Dokumentationsmaterial zur Folge haben. Sowohl im Konzept der Ausstellung wie auch in der Arbeit der einzelnen Protagonisten wird der Begriff Geografie als Denk- und Wahrnehmungsmodell verstanden. Das Pariser Künstlerduo bureau d’etudes beispielsweise präsentiert ein differenziertes Netzwerk datensammmelnder Systeme, welches zwischen Individuen, transnationalen Unternehmen, Regierungen, Miltärs, zwischenstaatlichen Agenturen und BürgerInnen-Gruppen existiert. Der World-Monitoring-Atlas der Gruppe basiert auf einem Organigramm mit digitalen und strukturellen Darstellungen. Dahinter steht letztlich der Versuch, die klassisch phänomenologische Auffassung von Geographie in eine gegenwartsbezogene strukturelle Darstellung zu übersetzen, die gewöhnlich erst durch mehrere nacheinander liegende linear ablaufende Rezeptionsvorgänge gelesen werden kann, wie das auch in der Analyse wissenschaftlicher Daten der Fall ist.
Vertreten in der Ausstellung der Generali Foundation ist beispielsweise auch eine Dokumentation des von Marko Peljhan begründeten Makrolabs, das als nomadisches Forschungslabor initiiert wurde, um an entlegenen Orten der Welt etwa die Datenströme von Satelliten zu entschlüsseln und öffentlich zugänglich zu machen.
Wichtige Standards im Bereich aktueller Diskussionen um künstlerische Repräsentationen und Politik werden durch den von Ursula Biemann herausgegebenen Reader zur Ausstellung gesetzt. Darin werden nicht nur die vielschichtigen Abbildungsformen von Migrationsbewegungen analysiert. Auch die scheinbar vertraute Verknüpfung von Kunst und Wissenschaft wird von einer bisher eher unterbelichteten Perspektive her angerissen.
»Geografie und die Politik der Mobilität«
Generali Foundation, Wien
http://foundation.generali.at/
Bis 27. April 2003