Foto: Dorian Wood © Magdalena Blaszczuk
Foto: Dorian Wood © Magdalena Blaszczuk

Kolossales Kettenrasseln am Ende der Zeit

Der kalifornische Künstler Dorian Wood wirbelt mit seinem Musikschaffen zurzeit ordentlich Staub auf. Intim, kraftvoll und atmosphärisch setzt er sich in seinem zweiten Studioalbum »Rattle Rattle« über vermeintliche Genre- und Gendergrenzen hinweg. Ein biografisch-diskografischer Ûberblick.

Sein Körper, seine Stimme und seine Ohren, das sind die zentralen Organe, seine Werkzeuge, deren er sich wie ein Zeremonienmeister bedient. Den Körper in seiner Nacktheit auf einer Bühne empfindet Dorian Wood wie ein Kostüm, vergleichbar mit einer speziellen Abendrobe, die man sich für besondere Momente aufspart und dann präsentiert. Nicht zuletzt dieses spezielle Körperverständnis ist auch immer wieder Teil seiner Arbeiten fürs Theater, seiner Performancekunst und seiner Zeichnungen.
Der kleine Dorian Wood liebte es, wenn seine Mutter in der Küche sang. Der Großvater, Calasanz Alvarez, in den 1940er und 1950er Jahren in Costa Rica ein angesehener Pianist, war anfänglich der größte musikalische Einfluss. Wood erhielt seinen obligatorischen Klavierunterricht und bestritt schon im zarten Alter von fünf Jahren sein erstes öffentliches Vorspielen. Es folgten Schultheateraufführungen, da ihn die Kombination von Musik und theatralen Elementen faszinierte. Als Kind wurde er aufgrund seiner pummeligen Erscheinung oft gehänselt, Verletzungen, die natürlich Spuren hinterlassen. Dorian Wood wird sie als erwachsener Künstler in Form von surrealen Monstermenschen-Zeichnungen verbildlichen, und auch in seinen Liedtexten fließt dann nicht selten Blut …

The Dorian Guilt Trip & The Northern Embers
Schon in seiner Kindheit schrieb er »little ditties«, kleine Lieder. In Folge besucht er das Conservatorio de Castella in Costa Rica, wo er Theater, Klavier und Gesang studierte. Als weibliche Vorbilder und Inspirationen nennt er die peruanische Avantgarde-Sängerin Yma Sumac mit ihrem außergewöhnlichen Stimmumfang von fünf Oktaven sowie die legendäre Nina Simone. Nach dem Abschluss des Konservatoriums kehrte er wieder zurück nach Los Angeles und versuchte sich ein paar Semester lang als Filmstudent, wendete sich aber gelangweilt ab. Er zog sich darauf für ein paar Monate komplett zurück, um mittels Boombox und Karaokemaschine Demo-Songs aufzunehmen. Diese Demos führten dann zur Gründung seiner ersten richtigen Art-Rock- Blues-Band mit dem Namen The Dorian Wood Guilt Trip. Nach ein paar Jahren löste sich diese Formation wieder auf. Wood gründete daraufhin einen experimentellen, semi-improvisierenden Gospel-Chor, der auf den Namen The Northern Embers hörte, verließ diesen allerdings nach zirka einem Jahr, da er sich von nun an vor allem seinen Soloprojekten oder temporären Zusammenarbeiten mit (Performance-)KünstlerInnen widmen wollte.

Bolka
dw1.jpgSein Debütalbum »Bolka«, 2007 von der Sängerin und Appalachian Flatfoot-Tänzerin Rebecca Stout (Baby Stout, Hendersonville Song Company) produziert, war von bulgarischen Chor- und Folkmusikelementen geprägt. Unterstützt wurde Wood bei den Aufnahmen vom 1976 gegründeten Frauenchor Nevenka, der sich, mittlerweile auf vier Alben, von Kalifornien aus den komplexen Harmonien und Rhythmen osteuropäischer A-cappella-Musik widmete. Auch Musiker des Cat Hair Ensemble, eines Projekts rund um den Songschreiber Roderick Cumming, das sich durch eine Besetzung im Stile alter Jazzbands auszeichnete und einer Mischung aus Early Jazz, Französischen Chasons, Tango, Musetten, Theatermusik im Geiste Kurt Weills, amerikanischer Folkmusik und Art Punk frönte, halfen Dorian Wood bei den Einspielungen seiner Songs in Nashville und Los Angeles. Solche Genre-Aufzählungen können auch bei der Zuordnung von Dorian Woods Erstlingswerk hilfreich sein. Der Song »Kletka Ot Sniag« mit dem Frauenchor Nevenka ist komplett in bulgarischer Sprache, ein kraftvoller Abgesang auf die zerbrochene Beziehung, die er zuvor mit einem bulgarischen Mann führte: »Musik zu machen ist für mich eine Art Therapie, und das Hören von mancher Musik verschafft mir eine angenehme Gemütsruhe «, so Wood im Gespräch.

Black Pig Suite
dw1.jpgDie Folge-EP »Black Pig Suite« entstand 2009 gemeinsam mit dem kalifornischen Free Jazz- Experimentalorchester Killsonic – die Anzahl der MusikerInnen, mit denen Dorian Wood zusammenarbeitete und die er sanft, aber bestimmt anführte, wurde damit weiter kontinuierlich erhöht. Drei Jahre lang sollte Dorian Wood nun dem Killsonic Orchester immer wieder seine Stimme im Rahmen von diversen Straßenperformances leihen. Ein Akkordeon der Marke »Dorian« und ein Megaphon dienten bei diesen Busker-Performances im urbanen Raum zur Verstärkung seiner schon von Natur aus mächtigen Stimme. In all seiner brachialen Wucht und Wut spiegelt der Song »Pigfeed Blues« auf der »Black Pig Suite«-EP die schier nicht zu bändigende Kraft und Spielfreude der MusikerInnen-Agglomeration Killsonic wohl am besten wider.

Brutus
dw1.jpgAm Ende einer erschöpfenden Europatournee entschloss sich Dorian Wood im Mai 2010 zur Aufnahme eines Live-Albums. Als Ort wählte der bekennende Christ eine der ältesten Kirchen in London, die St. Giles in the Fields-Kirche. Das Album trägt den Titel »Brutus« und könnte damit auf die Figur des Brutus von Troja aka Brutus von Britannien, des sagenumwobenen Gründerkönigs Britanniens, Bezug nehmen. Auf dieser introspektiven Platte, auf der die Hintergrund- und Umgebungsgeräusche des sakralen Gebäudes nicht ausgeblendet wurden, werden Stücke, die unterwegs im rastlosen Tourneebetrieb entstanden, festgehalten und zur Ruhe gebracht: »Religion ist etwas sehr persönliches, individuelles für mich. Sie geht von einer Person aus und ist für diese Person bestimmt. Ich versuche allerdings, meine religiösen Vorstellungen von meinem kreativen Schaffen zu trennen.«

Glassellalia
dw7.jpgNach einem seiner Konzerte ging die Singer/ Songwriterin Angela Correa (Correatown, Les Shelleys) auf Dorian Wood zu und fragte ihn, ob er einen Song für sie schreiben könne. Euphorisiert von dieser Anfrage komponierte Wood innerhalb einer Woche seine Auslegung eines Gospel-Duetts. »Glassellalia« ist ein wunderschön episch-hypnotischer Song und wurde 2012 die erste Single, das erste »Kettenrasseln« der bevorstehenden zweiten Studioproduktion »Rattle Rattle«. Das achtminütige »Glassellalia« gipfelt in der berührenden Call-and-Response-Sentenz: »Faith is babylon and what passes through me cuts through me«. Das Artwork zur EP ist wie schon wie bei der »Black Pig Suite«-EP eine Zeichnung von Dorian Wood. Seit seiner Kindheit zeichnet er, als Inspiration diente ihm unter anderem das mythische Cthulhu- Wesen des US-amerikanischen Horror-Fiction- Autors H. P. Lovecraft. Man könnte die »Glassellalia«-Cover-Zeichnung so deuten: eine hohle, kindliche Fratze mit scharfen, dünnen Reißzähnen, die aus einem Maul ragen, das sich nur zu öffnen scheint, um andere zu verletzen.

Pearline
dw1.jpgDie zweite Vorbotin der apokalyptischen Vision des Opus magnum »Rattle Rattle« war die EP »Pearline«, wieder versehen mit einem Cover- Artwork von Dorian Wood: Zu sehen ist das Haupt einer Nonne. Kindliche Gliedmaßen wachsen aus den Körperöffnungen Mund und Ohren. Im Hintergrund ein großer, schwarzer Kreis. Wie schon im ersten Video zur Single »The Mutual« des Debütalbums »Bolka« verstören diese hintergründig surrealen menschlichen Missbildungen, die seine monströsen Zeichnungen charakterisieren. Das Video zu »Pearline« konzipierte Dorian Wood mit den vier befreundeten Performance-KünstlerInnen Mariel Carranza, Rafael Esparza, Joseph Tepperman and Samuel White: »Ich will den Menschen die Scheu vor dem eignen Körper nehmen. Es geht darum, die Schönheit, die jeder individuell besitzt, zu erkennen, anzunehmen und einzusetzen – unabhängig vom eigenen Gesundheitszustand oder der Körperform. Ich betrachte meinen Körper als ein wertvolles Instrument.«

Rattle Rattle
dw1.jpgNach vier Jahren wurde das aufwendig produzierte Album »Rattle Rattle« im März 2013 fertiggestellt. Dorian Wood hatte dabei über sechzig Musiker zu koordinieren, er stellte dafür das Rattle Rattle Chamber Orchester zusammen, das sich vor allem aus MusikerInnen der Gruppe Killsonic rekrutierte. Dorian Woods erträumte Endzeitphantasien ziehen sich als thematisches Leitmotiv durch »Rattle Rattle«. Jeder der elf Songs behandelt dabei ein anderes Untergangsszenario. Thema des Songs »The Useless Servant (La neige obscènes de Lisieux)« ist zum Beispiel ein Dialog zwischen der 1997 heiliggesprochenen Nonne und »Kirchenlehrerin « Thérèse von Lisieux (1873- 1897) und Gott höchstselbst, kurz vor ihrem frühzeitigen Tod – die Frömmige starb im Alter von vierundzwanzig Jahren an Tuberkulose. Diese autobiografische Lebensgeschichte mit dem Titel »L’histoire d’une âme« (Geschichten einer Seele) zählt übrigens neben der Bibel zum meistgelesenen spirituellen Buch in französischer Sprache. Das hypnotische Duett sang Dorian Wood, der dabei die Rolle von Thérèse von Liseux einnahm, mit der Französin Nina Savary, die Gott somit eine weibliche Stimme verlieh.

La Cara Infinita
Die Lyrics der aktuellen Single »La Cara Infinita « beziehen sich auf eine spanische Weltuntergangsmythologie. Dorian Wood besingt sie gemeinsam mit Eddika Organista, Sängerin des Trios El-Haru Kuroi, einer »East Los Angeles Nueva Tropicalia«-Combo: »Ich wollte »La Cara Infinita« auf Spanisch schreiben, weil ich einerseits diese Sprache für mich selbst noch erforsche und andererseits, weil die Unterdrückung von Frauen in vielen Spanisch sprechenden Ländern zweifellos noch besteht.« In der mythologischen Geschichte, auf der »La Cara Infinita« inhaltlich basiert, flüchten tausende Frauen aus ihrer Gefangenschaft und erheben sich gen Himmel, um am Firmament das »unendliche Gesicht« zu formieren und damit das Ende der Welt zu versinnbildlichen. Ästhetisch ist das von Dorian Wood konzipierte Musikvideo, bei dem er zum ersten Mal auch alleine Regie führt, an Pier Paolo Pasolinis letzten Film »Salò oder die 120 Tage von Sodom« (1975) angelehnt.
Eine frühere Zusammenarbeit mit Marina Abramovic, in der Wood selbst als Akteur agierte, brachte einen weiteren Input. Die Fundraising-Gala »An Artist’s Life Manifesto « im Museum of Contemporary Art, Los Angeles (MOCA) 2011 rief schon im Vorfeld heftige Kritik am bestehenden Museumsbetrieb hervor. Der New Yorker Kunstkritiker Jerry Saltz konstatierte beispielsweise, dass diese Art von Event nur den Museen, Kuratoren und Treuhändern diene, aber nicht mehr der Kunst selbst. Auch die US-amerikanische Tänzerin, Choreographin und Filmemacherin Yvonne Rainer kritisierte die Konditionen, unter denen die PerformerInnen teilnahmen. Ursprünglich wollte Marina Abramovic auch nackte Männer in ihre, an »Nude with Skeleton « angelehnte Arbeit, im Rahmen der »An Artist’s Life Manifesto«-Gala einbinden, was vom damaligen Direktor des MOCA, Jeffrey Deitch, aber strikt mit der Begründung untersagt wurde, dadurch würden sich die anwesenden Geschäftsmänner auf der Gala unwohl fühlen. Dorian Wood war darüber entsetzt, auch, wie beiläufig das gesagt wurde: »Als ob die Anwesenheit von nackten Frauen die Betrachter weniger unwohl fühlen lassen würde! Diese Art von Objektmachung von Frauen innerhalb eines Museums für moderne Kunst hat mich wirklich erschreckt. Ich habe das Video »La Cara Infinita« als Antwort darauf produziert und im Vorspann dem verantwortlichen Museumsdirektor Jeffrey Deitch gewidmet.« Das Musikvideo, das heftige Kontroversen hervorrief, enthält Szenen, in denen unbekleidete Männer zum Objekt gemacht und erniedrigt werden. Entblößte Frauen (MargaretCho!) sind ebenfalls zu sehen, werden aber in immens starken, stoischen Positionen dargestellt. Durch diese Inszenierung erscheinen sie wie aus einer anderen Welt. Ein Meister der Theatralik ist wieder einmal seinem Tumblr-Motto treu gebleiben: Dorian Wood is not here to comfort you.

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