Kante haben mit »Zweilicht« eines jener Alben veröffentlicht, an denen im Popjahr 2001 kein Weg vorbeiführt. Und zwar nicht, weil die Musikindustrie, der Diskurs oder das Lifestyle-Blatt das vielleicht gerade so empfehlen würde, sondern weil diese Platte bei all ihren gewichtigen Referenzen schlichtweg so wunderschön ist, dass man sie der persönlichen Befindlichkeit wegen ganz einfach braucht. Meine bereits im letzten Heft nachzulesende Begeisterung für »Zweilicht« wurde durch die Heavy-Rotation der letzten Monate jedenfalls nur bestärkt. Zusätzlich untermauert wird sie durch Peter Thiessens gehaltvolle Ernsthaftigkeit im Interview, die sich wie Kantes Musik so wohltuend vom achselzuckenden Durchschnittsgeplärre abhebt, das den gegenwärtigen Pop-Alltag viel zu häufig dominiert.
Seit der Veröffentlichung eures Debüts »Zwischen den Orten« sind mehr als drei Jahre vergangen. War diese lange Pause eine bewusste Entscheidung oder hat die Entwicklung der Musik, sozusagen die Reise an den Punkt, an dem »Zweilicht« entstehen konnte, dies erforderte?
Für uns ist der Zeitraum zwischen den beiden Platten normal. Vor der ersten Platte haben wir ja schon fast zehn Jahre zusammen Musik gemacht. Da sind zweieinhalb oder drei Jahre nicht besonders viel. Zum einen brauchten wir eine gewisse Zeit um zu verdauen, was mit der ersten Platte so passiert ist; dann hat Jens Vogt, unser damaliger Keyboarder, die Band verlassen, um sein Studium zu beenden, und wir mussten lernen, mit dieser Lücke umzugehen. Wir hatten verschiedene Gast-Keyboarder und haben mittlerweile Thomas Leboeg von Iso 68 als festes Mitglied gefunden.
Wenn man etwas sagen will, muss man auch etwas zu sagen haben. Ich glaube nicht, dass Musik einfach so aus einem herausgeblubbert kommt, sondern wenn da etwas aus einem heraus kommt, ist vorher auch etwas in einen hereingegangen. Und dieser Prozess, sich anderen Dingen, auch anderer Musik aus zusetzten, ist uns sehr wichtig und braucht Zeit. Die anderen Bands, in denen wir spielen – Laub, Sport, Blumfeld – sind für uns ebenso wie Platten hören, Konzerte besuchen, Leute treffen, lesen etc. auch eine Möglichkeit, viel zu lernen und andere Erfahrungen zu machen.
Rund um die Entstehungsgeschichte der neuen Platte ist allerorts von der kompositorischen Arbeit am Computer die Rede. Wie kam es dazu, wie hat sich das in der Praxis gestaltet und welche Bedeutung kam dieser Arbeitsweise zu?
Wir haben uns nach längerer Zeit wieder im Proberaum getroffen und versucht, neue Stücke zu schreiben. Das klappte aus verschiedenen Gründen nicht so, wie wir uns das vorgestellt hatten: Wir hatten uns alle in unterschiedliche Richtungen entwickelt. Außerdem wussten wir auch schon ziemlich früh, dass wir nach der ersten Platte, die live im Studio eingespielt wurde, eine richtige »Studio-Platte« mit Streichern, Bläsern und allem Pipapo machen wollten. Das kann man nicht wirklich im Proberaum proben, also lag der Computer nahe. Wir arbeiteten über ein halbes Jahr im Studio unseres Gitarristen Felix Müller im Turmzimmer eines kleinen Elbschlosses bei Hamburg. Dort haben am Computer quasi eine Band nachgebaut. Es ging uns nicht darum, elektronische Musik zu machen. Viele Sachen sind am Computer einfach sehr übersichtlich umzusetzen – Streicher, Bläser, Percussion etc. Für uns ist es nicht so entscheidend, ob wir am Computer oder im Übungsraum Musik machen, denn wir waren nie eine besonders »expressive« Band. Wir versuchen, Kraft nicht über Ausdruck herzustellen, sondern über das Vertrauen in das musikalische Material selbst.
Ich finde an der Platte unter anderem so toll, dass ihre Komplexität zwar harte Arbeit nahe legt, die einzelnen Stücke im Endeffekt aber zum Teil eine wunderbare Leichtfüßigkeit ausstrahlen. Wie siehst du dieses Spannungsfeld selbst?
Wir arbeiten tatsächlich meistens sehr lange an den einzelnen Stücken; als besonders »hart« empfinde ich diese Arbeit allerdings nicht, denn es ist ja ein sehr angenehmer Luxus, das tut zu können.
Für mich ist Musik wie eine Sprache – nicht im Sinne eines Mediums, einer Leitung, wo man Inhalte oder Sinn vermittelt, sondern im Sinn einer Funktionsweise, einer Grammatik, einem System von Unterscheidungen und Übergängen. Wenn wir Musik machen, setzten wir uns dieser Sprache aus, ohne sie zu verstehen und ohne sie zu beherrschen. Der wichtigste Moment beim Produzieren oder Hören von Musik ist ja der, wo einen etwas berührt oder ergreift. Und »ergriffen sein« sagt etwas darüber, dass diese Berührung weniger mit dem Ausüben von Macht zu tun hat als mit dem Verlieren von Macht und Kontrolle. Eigentlich warten wir immer auf den Moment, in dem man spürt: Das ist richtig, oder: Jetzt fängt es an zu funktionieren. Ab da »sagt« einem die Musik mehr selbst, wo sie hin will, als dass man sich das ausdenken müsste; sie funktioniert »wie von selbst«. Dahin zu kommen ist bei uns ein oft sehr langer und fast meditativer Prozess, der sehr viel Konzentration braucht.
Welche Bedeutung haben eigentlich die Texte bei Kante? Also erst einmal vor dem Hintergrund, dass Lyrics für euch offensichtlich keine Notwendigkeit darstellen, ebenso wenig die Verwendung der deutschen Sprache; außerdem denke ich in diesem Zusammenhang an Dinge wie Musik als Sprache bzw. Sprache/Texte als Sound.
Es gibt einfach Stücke, für die sich Gesang anbietet und Stücke, bei denen das weniger der Fall ist. Wir legen Wert auf verbindliche Strukturen; auch wenn es keinen Gesang gibt, gibt es immer Elemente, die durch ein Stück führen. Eigentlich sind alle Instrumente immer wie Stimmen komponiert. Das Schlagzeug ist nicht nur Rhythmusgeber, sondern es hat auch melodische Funktionen. Die Texte sind Songtexte; das sind keine Texte für Lyrikbände, und es sind auch keine besonders erklärenden, sondern eher erzählerische Texte.
An Texten wie an Musik interessiert mich eigentlich am meisten das Versprechen, das sie geben können. Dabei ist das Halten des Versprechens gar nicht so entscheidend. Das Versprechen ist das Utopische. Wir brauchen es nicht nur im alltäglichen Zusammenleben, sondern auch, um die Welt zu verändern. Im übrigen sind meine Texte, so hoffe ich jedenfalls, keine »deutschen« Texte. Mich verbindet weder mit »deutscher Sprache« noch mit »deutscher Kultur« irgendetwas – um ehrlich zu sein, hasse ich sie.
Abteilung Mythenforschung: Eure beiden Platten – und für die Remix-Platte gilt genaugenommen Ähnliches – enthalten jeweils sieben Stücke, die Gesamtspielzeit ist bis auf wenige Sekunden gleich. Steckt mehr als Zufall hinter diesen formellen Ähnlichkeiten?
Du bist der erste, dem das auffällt, cool. Sieben Stücke scheint so unsere Zahl zu sein. Die Reihenfolge der Stücke auf den Platten haben auch gewisse Ähnlichkeiten: stark anfangen, etwas entspannter werden, dann zum Höhepunkt kommen und ausklingen lassen. Es war natürlich eher ein willkommener Zufall, bei der zweiten Platte schon wieder sieben Stücke zu haben. Dann gab es auch noch diesen Gag, zwei Platten mit den Anfangsbuchstaben »Zw« zu machen. Und um der Mythenbildung weiteren Vorschub zu leisten: Der Name der zweiten Platte ist auf der ersten im Stück »Highway« versteckt, das ist auch noch niemand aufgefallen.
Abschließende Fan-Frage: Angenommen ihr hättet die Möglichkeit, ein Konzert-Programm mit euch selbst und einer Handvoll anderer Acts zusammenzustellen – mit welchen Bands/MusikerInnen (auch historisch) würdet ihr am selben Abend auftreten wollen?
Vielleicht Skip James, Archie Shepp, Iggy Pop, Cpt. Kirk &., Abbey Lincoln und Robert Wyatt? Es gäbe natürlich noch unzählige andere – und außerdem würde ich mich wohl bei keinem von denen trauen, selbst auch aufzutreten.
Diskografie:
At Home He Feels Like A Tourist/Heiligengeistfeld (7inch feat. Freewheelin??? Knarf Rellöm, Kitty-Yo, 1997)
Zwischen den Orten (CD/LP, Kitty-Yo, 1997)
»Einigen wir uns auf die Zukunft« (Song auf dem gleichnamigen Labelsampler von Kollaps, Kitty-Yo und Payola, 1997)
Redirections (CD/LP mit Remixen von u.a. Tobias Levin, Thomas Meinecke, Kinderzimmer Productions und Carsten Hellberg/Schorsch Kamerun; Stewardess, 1998)
Die Summe der einzelnen Teile (CD-Single, Kitty-Yo, 2000)
Zweilicht (CD/DoLP, Kitty-Yo, 2001)
Im ersten Licht (6-Track-12inch mit Remixen von u.a. Frederique of Ming, Felix In’t Veld und Robert Lippok; Kitty-Yo, 2001)