Andromeda Mega Express Orchestra © Gianmarco Bresadola
Andromeda Mega Express Orchestra © Gianmarco Bresadola

Intergalaktische Irre: Die Berliner »Kosmostage« 2015

Am kommenden Wochenende, dem 17. und 18. Juli, wird Berlin zum Zentrum für ›Universelle Musik‹: Das Andromeda Mega Express Orchestra (AMEO) lädt zur zweiten Ausgabe der »Kosmostage«, mit dabei u. a. Hermeto Pascoal, Els Vandeweyer, Lanaya und Musik von Guillaume de Machaut (1300-1377). skug traf AMEOs Andi Haberl zum Interview.

Nur eine Woche nach dem superben »Heroines of Sound«-Festival findet mit den »Kosmostagen« gleich das nächste Highlight im Berliner Radialsystem V statt, das sich damit weiter – und entgegen seinem Ruf als Experimentierfeld für bürgerliche Hochkultur – als spannender Ort für selten gehörte Musik etabliert. ›Universell‹ nennt sich diese Musik im Fall der »Kosmostage«. Das heißt nicht nur, dass sie sich aus Traditionen mehrerer Kontinente und allerlei Genres speist, sondern auch, dass Musik aus dem Hochmittelalter neben Kompositionen für das Heute steht. Kurz: Das Programm ist sogar noch eine Spur bunter, als es das Plakat andeutet. skug sprach mit Andi Haberl, Percussionist beim AMEO, bei The Notwist und Lord knows wo sonst noch überall.

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Denn niemand Gernigeres als das universalberühmte, 18-köpfige Andromeda Mega Express Orchestra steht hinter diesem Festival, jenes irre intergalaktische Ensemble für alles orchestral Leftfieldige von atonalem Jazz bis Sci-Fi-Soundtrack, das hier zum zweiten Mal ein Line-Up zusammenkuratiert hat, das keine Grenzen kennt – und das nicht nur selbst an beiden Abenden Hauptact ist, sondern auch bei der Mehrzahl der auftretenden Projekten aktiv beteiligt ist. »Es sind so unterschiedliche Leute beim AMEO, die aus so unterschiedlichen Richtungen kommen, daraus ergibt sich von selbst eine bunte Mischung. Und es macht Sinn, das so, als Festival, zu präsentieren«, sagt Andi Haberl.

Musiker, Magier, Gott: Hermeto Pascoal

Besonders hervorzuheben ist die Zusammenarbeit mit Hermeto Pascoal am Freitagabend. Pascoal lernte früh Akkordeon, aber begab sich schon als Jugendlicher aufs musikalische Experimentierfeld. Der Jazz-Autodidakt spielte mit Miles Davis, gilt als brasilianische Antwort auf Sun Ra und ist in Europa nur allzu selten zu erleben. Seine Musik zwischen brasilianischer Rhythmik, Melodiensattheit und Free Jazz passt ganz hervorragend zum Express Orchestra: »Für Daniel Glatzel [AMEO-Leiter, Anm.] ist er der kompletteste Musiker der Welt. Auch die Stücke, die er schreibt, sind so organisch, einerseits, so schön, so leicht und fröhlich, aber sie haben andererseits auch etwas Komplexes, sehr Eigenes. Er hat sich im Laufe der Jahre eine ganze eigene Richtung aufgebaut. In Brasilien kennt ihn jeder, Pascoal ist da ein totaler Gott. Und zu Recht.«
Glatzel schrieb neue Arrangements für Stücke von Pascoal, der wiederum zusätzlich seinen Sohn, den Percussionisten Fabio Pascoal, und die Sängerin Aline Morena ins Klangbild einbringt, was die Halle des früheren Abwasserpumpwerks mit wilden Schattierungen bepinseln wird: »Ich kann da viel lernen und Spaß haben.«

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Afro-Funk

An beiden Abenden beginnt das Programm unter freiem Himmel auf der Terrasse direkt am Spreeufer. Das Festival eröffnet mit Onom Agemo & The Disco Jumpers ein Berliner Act, dessen polyrhyth- mischer Afro-Funk mit psychedelischen Synths und treibenden Grooves an Pioniere wie William Onyeabor und Manu Dibango erinnert. Stammt die Besetzung der Disco Jumpers überwiegend aus Europa (Mastermind ist Saxofonist und AMEO-Mitglied Johannes Schleiermacher, der bei den »Kosmostagen« bei quasi jedem Projekt die Finger im Spiel hat), setzt sich die Gruppe Lanaya, ebenfalls in Berlin beheimatet, aus MusikerInnen aus Burkina Faso zusammen. Lanayas Sound ist inspiriert von Musiktraditionen der Manding-sprechenden Bevölkerungsgruppen, einer Sprachfamilie, die vor allem in Mali, Burkina Faso, Ghana und der Elfenbeinküste gesprochen wird; die Musik des Septetts geht dabei weit über bloße Rekonstruktionen von Folklore hinaus.


Samstags wird die Open-Air-Terrasse vom Jazz-Quartett Blume bespielt und Andi Haberls neues Projekt Sun feiert hier Premiere: »Diese Stücke haben ziemlich sangliche Melodien, sind schon einfach und harmonisch, aber sie haben immer einen Kniff. Mal sind sie völlig auskomponiert, mal eher frei, mal klingt es wie Flying Lotus.«

Vom Free Jazz ins Mittelalter und von dort auf den intergalaktischen Dancefloor

Weitere Acts sind die Vibraphonistin Els Vandeweyer, bekannt als Mitglied des belgischen Free-Jazz-Quartetts Quat, das deutsch-isländische Ensemble für Neue Musik Adapter, die sich jüngerer Kompositionen von David Brynjar Franzson und Simon Løffler annehmen, ein Quartett um die AMEO-Mitglieder Matthew Lonson und Laure Mourot, die gemeinsam mit Sarah Souza-Simon und Jia Lim ein Werk von François Coupertin aus dem 18. Jahrhundert spielen werden. Lim ist auch solo mit Györgi Ligetis »Passacaglia Ungherese« (1978) zu hören.
Zum Abschluss kann man sich am Samstag auf ein DJ-Set von Mouse on Mars freuen: nach einem Abend, dessen Hauptteil (neben dem obligatorischen AMEO-Set) aus einer brillanten eklektischen Mischung besteht, die, von einem Werk des recht singulär neben den Traditionen stehenden Giacinto Scelsis von 1968 ausgehend, den Bogen spannt über Musik des 13. und 14. Jahrhunderts (aufgeführt von Oferi Consort) und traditionelle Musik aus Mali hin zu Charles Ives‘ Komposition »Universe Symphony, Life Pulse Prelude No. 1« (1915-1928).
»Wir haben auch klassische Musiker bei uns im Orchester, und Daniel wollte eine Brücke schaffen, die die klassische Musik, die gespielt wird, gut verbindet«, so Haberl. »Es wird ein bisschen wie ein DJ-Set sein, es gibt keine Pausen, sondern nur Ûbergänge. Alles passt musikalisch zusammen.«
Man darf gespannt sein, wie flüssig und groovy der Mix dieser »Kosmostage« wird: die Elemente sind jedenfalls alle sehr vielversprechend.

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