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»Im Raum« Streichquartett von Dieter Schnebel, Musica Viva – Carl-Orff-Saal, Gasteig, München, 06.03.09

»Alles muß haargenau in eine tobende Ordnung gebracht werden« (Antonin Artaud)

»Im Raum« (2005/06), das erste Streichquartett des sogenannten Alt-Avantgardisten Dieter Schnebel, hat einen Beginn, bei dem ein Streichquartett den ganzen Raum einnimmt. Zwei Musiker auf der Bühne, zwei im Hintergrund des Zuschauerbereichs. Serielles Material, den ganzen Carl-Orff-Saal auslotend und wie Freiraum zum entspannten Atmen schaffend. In einem Raum, der auch auf die mythische Unterwelt verweist, denn der Tetrachord vom Anfang von Strawinskys Orpheus-Ballett wird betont mit eingesetzt. Und nun wird Bewegung ins Stück gebracht. Die zwei Streicher im Zuschauerraum gehen während sie spielen auf die Bühne zu, wo sich das Quartett formiert. Und dies, um ein choreografisches Spiel zu beginnen. Denn so wie Sätze unterschiedlicher musikalischer Spielweisen und Arten in der Komposition auftauchen, zeigen sich auch die Musiker wechselnd in mehr oder weniger geordneten Gruppierungen. Werden die Streichinstrumente dabei auch sequenzweise mit den Fingern wie Pecussioninstrumente benutzt, so sind auch die Schritte der Musiker in militärischer Manier aufstampfend als Rhythmus mit eingesetzt. Musikalisch sind da immer wieder Anfänge, von dem was möglich ist, Anfänge aber auch wie Zitate aus der Musikgeschichte. Kaum stellt man sich dabei auf einen Rhythmus oder eine Melodie ein, kommt ein Abbruch. Ständig wird etwas Neues begonnen, nur um immer wieder abgebrochen zu werden. Sowohl visuell als auch akustisch entsteht dabei eine seltsame Unruhe, inmitten darin manchmal drohender Leerraum. Es gibt nichts, worauf man sich in Ruhe einlassen könnte. Antonin Artaud schrieb einmal: »Alles muss haargenau in eine tobende Ordung gebracht werden.« (aus »Schluss mit dem Gottesgericht«) Im Carl-Orff-Saal ist es, als wolle Schnebel versuchen, völlige Unruhe, etwas grausam Beunruhigendes, bewusst durch ihn verursacht, gleichzeitig wieder zu strukturieren und somit zu ordnen und zu bändigen. Einem Dämon zu zeigen, wer Herr ist. Dass Artaud dabei bei seiner Arbeit nicht nur bis an seine Grenzen ging, oder dazu gebracht wurde, darüberhinaus zu gehen und dabei zerstört wurde, wissen wir. Im Stück »Im Raum« aber löst Schnebel eine in die Enge treibende und aufreibende, bedrohende psychologische Dynamik, die konträr zum Anfang zunehmend von weiten Teilen des Stücks ausgeht, aber wohlweislich spielerisch auf in absoluter Nähe zur derzeitigen Szene der freien Improvisation. Um schließlich mit einer Melodie, mit der man an den Jazz der 1950er Jahre erinnert wird, sowas wie ein Geborgenheitsgefühl auftauchen zu lassen. Indizien dafür, dass Geborgenheit vielleicht nicht mehr als ein flüchtiges Gefühl ist, sind aber im ganzen Stück: Lyrische, romantische Melodiefragmente sind zwischen Klopfzeichen auf den Instrumentenkorpus, Peitschenschläge mit dem Bogen in die Luft, dem schleifenden Kratzgeräusch des Cellostachels auf dem Boden, schmerzenden Ton, der beim Entlangstreichen an Kanten entsteht, dem faschistischen Aufstampfen von Schuhsohlen wie Momente, die auf eine Vergangenheit verweisen, die eine zum untergehen verdammte Welt ist, aber dabei beharrlich präsent ist. Wobei man sich die Frage stellen kann, ob das Falsche, das Verlogene nun die biedere Idylle oder die zügellose Freiheit ist. Genau nachlesen kann man im Programmheft, wie Anfang, Scherzo, Adagio, Finale und Coda aufgebaut sind. Bis ins Detail beschrieben ist, was musikalisch und szenisch aufgeführt wird. Doch das wirkliche Spannende entsteht beim Sich-Einlassen auf die Freiheit des Assoziationsspielraums, der wie ein Obertonklang über dem Ganzen wie ein weiterer Raum wahrnehmbare Option ist und nicht festgeschrieben steht. Und da ist im Programmheft auch immer wieder von dem unsichtbaren Fünften die Rede, der zu Anfang des Stückes auch als Schattengestalt mit auftaucht. Den ich aber nicht bemerkte. Ein Doppelgänger? Beobachter? Besucher aus der Unterwelt? Geist aus höherem Übersinnlichen? Vielleicht erinnert er daran: Es war einmal fast einfach jenseits von Gut und Böse. Zwei der Musiker ziehen sich zum Schluss dann wieder spielend in den Zuschauerraum zurück. Doch der entspannte Klangraum des Anfangs, dem man trauen wollte, entsteht nicht noch einmal. Man muss nicht unbedingt bahnbrechend Neues einsetzen, um den harten Puls der Zeit zu treffen. Man muss nur genau wissen, was man tut und was andere tun um Relevantes widerzuspiegeln, wie Schnebel.

Erstveröffentlichung: www.satt.org

Home / Musik / Konzert

Text
Tina Karolina Stauner

Veröffentlichung
24.04.2009

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