»Nur noch halb nackte Mädchen turnen in diesem großen Einheitsbrei«, konstatierte kürzlich Tom Barmann, Chef der belgischen Band dEUS, der neuerdings selbst hinter der Kamera steht und einen Film plant. Mag sein! Dabei spiegelt eine bloße Tatsache: Musikvideos bilden, seit der Gründung des TV-Kanals MTV anfangs der 80er Jahre, einen unentbehrlichen Bestandteil der sogenannten »special interest«-Gruppe. In der Populärkultur profitieren sodann alle ordentlich mit. Eine Unsumme gibt die Musikindustrie jährlich aus, um den rappenden-rockenden Singsang ihrer Stars ins mediengerechte Licht zu rücken. Produziert, um nach intensiver »heavy-rotation«-Phase alsbald wieder von der Bildfläche zu verschwinden. Doch dank der ansprechenden Visualisierung erreicht das »monkey business« womöglich mehr, als über die herkömmliche Ätherverbreitung. Schließlich ist das Musikvideo nichts anderes als ein Werbespot.
Mittlerweile hat sich das Musikvideo zu einer farbigen Kunstform entwickelt, führt aber trotz allem eine Schattenexistenz. Oft hört man den Einwand »wer Video-Clips dreht, möchte doch im Grunde »Höheres« erschaffen, als im Dienste von Madonna & Co. die Geldmaschine in Gang zu setzen«. Einige talentierte Videoclip-Regisseure wie Michel Gondry schafften später dann auch den Sprung auf die Breitleinwand und konnten mit abendfüllenden Filmen Erfolge feiern (»Eternal Sunshine of the Spotless Mind«). Seit dem Ausbruch der Klingelton-Epoche auf MTV könnte nun das kultige Musikvideo dem Ende entgegenflimmern. So verheißungsvoll jenes Medium startete, so sang- und klanglos könnte es in den nächsten Jahren als Kunstform wieder in die Nischen absickern. Quick and dirty muss es auf dem Set her und zu gehen, Gehaltvolles ist derzeit nicht angesagt (was reigenweise zu »räkelnden Mädchenturnszenen« führt). Da kommt die DVD-Werkschau aus der Reihe »The Work of Directors« gerade richtig. Das Konzept sieht vor, dass ausgewählte Regisseure eine eigene Scheibe mit ihrem Schaffen gestalten. Nicht verwunderlich also, wenn in einigen Beiträgen die Musikvideos mit Kurz- und Werbefilmen ergänzt werden. Wohl ganz im Sinne: Kapitalismus kann eben auch Kunst sein…
Die Regisseure Spike Jonze, Michel Gondry und Chris Cunningham machten erst den Anfang. Vorbildlich, dank eben aufwändigeren Produktionen, gepaart mit verspielten und cleveren Ideen, in einer durchwegs eigenständigen Bildsprache, werten sie den selbst noch so pathetische Mainstream auf. In diesem Kontext sind einige Pop-Bands, leider nicht immer nur die besten, überproportional vertreten. Es sind aber die Regisseure und ihre unverkennbare Handschrift, die jenes alchemistische Wunder vollbringen, mit dessen Hilfe sich selbst noch der größte Mist vergolden ließe. Für die Fortsetzungsserie haben die stilprägenden Clip-Meister Anton Corbijn, Jonathan Glazer, Mark Romanek und Stéphane Sednaoui die Ehre, Highlights aus ihrer Karriere vorzustellen. Die ließen sich nicht zweimal bitten und decken mit den Neuerscheinungen eine weitgefächerte Bandbreite von Johnny Cash bis Red Hot Chili Peppers ab. Das kunstsinnige Publikum wird sich freuen, um gleich einen Seufzer hinterher zu schicken und sich fragen, wann solche Clips endgültig der Vergangenheit angehören. Eines indes ist sicher keine Träne wert: Der im 81er-Hit besungene »Radiostar« wurde längst schon vom Videoclip ermordet, längst hatten die Buggles eine dunkle Vorahnung davon. Tenor und Frauenheld Joseph Schmidt müsste heutzutage seine Arien im Swimmingpool, protzig mit Goldketten bestückt und umgeben von exotischen Bunnys, trällern.
Anton Corbijn, Jonathan Glazer, Mark Romanek, Stéphane Sednaoui: »The Work of Director«, Vol. 4–7« (Mute/EMI)