Eine Holzkabine dominiert die Altbauwohnung mit dem hohen Plafond nahe der Wiener Thaliastraße. Sie erinnert an die alten Sprecherkabinen im ORF. »Die Kabine war die beste Investition meines Lebens«, sagt Alexander Yannilos. »Das ist eine Zwei-Schalen-Konstruktion. Der innere Raum berührt den anderen nicht.« So kann der Schlagzeuger Tag und Nacht üben, ohne jemanden zu stören. Ab sechs Uhr früh. »Ich habe nicht studiert, seit zehn Jahren nur Musik produziert. Circa sechzig Alben wurden hier in diesem Raum abgemischt.« Alexander, der sich »zu hundert Prozent als Schlagzeuger« fühlt, obwohl er seit Jahren auch als Tontechniker, Produzent und Label-Betreiber arbeitet, kommt aus der Improvisation. »Ich fühle mich wohler, wenn das Risiko im Raum ist«, meint er. Seine Musik passiere im Moment, »sie soll aber so klingen, als ob sie über Wochen gebaut wurde. Sie soll produziert klingen. Wie ein Track, den man nicht aufhalten kann. Als könnte man sie nicht stoppen.«
Papier-Schlagzeug als Kind
Das Salon-skug-Konzert im Wiener Au in der Brunnengasse war einmalig. Es ist kaum zu glauben, aber dieses dichte, einsame, einstündige Schlagzeugspiel plus Elektronik war improvisiert! Das sei nur möglich, weil er so viel übe, meint Alexander, der Ideen im Kopf abruft, direkt umsetzt und verschiedene Set-ups internalisiert hat. »Ich übe Improvisation«, benennt er sein Verfahren. Jeden Tag stundenlang. Das scheint in ihn eingebrannt zu sein. Schon als Kind spielte er auf einem Blatt Papier auf dem Sofa mit selbstgeschnitzten Sticks. »Das Papier zischte so, wenn es riss«, lächelt er in Erinnerung an sein Zeitungspapier-Schlagzeug, als er zehn Jahre alt war. Alexander dreht heute sogar die Knöpfe seiner Elektronik intuitiv, wie er angibt. »Ich bin glücklich, wenn genau das kommt, was ich in meinem Kopf höre. Es gibt große Unterschiede in Bezug auf Schlagzeug. Bei elektronischem Schlagzeug folgt die völlige Stille auf den Schlag, da scheppert nichts nach, die Leute merken das.« Er hingegen liebt das echte Schlagzeug und hat es ganz eigen erweitert, um dessen akustische Grenzen zu überwinden. Mich erinnert sein Engagement an die Phase nach der Minimal Music in den 1980er-Jahren, als Frauen auf Synthesizer umstiegen, um ohne Band auszukommen.
200 Stück »Freistunde«
Auf jeden Fall treibt ihn eine sehr starke Energie an. Bei MOTHERDRUM improvisiert Alexander mit verschiedenen Musiker*innen. »Die merkten, dass sie auf druckvolle Art improvisieren müssen«, deutet er seine etwas extreme Improvisationsweise an. An der Wand hängen lauter Plakate in verschiedenen Farben und einheitlichem Stil. In der Reihe »Freistunde« organisierte er nämlich sechs Jahre lang wöchentlich ein Konzert. 200 waren es insgesamt! »Bei MOTHERDRUM-Konzerten fühlt es sich an, als würde ich um Leben und Tod spielen«, behauptet er ernsthaft. Kennt man seine Vorgeschichte, scheint auch der Name MOTHERDRUM nicht zufällig gewählt: Der Tod seiner Mutter in jungen Jahren und die Emanzipation vom strengen Vater stellten auch den Beginn seiner schlagzeugerischen Entwicklung dar, die ihn von Punk zu progressivem Rock, zu Funk und schließlich zu Jazz, Improvisation und allen Arten moderner, fortschrittlicher Musik führte. Beim Konzert ist es fast nicht zu glauben, wie ein einzelner, junger Mann diese selbst erfundene und ausgeführte Musik durchhalten kann. So lange Zeit. Volle Konzentration, Lockerheit und Coolness gleichzeitig. Er musste sich schon früh auf sich selbst verlassen und das macht er bis heute. Hut ab.
Links:
http://www.motherdrum.rocks
https://www.freifeldtontraeger.com/yannilos