arte
Grykë Pyje

»Crepuscular Elixirs«

Artetetra

Das deutsch-finnische Duo Grykë Pyje treibt sich schon eine Weile im experimentellen Underground herum, in dem es vor abenteuerlustigen und technik-affinen Autodidakten nur so wimmelt, und legt mit »Crepuscular Elixirs« sein viertes Album vor. Mit Blick auf die Einordnung dieser Veröffentlichung ist es hilfreich, sich an musikalische Projekte zu erinnern, die Mitte der 2000er wie Pilze aus dem Boden schossen. Ich rede von all den Formationen, die, gern auf dem Boden kniend oder an Tischen stehend, allerlei elektronisches Equipment und akustisches Kleinmaterial zur Klangerzeugung nutzten und auf diese Art flüchtige und schillernde musikalische Gegenwelten schufen. Labels wie Digitalis, Ikuusius, Fonal, Dekorder, NotNotFun, Singing Knives und viele andere veröffentlichten Musik von Kemialliset Ystävät, Paavoharju, Hototogisu, Birds of Delay, Iibiis Rooge, Shiggajon usw. Hier liegen die musikalischen Wurzeln von Grykë Pyje. Beide Akteure des Duos haben als autodidaktische Solisten in diesen Milieus angefangen, Musik zu machen: Jani Hirvonen als Uton, Johannes Schebler als Baldruin. An die Stelle der unübersichtlichen Versuchsanordnungen zur Klangerzeugung (Dutzende von Kleinstgeräten zur Geräuscherzeugung) ist über die Jahrzehnte hinweg das digitale Arbeiten getreten. Die detaillierten Klanggebilde entstehen mit Hilfe von Audiosoftware und Plug-ins. Jede Art von Instrument oder Tongemisch kann auf diese Weise emuliert und die synthetisch erzeugten Klänge können millimetergenau arrangiert werden. So entstehende elektronische Musik wirkt sowohl hermetisch abgeschlossen als auch im Erleben offen für Interpretation. Sie ist ihrem Entstehungsprozess nach technisch beschreibbar, aber im Detail bzw. der Rezeption kaum nachvollziehbar. In dieser Voraussetzung liegt die illusionistische Funktionsweise der Musik begründet. Auf diese Weise kann sie überraschen, begeistern, verblüffen und die Fantasie anregen. Im Eindruck des Pseudo-Organischen, den die seltsamen Klanggebilde hinterlassen – es brummt, summt, zischt, zirpt, knirscht, leiert, klingelt, klöppelt und bimmelt – erscheinen die sich dauerhaft verändernden musikalischen Miniaturen als das akustische Äquivalent von Mikroorganismen unterm Mikroskop oder biolumineszenten Gebilden in der Tiefsee. Die Musik evoziert Verborgenes, es gibt mit »Crepuscular Elixirs« also viel zu entdecken. 

Home / Rezensionen

Text
Holger Adam

Veröffentlichung
07.04.2025

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