Wie er das tut, ist wahlweise sehr einfach oder ausgesprochen kompliziert. Die einfache Version dockt perfekt an Infotainment-Synapsen an: Arbeitsloser Kerzenwachszieher deutscht seit über dreißig Jahren Beatlessongs ein, mit der Begründung, seine Mutter könne ja kein Englisch. Und er singt sie mit selbst im Einzugsbereich des »Songs In The Key Of Z«-Paralleluniversums unwahrscheinlicher Stimme über Backings, die er herstellt, indem er gesangsfreie Passagen der Originale mittels zweier Tonbandgeräte extrahiert und aneinanderklebt. Soweit, so incredibly strange. Eine solche Arbeitsweise enthält jedoch einen Widerschein jener Revolution, die die Beatles lostraten, als sie erstmals Tapeloops und found sound objects in Popstücken verwendeten und so die Idee »Popavantgarde« vom Stapel ließen. Dieser Idee erschien bei ihnen als schwebende Synthese. Sie verstrahlte Leichtigkeit anstelle von Kunstmuff und warf die entsprechenden Hits ab, die sich trotz formaler Kühnheit sofort in Oldies verwandelten. In Beyers Methode kehrt die gegenseitige Aufhebung von Pop und Avantgarde wieder – diesmal jedoch als Zerreißprobe. Zumindest für ungeübte Ohren. Die Sprünge und Brüche nämlich, die dabei zwangsläufig entstehen, die Aussetzer und rhythmischen Verschiebungen, sind allerdings weit mehr als nur bizarr. Sie schlagen dialektische Funken, ganz absichtsfrei, die wahrzunehmen der komplizierten poptheoretischen Version überlassen bleibt, die hier in einigen (längst nicht allen) Aspekten skizziert werden soll.
Der Narr Auf Den Höhen
Wo die Beatles Avantgarde und Pop noch in ein harmonisches, leidlich zukunftsfrohes (also »modernes«) Schwingungsverhältnis versetzten, spricht aus der tendenziell beschädigten Form, in der Beyer sie zur Wiedervorlage bringt, das Scheitern ihrer Beziehung. Dieses Scheitern steht in einem so selten gehörten Vexierverhältnis zum Popschönen der Originale. Aus beider ?berlappungsform entstehen nämlich Momente sprachloser Intimität und in sich gekehrter Unversehrtheit; äußerst gespannte freilich, die nur um den Preis rezeptionsästhetischer Unzugänglichkeit zu haben sind. Denn erst diese Unzugänglichkeit schafft die Ermöglichungsbedingung für eine sich immer wieder aufbäumende Schönheit, die radikal und vor allem: radikal unzynisch ausfällt und die dann doch zu kompromissbereite Adrettheit des Originals überschreibt und so aus der Oldiestarre erlöst. Er wird damit »The Better Beatles«, um den Namen einer obskuren New-Wave-Band zu zitieren, die um 1980 schon einmal Ähnliches versucht hatte, indem sie bekannte Beatles-Hits einer Flying Lizards-Therapie unterzog. Insofern ist Klaus Beyer tatsächlich Avantgardist; freilich einer der von diesem Prädikat nichts weiß oder wissen will, weil er doch einfach nur das Lied vom »Narr auf den Höhen« singen möchte. Für seine Mutter, die, wie gesagt, kein Englisch kann.
Alle Nun Zusammen
Um ihre generische Popinkompetenz zu wahren, sprechen deutsche Medien von Klaus Beyer bevorzugt als »fünftem Beatle«, so als würde er sich zum Objekt seines Begehrens bloß dazustellen, wie es ein Promofoto irreführenderweise vorgemacht hat, das ihn in ein Beatlesbild hineinretuschiert. Aber ein Stalker ist Beyer gerade nicht (schon gar nicht im postmodernen Sinne des »Zitierens«) und auch sicher nicht das fünfte Rad an einem Wagen, der eh längst abgewrackt wurde. Genauer ist da das Artwork seiner filigranen CD-Rom-Nachbauten der Original-Platten: Beyer nimmt dort halbwegs akribisch all die historischen Possen ein, mit denen die Beatles Bandinszenierungsgeschichte geschrieben haben – eben genau so wie er in den Kurzfilmen, die er in seiner Kreuzberger Einzimmerwohnung dreht, alle Rollen selbst spielt. Auf dem Cover von »Hauptmann Pepper« ist er dann aber nicht bloß Paul, John, George und Ringo. Er ist auch Lewis Carrol, William S. Burroughs, Marilyn Monroe, Aleister Crowley, Karl Marx, Bob Dylan usw. Für ein »Ein Harter Tag« wiederum musste natürlich das Setzkastencover von »A Hard Day’s Night« nachgebaut werden, doch zeigt sich hier die Ebene fanmäßiger Nachempfindung an einer Stelle durchbrochen, an mder Beyer – als wäre er das Opfer einer Entführung – ein handgekritzeltes Schild hochhält: »Ich bin 4 Beatles«, heißt es dort sehr richtig. So wirklich erkannt hat das bisher aber nur Christoph Schlingensief, der Beyer irgendwann in seinen Tross eingliederte und ihn eine Zeit lang z.B. Jonathan Meese, den vielleicht letzten deutschen Geniekünstler (wenn auch bereits in der Playmobil-Version), spielen ließ.
Ich Stopf Ein Loch bzw. Karte Zur Fahrt
Es ist natürlich kein Zufall, dass Klaus Beyer die Beatles zu seinem Thema gemacht hat (obwohl er andernorts auch schon die Shadows, die Dave Clark Five oder die Gebrüder Blattschuss gequeert hat und bisweilen eigene Stücke zu Themen wie »Schaff Dir Nie Ein Auto An« und »Wie Kann Man Nur So Herzlos Sein« verfasst). Immerhin markieren sie den höchsten Verdichtungsgrad des klassischen Popversprechens. Und ihr Ende hat ein tiefes Loch in den Pop gerissen, das Beyer kurzerhand mit sich selbst auffüllt: Weil es sie nicht mehr gibt, wird er einfach selbst die Beatles, und das in einer Weise, die Gilles Deleuze und Félix Guattari allenfalls ahnen konnten, als sie den zusehends am alternativkulturellen Eigentlichkeitshype verblödenden 1970ern die Forderung: vom »Mann werden, Frau werden, Tier werden« vor den Latz knallten. ?berhaupt stolpert man/frau beim Sprechen über das, was Beyer tut, ständig über den Jargon einer Zeit, als »Anti-Üdipus« und »Mille Plateaux« noch sichere Samplerdatenbanken waren. Uralte Begriffe fallen mir wieder ein: der organlose Körper, also der »Nirgendsmann«, der die Welt in seiner Hand hat, und natürlich: das gute alte Karte-Machen. Schließlich gibt es auch auf »Kloster Straße« wieder Passagen, bei denen Beyer nichts anderes übrig blieb, als über den Originalgesang drüber zu singen, insbesondere bei »Maxwells Silberhammer«. An diesen Stellen entsteht eine Polyphonie, die auf merkwürdige Weise zwischen Original und Appropriation vermittelt und ersteres im doppelten Wortsinne aufhebt: nämlich bewahrt und überwindet, und zwar so, wie es landläufige Samples, Coverversionen, Remixe oder Mash-ups dann doch nicht leisten können. Mir fällt aktuell nur eine Platte ein, die aus dem Aufeinanderprallen von Ausgangsmaterial und ?berschreibung einen ähnlich queeren Effekt zu ziehen wusste: Culturcides »Tacky Souvenirs of Pre-Revolutionary America«.
Nimm Mein Auto Und Dann Fahr/
Ja, Du Weißt, Ich Bin Ein Star
Die komplizierte poptheoretische Version müsste natürlich zunächst mal die materialästhetische Verschlungenheit von Original und Aneignung en detail und im Sinne einer »Bildbeschreibung« nachvollziehen – wozu ich ca. ein Sonderheft oder zumindest ein Blockseminar bräuchte. Darauf aufbauend müsste sie sagen können, was diese vermeintlich outsidrierte Herangehensweise mit dem Kerngeschäft des historischen Pop zu hat – und mit dem Hauptversprechen der großen Popinstitutionen??
Der klassische Popstar stellte ja immer ein Partizipationsangebot dar. Die von Popunkundigen gern kritisierte Entfremdung, die im Verhältnis von Fan und Star beschlossen liegen sollte, hat es so nie gegeben. Fansein war immer eine Form der appropriation art und ein Akt der Dekonstruktion. Der Fan nahm den Star in sein Leben hinein und machte dort mit ihm, was er wollte (und das nicht nur sexuell). Der Star ist ein Golem, dem man/frau Fanpost in den Mund legen muss, damit er anspringt. Er bedarf der aktiven Teilnahme der Fans. Erst indem er zum Material ihrer Vorstellungswelt wird, streift er die Schwere der Realpersonenform ab und leuchtet so, wie dies eben nur ein Star kann.
Sein modus operandi ist die Üffentlich-, nicht die Innerlichkeit. Im Unterschied zum deutschen Dichter, seinem größtmöglichen Gegenteil, z.B. Walser, Grass oder neuerdings J. Distelmeyer, entsteht er erst im und durch »sein« Publikum. Ein in der Badewanne singender Elvis macht bekanntlich kein Geräusch, es sei denn Hausangestellte schneiden es heimlich für den Bootlegmarkt mit. ?berhaupt war Elvis immer nur so gut wie die zwei Millionen ElvisimpersonatorInnen. Sting- oder Bono-ImpersonatorInnen hingegen wird man/frau sich – jenseits von Comedymuff – schwerlich vorstellen können. Der Star ist also das genaue Gegenteil von dem, was Kontrollgesellschaftsspiele wie »Deutschland sucht den Superstar« ihren Opfern einhämmern. Nicht »Sei Du selbst«, sondern »Sei wir alle«. Und der wahre Fan muss in diesem Prozess eben nicht »konsumieren« (wie der deutsche Problemfilm der 1970er behauptet hat), sondern fremdes Begehren füllen und transformieren, also die Hohlform »Star« als das bewohnen, was sie ist: ein künstliches Paradies, ein »Erdbeerfeld für immer«.
Willst Du Ein Geheimnis Wissen
Zuletzt muss noch gesagt werden, dass Beyers ?bersetzungen vor allem vom gestörten Abbildungsverhältnis der deutschen Sprache zu Pop handeln. Sie stehen damit manifestartig quer zu einer Zeit, in der sich die neuen hässlichen Popdeutschen ungebremst vermehren und uns weismachen wollen, sie hätten die Formel gefunden, um Pop endlich einzudeutschen. Aber wie Deutsche nun mal so sind, geht das natürlich nicht in Form doppelter Staatszugehörigkeit. Um Deutsch zu werden, muss Pop ganz deutsch werden und alles Fremde, Schillernde, Unverständliche und Geheimnisvolle abschütteln. Die Entnazifizierung der Deutschen via Pop wäre damit für beendet erklärt (mit den bekannten unabsehbaren Folgen). Beyers Eindeutschungen hingegen empfinden Pop nicht nach, sondern übertragen ihn stoisch, fast beamtenmäßig: Wort für Wort, nur dem Metrum verpflichtet, aber ohne sich um seine klangmalerischen, subtextuellen, ein bestimmtes Wissen verwaltenden Dimensionen zu kümmern. So bleibt das Fremde und Geheimnisvolle in einer irgendwie breitbeinigen Weise einfach stehen: »Keine Schuhe/Er spielt barfuss Fußball/Er ist lust?ger Finger/Er schießt auf Coladose/Er sagt/Ich kenn dich/Kennst du mich?/Eins kann ich dir sagen/Freiheit, ja sie braucht dich/Kommt zusammen/Ja jetzt/?ber mich??«. Das ist ganz offensichtlich eher Close Reading als das neokoloniale Crossmarketing von Deutschland und Pop, wie es spätestens mit Mia. üblich wurde. Im Akt der naiven, art-brutigen ?bersetzung entsteht eine Verfremdungsform, die das Geheimnis, das Generationen junger Deutscher in englischen Poptexten vermuteten, weder preisgibt noch profaniert, sondern: anstrahlt. »Fremd werden in der eigenen Sprache«, haben die Theorie-Beatles Gilles und Félix das mal genannt.
Klaus Beyer: »Kloster Straße« (Amsel Records)
Klaus Beyer: »Im Radio Vol. III« (Amsel Records)
Klaus Beyer: »Im Fernsehen« (DVD, Amsel Films)
Klaus Beyer gastiert am 17.01.2012 im grazer »Bar Projekt« »details