Foto: © Manfred Rahs
Foto: © Manfred Rahs

Gang Starr

Beats, Rhymes and Life.
Giving the credit to where it is due. Gang Starr. Das beste HipHop-Duo der Neunziger.

HipHop und Beständigkeit scheinen sich 1999 – zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung des ersten HipHop-Chartbusters Rappers Delight und zehn Jahre nach Gang Starrs Debüt No More Mr. Nice Guy – nach wie vor eher auszuschlie&szligen. ?ber drei, maximal vier Alben kommt auch nach der spätestens Mitte der Neunziger erfolgten kommerziellen Etablierung der Kultur kaum ein Act hinaus. Von qualitativen Schwankungen einmal ganz zu schweigen. Gut, es gibt natürlich einige seit den späten Achtzigern agierende und nach wie vor mit dem »code of the street« vertraute Crews. Public Enemy etwa, aber die brauchen bekanntlich immer wieder einmal Auszeiten und haben auch den einen oder anderen Aussetzer auf ihrer Veröffentlichungsliste zu verbuchen. Und die sonstigen höhersemestrigen New-Schooler? A Tribe Called Quest haben sich letztes Jahr ja endgültig verabschiedet. Eine neue EPMD vermag kaum mehr wirklich glänzende Augen hervorzurufen. De La Soul agieren vorwiegend im Verborgenen; die Jungle Brothers ohne wirkliche Orientierung. Der Wu-Tang Clan bleibt ein durchgeknallter Flohzirkus mit einer ordentlichen Handvoll guter Stücke und einer geschickten Promotionmaschinerie. KRS-One taucht zwar immer wieder auf diversen 12-Inches auf, sein neues Album verharrt aber auch schon geraume Zeit im Stadium der Ankündigung. Eric B. & Rakim sind Geschichte. Stetsasonic, Pete Rock & CL Smooth oder Showbizz & AG ebenfalls.

Premier & The Guru

Gang Starr verhalten sich seit einer Dekade antithetisch zum ungeschriebenen Gesetz der Unmöglichkeit, im und mit HipHop nicht nur über einen längeren Zeitraum aktiv, sondern auch qualitativ ständig on top zu bleiben.
»Es ist unser spezieller Sound, er hat etwas Geheimnisvolles«, lautet Gurus schlichte Antwort auf die Frage nach dem Grund für ihre Beständigkeit. Um dann doch zu einer umfangreichen Erklärung auszuholen: »Ich nenne uns gerne „die Könige des Underground“, Because I think that we are as far on top of the underground as you can be without being too commercial. Natürlich hatten wir während der zehn Jahre Meinungsverschiedenheiten, Streitereien, aber wir haben das noch jedes Mal geklärt und weitergemacht, denn wir können nicht einfach aufhören. Es ist immer wieder schmerzhaft mitzuerleben, wie einer deiner Lieblings-Rapper plötzlich berühmt wird, und nach einem Jahr hörst du dann nichts mehr von ihm. Ich will das hier so lange machen, bis ich das Gefühl habe, da&szlig es Zeit ist aufzuhören. Dann werde ich eben A&R, oder ich mache mein eigenes Label, spiele in Filmen oder was auch immer.
Für mich ist das der entscheidende Schlüssel – this really being dedicated to it. Wir hören uns alles an, ich hänge mit vielen jungen Rappern rum, freestyle mit ihnen; ich perfektioniere meine Skills täglich. Unterwegs reimen wir ständig im Bus – sogar Premier reimt dann. Zwar nicht wirklich, aber im Bus geht das schon. Auch er arbeitet permanent an seinen Skills – er macht ständig DJ-Tapes, kauft Unmengen neuer Platten, hört sich die Beats genau an, hört sich an, wie die Leute versuchen, seinen Beats-Style nachzuahmen usw. Es ist gut, da&szlig er das alles macht, denn dadurch wei&szlig er, welche Veränderungen notwendig sind. Und genau diese ständige Herausforderung an sich selbst fehlt vielen der Gruppen irgendwann, die gro&szlige Erfolge feiern. Ich kenne ja viele von ihnen, ohne hier jetzt Namen nennen zu wollen. Sie spielen ständig nur ihre Musik und interessieren sich nicht für anderen Kram. Tatsächlich ist es aber der Schlüssel, dich selbst nur als weiteren Teil eines Puzzles zu betrachten. Du mu&szligt ebenso sehr Fan wie Artist sein. Grandmaster Flash sprach heuer bei der Verleihung der Source Awards darüber, da&szlig Musik ein Geschenk sei. It’s not about what you can get, it’s about giving your creativity to the world. That’s what I’m in it for. When I hear shit like that, it inspires me to keep doing what I’m doing

Discipline

Im Vergleich zum Standard ihres nachfolgenden Werks wirkt Gang Starrs 1989 auf Wild Pitch erschienenes Debüt-Album No More Mr. Nice Guy rückblickend vor allem aufgrund des allzu gro&szligen Vertrauens in die knattrigen Beats einer 808 heute etwas dünn (damals war die Platte freilich eine mittlere Sensation). Einzelne Tracks entwickelten sich dennoch zu stets gerne gehörten HipHop-Klassikern – der DJ-Track DJ Premier In Deep Concentration etwa und vor allem Jazz Music, das in einer späteren Version als Jazz Thing in Spike Lees Mo‘ Better Blues auftauchen, Jazz-Hop als Genre einführen und Gang Starr kurzerhand als dessen Hauptvertreter festschreiben sollte. Guru betont zwar bis heute, da&szlig die Ursprünge von HipHop nicht nur bei den Last Poets, Gil Scott-Heron, James Brown & Co, sondern vor allem auch im Jazz zu suchen wären. Da&szlig die »Jazz-Hop«-Stilisierung aber weniger im Interesse der Band geschah als vielmehr die Intention einer gerade im HipHop stets auf Gimmicks und Labels angewiesenen Musikindustrie war, mu&szlig wohl nicht näher ausgeführt werden.

Mit Step In The Arena erschien 1990 schlie&szliglich das erste von bislang vier Gang-Starr-Meisterwerken. Mit einem Mal war da diese »certain mystique«, von der Guru zuvor bei der Beschreibung ihres Sounds spricht. Die Beats folgen verschlungenen Pfaden, ohne dabei ins Stolpern zu geraten; Samples werden als Mittel zum Zweck in einer entsprechend modulierten Form eingesetzt, die eventuelle Assoziationen mit dem Ausgangsmaterial von vorn herein weitestgehend ausschlie&szligt. Funk ist schlie&szliglich ein zentrales, nicht von au&szligen darüber gestülptes, sondern ins Innerste der Beats eingeschriebenes Element ihrer Tracks. Und über alledem flie&szligen die Reime jenes MCs, der neben seinem vollendeten Umgang mit dem gesprochenen Wort auch noch über eine der charakteristischsten Stimmen der HipHop-Geschichte verfügt.
Am Cover ihres bislang härtesten, rohesten Albums, Daily Operation, posierten Gang Starr 1992 unter einem Foto von Malcolm X. Gemeinsam mit A Tribe Called Quests Low End Theory markiert diese Platte den Höhepunkt der damals im amerikanischen HipHop als Folge der Urheberrechts-Debatten um Samples praktizierten Reduktion und Skelettierung der Musik. Man höre nur den Eröffnungstrack The Place Where We Dwell, in dem sich Guru geradezu selbstverständlich über ein kaum als Beat zu bezeichnendes Sound-Ungetüm, ein gelooptes Geräusch ausbreitet. Ein Stück, das etwa ein Sensational nicht nur einmal gehört haben dürfte.
Etwas konsumentInnenfreundlicher fiel dann Gang Starrs 94er-Album Hard To Earn aus, auf dem sich übrigens auch der vielzitierte Satz »It’s mostly the voice that lifts up rappers sometimes« findet.
Nebenbei betrieb Guru seit 1992/93 noch das in seiner Slickness nie unumstrittene Projekt Jazzmatazz. Diese Zusammenführung von JazzmusikerInnen und -vokalistInnen verstand sich zwar als »an experimental fusion between hiphop and jazz«, das experimentelle Element wurde jedoch stets eher im Verborgenen gehalten. Premier entwickelte sich derweil zum bestreputierten HipHop-Produzenten der Neunziger, dessen Arbeit bislang Tracks von (unter vielen anderen mehr) Rakim, Jeru Da Damaja, KRS-One, Nas, Group Home, Janet Jackson, Mos Def, Big Shug und Canibus veredelte.
Nach einer durch Vertragswirren mit ihrer alten Plattenfirma bedingten vierjährigen Pause kehrten Guru & Premier 1998 mit dem programmatisch Moment Of Truth betitelten Album zurück an ihren Platz als »kings of the underground«.

Full Clip

Zu ihrem zehnjährigen Bestehen versammelten Gang Starr 32 gute Gründe für die eben zum wiederholten Mal in diesem Text festgeschriebene Einschätzung zur Compilation Full Clip: A Decade Of Gang Starr. Neben Tracks ihrer vier Alben finden sich darauf Single-B-Seiten, Soundtrack- und Compilation-Beiträge (unter anderem eben auch Jazz Thing) sowie drei g
ro&szligartige neue Stücke.
Anfang September gastierten Gang Starr im Rahmen ihrer Full Clip-Tour mit einer zweieinhalbstündigen Show in einer völlig ausverkauften Szene Wien. Die ersten vierzig Minuten bestritt Guru mit dem wie immer ausschlie&szliglich mit zwei Turntables und einem Mischpult arbeitenden, über die gesamte Konzertdauer unglaublich konzentriert und präzis agierenden DJ Premier im dynamischen, fokussierten und mehr als beeindruckenden Alleingang. Nach dieser Lektion in Sachen Optimierung durch Reduktion gesellten sich mit Big Shug, Freddie Foxx und jenem jungen Herren, dessen Name mir leider entfallen ist, drei weitere MCs aus ihrem Umfeld auf die Bühne. Die Demonstration gang-starrscher Perfektion kippte in der Folge in eine ausgelassene, schier endlose Party, während der Guru nicht nur einmal kopfüber im Publikum landete.

Am späten Nachmittag war von alledem noch nichts zu erahnen. Eine Deutschland-Tour hatten Gang Starr zu diesem Zeitpunkt hinter, eine Busfahrt direkt nach London vor sich. Demensprechend gestre&szligt gab sich Guru auch zu Beginn des Roundtable-Gesprächs, das im Anschlu&szlig an seinen Soundcheck stattfinden sollte (Premier war derweil noch mit dem Tunen seiner Technics beschäftigt).

»Alright, here is the situation«, eröffnete er uns distanziert und schlecht gelaunt zur Begrü&szligung, »I didn’t know this was scheduled, alright, ‚cause we usually don’t do interviews on tour
Es wäre zu hektisch, und auf Mi&szligverständnisse jeglicher Art könne er gerne verzichten. Und überhaupt: »I didn’t even have a shower yet and we don’t have a hotel today
Lakonisch fügt Guru noch »That’s the entertainment life« an, um dann festzustellen, da&szlig er ohnehin nicht gewillt wäre, länger als ein paar Minuten mit uns zu sprechen.
Die erste Frage, ob es also eine ziemlich hektische Zehn-Jahres-Feier wäre, kann ihm lediglich ein »Yeah, I guess« entlocken. Zur Tour befragt, lautet die schlichte Anwort, da&szlig sie bislang viel Spa&szligt gemacht hätte, die Reaktionen gro&szligartig und jede Show ausverkauft gewesen wäre. Noch einsilbiger fällt die Auskunft über Gang Starrs Zukunft aus. Was nach der Tour kommen würde? Guru: »Ten more years!«

Irgendwie schmolz das Eis dann aber doch, irgendwann genügten Stichworte für minutenlange Monologe über das Leben in den USA im Allgemeinen und HipHop im Speziellen, und ein zu mehr als zwei Drittel gefülltes 60er-Tape später signierte der plötzlich bestens gelaunte Guru mitgebrachte Plattencover ebenso bereitwillig, wie er hingebungsvoll Dedications auf diverse Tonbänder rappte.
In diesem Sinne: word up!

Moment Of Truth

Lä&szligt sich Gang Starr denn mit der Situation eines alten Ehepaares vergleichen, bei dem es bessere und schlechtere Momente gibt?
Auf eine gewisse Art ist es sicher eine »old marriage« – das gilt aber für jede Band, jede gro&szlige Gruppe, die schon so lange zusammen ist. Natürlich gibt es Hochs und Tiefs, aber langfristig bist du dadurch erfolgreich, da&szlig du dich an einer Vision orientierst, dich vor allem darauf konzentrierst, what the greater goal is for the whole. Gang Starr ist ein Nukleus aus allem, was wir tun. Au&szligerdem räumen Premier und ich einander sehr viel kreativen Freiraum ein. Ich habe Jazzmatazz und andere Projekte am Laufen, Premier produziert viel; und bei Gang Starr kommen schlie&szliglich all diese Energien zusammen.

Was sind – hinsichtlich der politischen Situation in den USA – heute die wichtigsten inhaltlichen Themen für euch?
Zuerst ist es mir wichtig festzuhalten, da&szlig wir vor allem einmal eine Gruppe sind, für die es das Wichtigste ist, gute Musik zu veröffentlichen und unsere Clique, unsere Familie zusammenzuhalten. Es gibt eine Reihe von Projekten und Produktionen für die Zukunft, an denen wir beteiligt sind; 2000 wird es auch ein neues Gang-Starr-Album geben. Au&szligerdem arbeite ich an Volume 3 von Jazzmatazz. DJ Premier arbeitet an einem DJ-Album für Fat Joes Label, ich möchte etwas im Bereich Film machen, Premier is into video directing – es steht also eine ganze Menge Dinge an. As far as that – that’s the agenda.

Und Politik?
Grundsätzlich kommen unsere Ansichten ja in den Texten zum Ausdruck, daher gibt es nicht viel mehr dazu zu sagen. Wir sind eine jener Bands, die behaupten, die Musik würde für sich selbst sprechen. It’s pretty self-explainatory. My rhyme style is pretty straight forward, it’s no tricky, gimmicky style. It’s straight in your face, so basically the music and the lyrics say all that.
Als ihr begonnen habt, entstanden die Rhymes auf der Stra&szlige. Heute hat man immer wieder das Gefühl, da&szlig HipHop in Studios, von Networks und von den Medien gemacht wird.
Für eine Gruppe wie die unsere, die hinsichtliche ihrer Verkaufszahlen erst seit kurzem »erfolgreich« ist, gleichzeitig aber schon so lange around ist, ist es unerlä&szliglich, mit der Stra&szlige verbunden zu sein. Ansonsten wären wir nicht hier. Wir verkaufen nicht so viele Platten, wie immer angenommen wird. Wir hatten immer das Problem, da&szlig Popularität und Verkaufszahlen auseinander klafften. Es gab Momente, in denen ich am liebsten zu unserer Plattenfirma gegangen wäre und jemandem ins Gesicht geschlagen hätte, denn sie suchen immer nur nach einem Gimmick. Wir haben schon so viele verschiedene Äras miterlebt, und wir sind nach wie vor hier. Wir haben uns zwar mit der Zeit entwickelt, daher mag ich Full Clip auch so gerne, denn bestimmte Songs erinnern mich immer wieder daran, was wir damals gerade machten, was in unserem Leben geschah und welche HipHop-Ära das gerade war. Einerseits ist es ein Segen, da&szlig wir immer noch existieren. Andererseits sind dafür natürlich unsere Skills und unsere Hingabe verantwortlich; die Tatsache, da&szlig wir nicht nur Musiker, sondern ebenso sehr Fans sind.

Mass Appeal

HipHop war noch nie so kommerziell wie heute?
Ja, aber das ist nicht die Schuld der KünstlerInnen. Es ist gut für uns, denn kommerzieller Erfolg ernährt uns. We should be able to eat out of doing this. It’s like Rock’n Roll artists – nobody gets mad when they eat. We just wanna eat. What’s wrong with that?

Glaubst du, da&szlig in der Kommerzialisierung eher Chancen oder Gefahren für die HipHop-Kultur liegen?
Es ist keine Gefahr, so lange es Leute wie uns gibt, um das wieder auszugleichen. Es ist keine Gefahr, so lange sich die Leute aus dem Underground ihre Sprache bewahren. Es ist kein Problem, so lange sie sich wirklich darum kümmern, den Real Stuff zu verbreiten. Derzeit gibt es Situationen, in denen Leute nur Zugang zu einer Art von HipHop haben. Aber mit HipHop verhält es sich ungefähr so wie mit Blockbuster-Filmen: Du kannst dir einen Thriller ansehen, etwas Dramatisches, was immer du möchtest – jede beliebige Kategorie. Genau so läuft es mit HipHop heute. Die Leute haben die Möglichkeit, sich unterschiedlichste Sachen anzuhören. Machen sie das nicht, bekommen sie eben nur das mit, was gerade gepuscht wird. Ich verstehe, was du mit deiner Frage meinst, aber genau aus diesem Grund bringt der Underground immer etwas Neues hervor.
Für die meisten Leute tauchte Master P. scheinbar aus dem Nichts auf. Für mich kam er nicht aus dem Nirgendwo, denn er war immer dabei, wenn wir in New Orleans auftraten. Ich kenne ihn seit 1990. Jetzt verdient er enorm viel Geld, aber er hat auch extrem hart daran gearbeitet, es so weit zu bringen. ?ber die Kunstform HipHop sagt das, da&szlig sie heutzutage eine derartige Bedeutung hat, da&szlig sie immer wieder derartige Marketing-Genies hervorbringt. Es gibt nichts, das damit vergleichbar wäre. Und der Grund dafür ist die Unabhängigkeit, die wir haben, die Tatsache, da&szlig wir – wer immer sich auch gegen uns
stellen, uns verbieten wollte – unsere Platten immer noch verkaufen könnten, und zwar independent. Durch Mundpropaganda, aus dem Kofferraum von Autos, aus Zügen – wie auch immer.

Take It Personal

Was geschieht, wenn durch HipHop Dinge angesprochen werden, auf die die amerikanische Üffentlichkeit sehr sensibel reagiert?
Wie zum Beispiel?

Mumia Abu Jamal.
Fakt ist, da&szlig es im HipHop zu allererst einmal bestimmte Trends gibt. Derzeit wird kaum jemand derlei Dingen Aufmerksamkeit schenken. Nur ganz bestimmte Leute, nicht viele. Es hängt auch davon ab, wie gut die Platten sind – wenn der Beat, die Rhymes gut sind – You can’t just make a record about a political issues if it is not styled right! That’s one thing that Gang Starr is about. Gang Starr hat deshalb eine bestimmte AnhängerInnenschaft, da wir zwar message-related Music produzieren, diese aber auch einen bestimmten Style hat. Ich kann nicht einfach lehren; ich kann nicht einfach »Okay, la&szligt uns alle bei den Händen nehmen und nett zueinander sein!« über einen Beat labern. Das wäre whack. Du mu&szligt Style und Flavour haben! Ich denke, da&szlig diese ganze Mumia-Geschichte ein sehr wichtiges Thema ist, das ich auch unterstütze, aber es kümmert kaum jemanden.
You have to look at the bigger picture: Jedes Jahr gibt es musikalische Trends, und auf die wird dann das Hauptaugenmerk gerichtet. Was sind die Gründe dafür? Im amerikanischen Erziehungssystem läuft vieles völlig schief, und in der Arbeitsmarkt-Struktur ist es exakt dasselbe. Man mu&szlig sich nur einmal vor Augen führen, da&szlig eine Lehrkraft einer City-School etwa ein Fünftel dessen verdient, was ein Mitglied eines Sport-Teams bekommt, das gar nie spielt, sondern ständig nur auf der Ersatzbank sitzt – da kann ja etwas nicht stimmen. Die Leute, die die Kids unterrichten, fühlen sich nicht verpflichtet, ihnen auch wirklich etwas beizubringen. Ich könnte ein gro&szligartiger Lehrer sein, aber ich könnte davon nicht leben; ich arbeitete eine Zeit lang als Teacher und konnte dadurch kaum meine Miete bezahlen. Das ist das Problem: Die Kids wollen nicht zur Schule gehen, da ihnen die Schule nichts bietet. Was machen sie stattdessen? Sie hängen in ihrer Umgebung herum und bewundern Hustler, Pimps.
Wer sorgt dafür, da&szlig es Waffen und Crack auf den Stra&szligen gibt? Wir RapperInnen sind es nicht, aber sie machen uns dafür verantwortlich und werfen uns vor, da&szlig unsere Musik zu gewalttägig wäre. Nein, sorry – ohne HipHop gäbe es schon längst das reine Chaos, ohne die Musik gäbe es noch weit mehr Verbrechen! Diese Musik ist eine Form, Üffentlichkeit zu schaffen, und sie ist vor allem unsere Stimme. Wenn wir diese Stimme nicht hätten, wäre die Situation noch weit beschissener. So sieht es aus. Die Jugend wird immer frustrierter, sie haben nichts und betrachten HipHop als möglichen Weg – schlicht und einfach auch einen Weg, etwas zu essen zu bekommen. They are really hungry. So ist das. Und die einzige Möglichkeit, andere zu beeindrucken, besteht darin, ihnen deine Stärke zu zeigen. Worin liegt jetzt diese Stärke? Sie liegt im Besitz von Waffen, in Auseinandersetzungen zwischen Gangs etc. Es ist leider wirklich so, und es ist eine Krankheit. We end up thinking that the only way to succeed is to take the other one down.
These are my political beliefes that I don’t always put in the records. Aber ich glaube, da&szlig es immer eine Minderheit gab, die die Geschicke der Welt lenkte. Und ich glaube auch, da&szlig sich diese Minderheit lachend zurücklehnt und sich unglaublich darüber freut, da&szlig wir ihnen die Arbeit abnehmen, wenn wir uns gegenseitig umbringen. Sie arbeiten auf andere Art und Weise daran, uns umzubringen: Warum werden in den USA heutzutage etwa mehr Gefängnisse als Schulen gebaut? Das ist doch verrückt! Und die Machthabenden lehnen sich amüsiert zurück. Genau an diesem Punkt setzen Gruppen wie Gang Starr oder andere Gruppen mit conscious Lyrics an – es mu&szlig jemanden geben, der/die eine gewisse Balance herstellt und Bewu&szligtsein schafft.
Es verletzt mich, wenn mich Leute mit Puffy oder Jay-Z vergleichen wollen, nur weil sie populärer sind als ich. Sie sind meine Freunde, und ich kenne sie noch aus einer Zeit, in der wir alle zusammen kein Geld hatten. There’s love there. Warum sollte es irgendetwas anderes als Liebe und Respekt zwischen uns geben? Es freut mich für sie, da&szlig sie so erfolgreich sind. Vielleicht können sie mir auch einiges beibringen. Ich würde es also als Beleidigung empfinden, gegen sie ausgespielt zu werden, daher spreche ich über all dieses Zeugs, bevor ihr mich danach fragt. In Europa werde ich in Interviews fast immer darauf angesprochen, kommerzielleren, populäreren RapperInnen gegenübergestellt. Ich meine – hey, es gibt genug Platz in diesem Raum, in diesem Geschäft für uns alle. That’s what’s so dope about it.

A Long Way To Go

Während der letzten Jahre entwickelten sich einige Black-Entertainment-Companies, bei denen auch in den Management-Positionen Leute sitzen, die dich respektieren.
Lustig, da&szlig du das erwähnst, denn genau das geschieht derzeit im HipHop. It’s big, big Business now – sogar auf einem Independent-Level! So viele Dinge tun sich durch die diversen Entwicklungen – vor allem Internet – auf, es ist verrückt. Ich habe immer schon gesagt, da&szlig die einzige Möglichkeit, da&szlig sich diese Musik und Kultur so stark verbreitet, darin besteht, da&szlig die Leute auch in anderen Szenen, anderen Bereichen tätig werden; nicht nur im HipHop-Business. Jede/r kann ein/e RapperIn, DJ, ProduzentIn oder was auch immer sein, aber es gibt eine Menge anderer Dinge, die wir tun könnten. Daher ist diese Black-Entertainment-Geschichte eine gro&szligartige Sache. Es liegt aber noch ein weiter Weg vor uns. In New York gibt es beispielsweise nach wie vor nur eine Radio-Station, die alle anhören. Es mü&szligte eine andere Station geben, die ihr Konkurrenz macht, ansonsten mu&szligt du den Arsch dieser Station küssen, damit sie deine Platte dort spielen.
Je mehr sich au&szligerhalb der HipHop-Szene in diesem Bereich tut, umso besser ist es. Wir hatten die Möglichkeit, mit einigen AfroamerikanerInnen in leitenden Positionen zusammenzuarbeiten. Sie haben unsere Musik verstanden, und ich glaube, da&szlig uns das in den Staaten sehr geholfen hat. Wir haben dort das Label gewechselt, sind in den USA jetzt nicht mehr bei EMI, sondern bei Noo Trybe/Virgin. Daher haben wir zwischen 1994 und 1998 auch keine Platte veröffentlicht. Es gab für Premier und mich keinen ökonomischen Zwang, EMI noch eine weitere Platte abzuliefern. Bei Virgin gibt es jetzt eine ganz andere Form von Verständnis.
Insgesamt ist es heute ja so, da&szlig sich die gesamte HipHop-Industrie verändert hat. Es gibt eine starke Regionalisierung – du kannst aus Texas, Miami, Atlanta oder sonst wo her kommen – jede Stadt, jede Region hat ihre Szenen, und im Gegensatz zu früher wird ihnen auch über diese Szenen hinaus Aufmerksamkeit zuteil. Es dreht sich nicht mehr alles um New York und Los Angeles.

Gang Starr Diskographie:

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No More Mr. Nice Guy (LP/CD, Wild Pitch, 1989)
Step In The Arena (LP/CD, Cooltempo, 1990)
Daily Operation (LP/CD, Cooltempo, 1992)
Hard To Earn (2LP/CD, Chrysalis, 1994)
Moment Of Truth (3LP/CD, Cooltempo/Noo Trybe, 1998)
Full Clip: A Decade Of Gang Starr (4LP/2CD, Cooltempo/Noo Trybe, 1999)
The Ownerz (Virgin, 2003)
Mass Appeal: Best Of Gang Starr (Virgin/EMI Records, 2007)

 

Der an Krebs erkrankte Guru verstarb am 19. April 2010 an den Folgen eines Herzinfarktes, nachdem er zuvor im Februar
des Jahres ins Koma gefallen war.

 

Guru im Jahr 2006  © wikipedia

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Text
Gerhard Stöger

Veröffentlichung
01.12.1999

Schlagwörter


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