Anfang: Ein menschlicher Körper fällt in einer Winternacht von einer Brücke, bleibt reglos im Schnee liegen. Erst gegen Ende des Films wird klar, wer hier den Tod gesucht/gefunden hat. Rückblende in den Sommer: Alles scheint idyllisch, ausgeglichen, geradezu glücklich. Anna (Lavinia Wilson) gönnt sich und ihrem Freund (Robert Stadlober) noch ein kurzes Schäferstündchen bevor er zur Arbeit muss. Sie begleitet ihn zum Zug. Nach der Abfahrt bleibt der Bahnhof geisterhaft leer und geräuschlos zurück. Anna stattet dem Fahrdienstleiter Hudetz (Frank Giering) einen Besuch im Kontrollraum ab, macht ein Schwätzchen, flirtet, drückt dem Mann einen Kuss ins Gesicht. Hudetz versäumt, ein Signal zu betätigen. Es kommt zu einem Zugsunglück. 22 Tote sind zu beklagen, unter ihnen Thomas Hudetz‘ bester Freund Josef (Alfred Dorfer). Trotz der belastenden Zeugenaussage seiner Ehefrau (Corinna Harfouch) wird Hudetz im darauf folgenden Prozess freigesprochen. Nur von sich selbst können Anna und Hudetz das Schuldgefühl nicht abwälzen.
Schuld und Selbstbestrafung
»Werktreue« ist kein Kriterium für die Gelungenheit eines Films nach literarischer Vorlage. Payers »Freigesprochen« unterscheidet sich inhaltlich ziemlich stark von Horvaths »Der Jüngste Tag«. Eine Anpassung des in den 30er-Jahren spielenden Stückes an die Gegenwart ist durchaus legitim. Die Enge eines Dorfes, die Abgeschlossenheit des Kleinbürgermilieus sind heute nicht mehr in dieser Form gegeben. Wo sich in Horvaths Stück die Hauptpersonen erst nach und nach ihre Schuld eingestehen, sind sie sich im Film von Anfang an dieser bewusst. Es geht darum, mit diesem Bewusstsein leben zu können – oder eben nicht. Anna und Thomas Hudetz lassen sich in eine heimliche, intensive sexuelle Beziehung ein, können keine Erleichterung finden. Die beiden geraten in eine stärker werdende Sprachlosigkeit und Isolation, finden keinen Ausweg – suchen sie überhaupt einen?
Wie stellt man Schuld dar?
Die Auseinandersetzung mit Schuld, die Darstellung des Abdriftens könnte spannend, berührend, beklemmend sein. Ist es aber in dieser Verfilmung nicht. Wir nehmen den Personen ihre Taten, Handlungen, Gefühle nicht ab. Die Charaktere scheinen nicht miteinander zu agieren, Rollen zu spielen ohne zu wissen, warum. Auch, dass der Film in einem eindeutig ostösterreichischen Ambiente spielt, jedoch nahezu alle Hauptrollen mit deutschen SchauspielerInnen besetzt sind, führt zu Inkongruenz, die Authentizität und Glaubhaftigkeit der Handlung untergräbt. Am stärksten sprechen noch die Räume an: Der Provinzbahnhof, das Hallenbad im Hotel von Annas Vater, ein kahler Gang im Gerichtsgebäude, die ebene leere Landschaft, in der am Ende Schnee die Toten bedeckt.
»Freigesprochen« (R: Peter Payer, Österreich/Luxemburg 2007)
Seit 18.1.2008 in österreichischen Kinos