Die erste Begegnung mit Frau Professor F. H. Jourda, Preisträgerin des Global Award for Sustainable Architecture, hatte ich Anfang November 2009 bei der Präsentation eines internationalen Wettbewerbs mit dem klingenden Namen Blue Award. Der Wettbewerb, vorgestellt im adretten Kuppelsaal der Technischen Universität Wien, setzt sich zum Ziel, das Thema Nachhaltigkeit in der Architektur, Raumplanungs- und Stadtplanungsausbildung und -praxis zu forcieren. Initiiert wurde er von der zwischen französischem Verve und charismatischer Pouvoir changierenden Pionierin einer nachhaltigen Baukultur und steht seitdem unter der Patronanz des internationalen ArchitektInnenverbandes International Union of Architects (IUA). Ein paar Wochen nach der Vorstellung des Awards hatte ich dann die rare Gelegenheit mit der charmanten Kettenraucherin, Vieltelefoniererin und -reisenden eine halbe Stunde face ? face leitfadenorientiert zu plaudern.
skug: Wo sehen Sie unterschiedliche Entwicklungen beim Nachhaltigen Bauen in Wien-Paris? Wie sehen Sie das Verhältnis Landschaftsarchitektur-Architektur?
Françoise-Hél?ne Jourda: Ich muss zuerst einmal sagen, dass ich Französin bin. Das hat Konsequenzen in Hinblick auf mein persönliches Verhältnis zur Landschaftsarchitektur. Für uns im Süden von Europa – ich wohne in Paris, bin aber in Lyon geboren und meine Familie kommt aus Südfrankreich – ist die Natur ein Ort der Gesellschaft, mehr als in nördlichen Ländern. Üsterreich liegt zwischen Süden und Norden, hat aber meiner Meinung nach mehr Verbindung zu den nördlichen Kulturen. Im Norden ist die Natur in der Phantasie und in der Geschichte etwas viel gefährlicheres als bei uns im Süden. Die Vorstellung von kleinen Gnomen und Männchen, die im Wald leben, existiert für uns nicht. Die Natur ist für uns eine Möglichkeit, unsere Wohnarchitektur zu vergrößern – die Trennung zwischen Gebautem und Ungebautem, zwischen Innen und Außen, ist nicht so klar, auch aufgrund des besseren Klimas als im Norden. Das jeweilige Klima prägt ja sehr stark die einzelnen Kulturen. Deshalb sind für mich generell die Außenbereiche ein Teil der Architektur, sie sind auch gebaut. Um mit dem Nachbarn zu sprechen nehmen die Leute im Süden von Frankreich zum Beispiel ihre Stühle und stellen sie auf die Straße, ähnlich wie etwa in Italien oder Spanien.
Die LandschaftsarchitektInnen in Üsterreich oder Deutschland haben eine andere Ausbildung als in Frankreich. Um dieses Studium zu machen müssen die StudentInnen mindestens zwei Jahre Architektur studiert oder den Bachelor in Architektur absolviert haben. Die Kultur der LandschaftsarchitektInnen ist somit näher an der Kultur der ArchitektInnen orientiert, sie sind keine GärtnerInnen, sie haben weniger Wissen über die Natur und Pflanzen, sie kreieren ebenfalls Räume. Ich arbeite sehr oft mit LandschaftsarchitektInnen, meist mit den gleichen Leuten, weil wir die gleiche »Raumkultur« haben müssen.
Was ist ein Raum? Die Üffentlichen Räume sind für mich wie Innenräume mit Fassaden, mit bestimmten Proportionen und Raumvolumina wie ein Saal. Die Decke ist der Himmel. Ich nahm zum Beispiel in den 1990er Jahren Teil an einem Wettbewerb in Lyon für die Gestaltung eines Platzes im Zentrum der Stadt. Mein Vorschlag war die Idee, einen öffentlichen Tanzsaal bzw. Ballsaal mit einem Parkett aus Holz auf einem Holzboden zu errichten. Ich wollte die vier Straßen mit großen Engelsskulpturen schließen. Ich glaube das ist ein sehr spezifisches französisches Gestaltungsbeispiel für einen öffentlichen Raum.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit bei konkreten Projekten?
Da ich immer mit den gleichen Leuten zusammenarbeite, zu 80 % mit in situ, einem französischen Landschaftsarchitekturbüro, gibt es einen intensiven Gedankenaustausch. Es gibt sowohl ?berlegungen und Kritik von Seiten der Landschaftsarchitektur zu dem architektonischen Bauvorhaben, als auch ich als Architektin äußere mich über die landschaftsarchitektonischen Elemente. Im Hinblick auf Nachhaltigkeit müssen die einzelnen Disziplinen und Spezialisten wie Haustechniker, Tragwerksplaner etc. in Zukunft noch enger zusammenarbeiten. Zum Beispiel arbeite ich zurzeit an einem vierstöckigen Positiv-Energie-Gebäude mit einem Holztragwerk mit Paneelen. Wir haben uns auch sehr viele Gedanken über die Wassernutzung gemacht. Es gibt einen öffentlichen Garten, der zum Teil überdacht ist. In diesem Garten unterhalb eines Daches mit 3.500 qm Fotovoltaikzellen befinden sich Becken, in denen das Regenwasser und das graue Wasser der Duschen gesammelt werden. Das Wasser einer Jugendherberge mit 330 Betten wird in diesen Becken geklärt, um es wieder nutzen zu können. Der Haustechniker und auch die Landschaftsarchitekten arbeiten mit uns als Architekten an dieser Fragestellung und entwickeln gemeinsam Hypothesen, wofür und wieviel Prozent des Grauwassers wir nach der Klärung nutzen.
Wo spielt der Aspekt der Nachhaltigkeit dabei eine zentrale Rolle?
Viele Aspekte der Nachhaltigkeit müssen von ArchitektInnen und LandschaftsarchitektInnen berücksichtigt werden: Das Thema Klima zum Beispiel. Das Klima der Üffentlichen Räume, der Außenräume und das Klima der Gebäude durch Bepflanzung. Wir können mit Bäumen, mit Vegetation das [städtische Mikro]Klima verändern. Wir können spezifische Außenräume schaffen die durch ?berdachung vor der Witterung geschützt sind und somit intensiver genutzt werden können. Andere Themen sind die Nutzung und Sammlung von Regenwasser, Allergie- und Gesundheitsprobleme, nachhaltige Materialien etc.
Was fällt Ihnen spontan zu dem Begriff Freiraum ein?
Die ?bersetzung auf Französisch wäre espace libré, auf Englisch: free space. Das existiert nicht, wir sagen in Frankreich Grünraum, espace verde. Freiraum ist ein spezifischer Begriff der deutschsprachigen Zone. Was ist ein Freiraum? Ist alles Freiraum, sind alle Räume frei? Ist Landwirtschaft ein Freiraum?
Und zum Thema Üffentlicher Raum?
Wichtig dabei ist die Frage: was ist öffentlich? Ist ein privater Park öffentlich? Ist öffentlich alles was frei für alle, auch während der Nacht, zugänglich ist? Kann ein öffentlicher Raum überdacht sein oder ist es immer nur »natürlicher Raum«? Ist er immer zugänglich, ist er auch manchmal geschlossen, wer entscheidet das? Die wichtigste Rolle des Üffentlichen Raumes ist eine gesellschaftliche Rolle! In öffentlichen Räumen kann man eine Revolution starten. Nicht in privaten Räumen! Wo sind die Demonstrationen? Wo kann ein Volk oder eine Gruppe sich ausdrücken? Nur in öffentlichen Räumen! Deshalb sind sie so wichtig! Man sieht auch in der Geschichte, wie speziell diese öffentlichen Räume architektonisch und landschaftsarchitektonisch geschaffen und beschrieben wurden. Es gab Regeln die immer durch gewisse Mächte bestimmt wurden. Üffentliche Räume sind wichtiger als Gebäude für die Gesellschaft, für die Freiheit, für die Demokratie. Diese öffentlichen Räume sind DIE Räume für die Demokratie. Sie sind Räume der regierenden, gesetzgebenden Macht, aber sie haben auch eine Bedeutung für freie Meinungsäußerung. Üffentliche Räume, wie sie beschaffen und gestaltet sind und welche Bedeutung sie in den Städten haben, sind ein Zeichen bzw. Spiegel der demokratischen Einstellung einer Gesellschaft.
Kennen Sie die aktionistische Form des urbanen Gärtnerns: Guerrilla Gardening?
Das kenne ich nicht. In Lyon zum Beispiel gibt es eine Tradition der öffentlichen Räume mit sehr schöner Landschaftsarchitektur und Gestaltung. Es gab immer einen Dialog, Diskussionen und Kooperationen zwischen der Stadt und den Einwohnern, der Bevölkerung um solche Aktivitäten zu vermeiden. In Paris gibt es im Moment: Jardin partagé, sogenannte geteilte,
verteilte Gärten. Das sind kleine Gärten für eine Gruppe von Leuten. 300qm werden für Leute, die sich dafür eingetragen haben, aufgeteilt und sie bekommen zum Beispiel 5 qm, um Tomaten oder ähnliches zu kultivieren. Diese Idee der urbanen Landwirtschaft, der urbanen, der vertikalen Farmen wird sich in den nächsten Jahren in unseren Städten noch stärker entwickeln. Ich verwende dabei immer den Begriff fertile im Sinne einer »Fruchtbarmachung der Stadt«, metaphorisch gesprochen den »Grund der Stadt« so aufzuarbeiten oder zu ändern, so dass etwas wachsen kann.
Was waren die schönsten Träume, die für Sie in Erfüllung gingen? Welche Träume verfolgen Sie weiterhin, um Sie zu verwirklichen?
Die Zukunft der Architektur geht in eine Richtung, wo es diese Trennung, diese Differenz von Außen und Innen nicht mehr gibt: die Möglichkeit der Erweiterung durch Glashäuser, Gebäude unter Glashäusern zu bauen wie zum Beispiel die Fortbildungsakademie Mont-Cenit in Herne-Solingen in Deutschland. Außenräume die wie Innenräume genutzt werden können, da sie überdacht und vor der Witterung geschützt sind. Sind sie innen oder außen? Diese ganze Thematik der Trennung zwischen Innen- und Außenräumen, die intensivere Verwebung dieser beiden Bereiche sind bei städtebaulichen ?berlegungen zu einer zukünftigen nachhaltigen Stadt sehr wichtig für mich.
Meine Träume in Hinblick auf Architektur und Landschaftsarchitektur sind eine Aufhebung der Unterschiede. Mein Traum für Architektur ist eine biodégradable Architektur, eine biologisch abbaubare Architektur. Das alles was wir machen sich natürlich entwickelt und irgendwann einmal auch stirbt. Dass wir unsere Macht über diesen Planeten, über die Natur und die Menschen nicht ausnutzen, um zu imponieren. Dass wir mehr an und mit der Natur der Menschen arbeiten. Dass wir mit den Menschen, mit der Natur unsere Landschaft und Architektur entwickeln und nicht dagegen. Dass wir akzeptieren, dass uns das Leben nicht gehört. Dass wir modest und bodenständig bleiben.
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