GAS/Wolfgang Voigt © Kompakt
GAS/Wolfgang Voigt © Kompakt

Fichtennadeln on the dancefloor

Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Wolfgang Voigt hat mit »Rausch« ein neues Album veröffentlicht und sorgt damit für reichlich Unbehagen im tristen Dickicht der Klänge.

Und schon wieder wird die Disko in den Wald verlegt. Wolfgang Voigt hat überraschend ein neues Album vorgelegt. Sein zweites nach »Narkopop« aus dem Jahr 2017 und der vorangegangenen, über 17 Jahre andauernden künstlerischen Schaffenspause – zumindest im Falle seines Paradeprojekts GAS. »Rausch« nennt sich das knapp einstündige Album, das sich aus sieben scheinbar übergangslosen Teilen zusammensetzt und wie all seine Vorgänger am besten ohne Unterbrechung, allein und in vollkommener Dunkelheit gehört werden sollte. Soziale Deprivation, aber anders!

Waldrauschen
Freilich ist das Motiv des Rausches kein neues in den Arbeiten von Voigt, der mit seinen früh-psychedelischen Erfahrungen in den waldlichen Gefilden seiner Heimat immer offen war. Das 1999 erschienene »Königsforst« gilt dabei als inoffizielle, wenn auch namensgebende Hymne für jenen Ort, an dem er sich in seinen bewusstseinserweiternden Jugendjahren herumtrieb und scheinbar nachhaltig beeinflusst wurde. Zum Glück, möchte man meinen. Immerhin hat sich der Name GAS über die Jahre zu einer Art Synonym für die träge dahinschwebenden Klänge des Ambient-Techno gemausert. Viel Zeit ist seit damals vergangen. Was genau er in den Blättern und Kronen der Bäume für sich entdeckte, bleibt aber wohl ebenso für immer sein Geheimnis wie die eigentümliche Fähigkeit, zu einer nachhaltigen Öffnung der Gedankenwelt beizutragen.

Auch »Rausch« nimmt sich da nicht aus. Monochrome Nadelbäume zieren einmal mehr die Vorderseite seiner mittlerweile zu ikonischen Bildnissen gewordenen Plattenhüllen. Dicht an dicht stehen sie da, ineinander übergehend und doch für sich alleine, ein verwobenes Gewirr aus Ästen und Zweigen bildet den visuellen Rahmen für das sich ausbreitende klangliche Geschehen – ein zunächst auf dröhnendes Rauschen reduzierter Einstieg. Später braut sich das Unheil, inmitten langgezogener, sich überlappender und stets in dissonante Zwischentöne verfallende Orgelklänge, zunehmend stärker zusammen. Die Kick Drum läuft in moderater Marschgeschwindigkeit unterschwellig nebenher. Snare und hochfrequentes Piepsen wechseln sich im Rhythmus ab. Es wird dunkler und kühler und ehe man sichs versieht, verlaufen die Spuren im Walde zu einem undurchsichtigen Gewebe aus unterkühlten Klängen, die wie unkontrollierbare Fangarme nach einem zu tasten beginnen.

»Rausch« von GAS erschien am 18. Mai 2018 auf Kompakt.

Kein Spaziergang
GAS zu hören, heißt, sich tatsächlich zurückzunehmen und sich auf die Musik einzulassen. Wer mit den früheren Arbeiten von Voigt vertraut ist, weiß, dass sie wenig mit der Ausübung und noch viel weniger mit dem Beiwohnen sozialer Aktivitäten vereinbar sind. Gleichzeitig würden sie aber genauso wenig als fades Hintergrundgedudel durchgehen. Wer sich darauf einzulassen vermag, wird belohnt. Alle anderen werden – sorry! – in der Musik von GAS nichts finden. Die Musik organisiert sich nämlich in einem undefinierbaren Zwischenraum der gedanklichen Metamorphose. Sie ist erweitertes Kopfkino für all jene, die dem Wagnis einer Reise nicht abgeneigt gegenüberstehen.

»Rausch« ist, wie seine Vorgänger auch, ein Drang und Wagemut für die Öffnung der Welt, das Neue zu begrüßen, um das Alte hinter sich zu lassen. Wer die sieben ineinanderfließenden Stücke hört, sich zu bemüßigen und für die Dauer einer Stunde abzukapseln weiß, fährt sprichwörtlich aus sich heraus. Und dieses Herausfahren geht mit Veränderungen einher. Im Vergleich zu dem im letzten Jahr erschienenen »Narkopop« und allen vorangegangenen Arbeiten ist das neue Album dabei eine durchaus dunkle Angelegenheit. »Rausch« ist kein heller Ausblick und ganz sicher keine Musik, die in fröhlichen Stunden dazu beitragen könnte, noch fröhlicher zu werden. Erwartet hätte das ohnehin niemand. Der Anspruch ist freilich ein anderer, setzt er doch die eigene Ruhe voraus und produziert sie in gewisser, veränderter Weise. (K)Ein Spaziergang in einem verwunschenen Wald!

Link: http://www.wolfgang-voigt.com/

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Text
Christoph Benkeser

Veröffentlichung
29.05.2018

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