Réka Kutas © Gustavo Petek
Réka Kutas © Gustavo Petek

Ein Nachhall für Réka Kutas

Ein Nachruf als Appell an die Stille. Die Cellistin, Sängerin, Improvisatorin, Musikerin und Performerin Réka Kutas ist aus diesem zu sehr dem Materiellen, dem Dreisten unterworfenen Leben verschwunden. Ihre Musik war flüchtig wie sie selbst vor dieser Welt und doch hinterlässt sie Spuren …

Manche gehen, so scheint es, in völliger Stille. Es ist Mai, und die Nachricht von Rékas Tod hat mich erst vor wenigen Tagen erreicht, ich hatte davor nichts davon gewusst. Es muss irgendwann im Jänner gewesen sein, dass sie die Entscheidung getroffen hat, sich das Leben zu nehmen. Eine lange Zeit, in der dieser Riss unmerklich geblieben ist. Denke ich an Réka und ihre Gegenwart, so möchte ich mir vorstellen, dass dieser Moment still war. Vielleicht liege ich auch falsch – wer weiß schon von den Dämonen im Inneren einer Anderen und ihrem Wirken, ob das still ist oder schreiend vor Schmerz und Einsamkeit, ob das klar ist oder verwirrend und überfordernd, zu viel – aber der Gedanke, dass es in ihr an diesem inneren Punkt letztlich still war, tröstet mich (worum es nicht geht, aber dennoch).

Es ist wahr, ich möchte gerne glauben, dass dieser Moment von Stille umhüllt war: Ich wünsche mir für Réka, dass sie einmal wenigstens von vollständiger Stille, von Frieden und einer Art von Gelassenheit umfangen war, geborgen in einer Art Einverständnis mit einer Entscheidung, ihrer Konsequenz und der Welt, die man damit verlassen wird. Denn Stille wäre, so meine ich über Réka zu wissen, für sie so wichtig gewesen: mehr Stille in der Welt, Stille, in der man hören und gehört werden kann, Stille, in der endlich Zeit ist, die Formulierungen zu finden, die Worte im Mund zu ihrer Ordnung kommen zu lassen, Stille, letztlich, in der man sein kann. Ich gebe zu, ich weiß nicht viel über Réka und ihre Geschichte, ihre Verbindungen, ihre Suche, ihr Lieben und ihr Hoffen. Es sind wenige Eindrücke, die ich von ihr habe. Die Distanz, die zwischen uns selbst und anderen Menschen immer und prinzipiell herrscht, habe ich auch mit Réka nicht überwunden oder aufgelöst. Aber auf einer schwer zu fassenden Ebene konnte ich sie als verwandte Seele erkennen: Sie schien mir immer ein im eigentlichen Sinne in die Welt geworfener Mensch zu sein, zart, vielleicht zu zart für diese Wirklichkeit, ausgestattet mit großen und wunderbaren Fähigkeiten und Talenten, begabt mit großer und feinfühliger Sensibilität.

Vielleicht ist eine Gabe manchmal auch ein zwiespältiges Geschenk, liegt an ihrer Unterseite auch der Fluch. Oder soll man es einen Fluch nennen, eine Feinfühligkeit, die kaum oder zu wenig Resonanz findet in dieser Realität, in der sie nirgends wirklich zuhause ist, in der es keinen Raum und keine Zeit zu geben scheint für die Vorsicht, die Zerbrechlichkeit und die Sanftheit, mit der sich der so feinfühlige Mensch Réka den Dingen und den Menschen anzunähern versucht hat? Fest, allzu fest schien ausgemacht, dass Réka aus vielen Gründen nicht ankommen durfte, sie war dazu bestimmt, verdammt vielleicht, eine unruhige, wandernde Präsenz, ein Irrlicht zu sein. Eine Suchende, eine Ortlose vielleicht, letztlich – ob aus freien Stücken, als Wesenszug, oder aus Gründen der widerständigen, kantigen Welt – ein Mensch der Zwischenzustände und der Übergänge, nicht einer der schieren Gegenwart. Offenbar, so möchte ich mir es begreiflich machen, schien es ihr unmöglich, sich so zu zeigen und ihre Lebendigkeit zur Entfaltung zu bringen, wie es ihr und ihr alleine gemäß gewesen wäre. Nicht, dass sie es nicht versucht hätte – die Cellistin, Sängerin, Improvisatorin und vielfältig anders präsente Musikerin und Performerin Réka Kutas hat fraglos Spuren hinterlassen: schöne, eigenartige und bezaubernde Abdrücke einer Person, die sich am deutlichsten, am direktesten in der Kunst, in der Bühnensituation zeigen konnte. Und wäre es möglich, die fließenden Energien und Erfahrungen, die Wirklichkeit der Kunst in jene der Wirklichkeit zu transformieren, wäre es möglich, Kunst und Realität zusammenfallen zu lassen, vielleicht müsste dieser Text nicht geschrieben werden. Im schwarzen Quadrat ist das Ende der Kunst aufgehoben, und doch ist es nur ein Bild und die Utopie nicht eingelöst, die Welt weiterhin unerlöst. Schwarz ist auch die Farbe des Todes.

So blieben ihr nur Schwundformen lebendiger Erfahrung. Begegnungen, die immer häufiger ins Nichts laufen, Momente, denen immer intensiver die Bitternis anhaftet, Versuche, die immer haltloser ausfallen und an deren Ende einer dieser inneren Punkte steht, von denen keine Wege mehr weiterzuführen scheinen. Die Unerbittlichkeit dieser Wirklichkeit, ihr Unentwegtes, das tägliche, endlos repetitive Beweisen, Ausweisen, Darstellen und Vorhandensein, dem so stark, so manifest sichtbar an Réka, hörbar an ihrer Musik, spürbar an all ihren Bewegungen doch dieses tiefe Bedürfnis nach Stille, nach Resonanz gegenüberstand. Das in die Welt geworfene Individuum Réka wurde nicht aufgefangen und gehalten, sondern drohte an den Klippen der Realität zu zerschellen. Sie hat, so scheint es mir, dann versucht, selbst zur Schwundform zu werden: den Raum und die Zeit, die sie in der Wirklichkeit einnimmt, zu minimieren. Vielleicht kann man das als Versuch lesen, sich der eigenen Sensibilität und Zartheit völlig hinzugeben – vielleicht aber auch als unmögliche Doppelexistenz von Sein und Nichtsein. Sein, weil man ist und nicht nicht ist; Nichtsein, weil man aber so nicht sein will. Nicht sie als Person, sondern das widersprüchliche Verhältnis, in das die Wirklichkeit sie mit sich zu bringen scheinbar vorhatte, konnte irgendwann so nicht mehr sein. Wer sich reduzieren, minimieren möchte, der möchte den Schmerz in sich minimieren. So also fiel ihre Doppelexistenz, ihre Schwundform in sich zusammen, verkürzte sich ein letztes Mal noch auf einen inneren, irrlichternden Punkt, an dem sich möglicherweise endlich Stille fand und verlosch. So könnte es gewesen sein, es könnte aber, so ehrlich muss man sein, auch ganz anders gewesen sein. Sie ging vorüber: auch an mir, zu meiner Scham und Schande.

Und so ist es jetzt Mai, und der Jänner war zu früh. Alles war zu früh, oder zu spät, es macht keinen Sinn, Sinn aus diesem Tod gewinnen zu wollen. Es gibt keine versöhnlichen Worte am Ende, es liegt nichts Versöhnliches an ihrem Dahingehen. Alle Worte bleiben leer, theoretisch, spekulativ, vielleicht sogar obszön. Ihr Tod ist kein Symbol. Sie starb, und das ist dennoch auch unser Scheitern, es sind viele verpasste Gelegenheiten, ein geläufiges Übersehen, die zu tiefe Verstrickung in die eigene Lebensrealität, der schwarze Schatten auf unserem Egoismus. Die Schule der Geläufigkeit des Einander-Verkennens, des Aneinander-Vorbeischauens, die wir tagtäglich so fleißig aufsuchen. Wir, die wir noch hier sind, müssen also wieder Resonanzkörper werden: Verstärker und Gefäße für die fragilen, zarten Schwingungen all derjenigen, die sonst ungehört bleiben. Wir müssen auch Stille sein, Stille schaffen – und zuhören. Vorhanden sein, weil wir sind und nicht nicht sind, weil Sein immer Verwiesen-, Verflochten-Sein bedeutet. Für Réka, ihrem Andenken und ihr zu Ehren – aber auch für alle jene, die unsere Anteilnahme und unsere Zuwendung genauso verdienen und brauchen, wie sie es verdient und gebraucht hätte. Nicht im Widerhall, weil alles zu spät ist, aber doch und vollen Herzens im Nachhall.

Über den Autor
Hannes Dufek (*1984) ist Komponist und Musiker in Wien. Er hat mit Réka Kutas improvisiert, musiziert, ist mit ihr auf der Bühne gestanden und hat gemeinsam Theaterprojekte realisiert. Er hat mit ihr gestritten und diskutiert, hat auf sie gewartet und sie verpasst, war von ihr überrascht und überwältigt, hat mit ihr Jausen und Frühstücke, Mittagessen und Nachspeisen ebenso geteilt wie musikalische Erfahrungen, hat auf erfolgreiche Projekte mit ihr angestoßen und insgesamt ein viel zu kurzes Stück des Lebens mit ihr zurückgelegt.

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Text
Hannes Dufek

Veröffentlichung
12.05.2020

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