Knapp zwei Jahre ist es her, dass Farce ihre erste EP veröffentlichte. »Ich sehe im vorbeifahrenden Auto den Unfall mitvorbeifahren in Zeitlupe und rueckwaerts« war ursprünglich als stilfindendes Experiment gedacht und wurde zu einer Art melancholischem Manifest, einer symptomatischen Darstellung der gegenwärtigen Popmusik, ohne in ihrem pathosgeladenen Ausdruck jemals pathetisch zu wirken, im Gegenteil: Es sind intime Stücke, die Stärke und Verletzlichkeit zeigen, sie offen nach außen tragen und zwischen all den sakralen Elementen einen andächtigen Moment der Zurücknahme signalisieren. Man meint, dieses eine, vermeintlich unbestimmbare Gefühl zu kennen, das Farce mit ihrer Musik hervorruft, und doch schafft sie etwas gänzlich Eigenes, etwas Neues und so noch nicht Gehörtes. Es ist Musik, die mehr ist als die Summe ihrer Teile.
Nach einzelnen, unregelmäßigen Veröffentlichungen auf Bandcamp und SoundCloud erscheint nun im Oktober dieses Jahres das erste Album von Farce. »Heavy Listening« nennt sich das Langspieldebut, das auf dem österreichischen Label Futuresfuture aufgelegt wird. Die erste Singleauskopplung wurde vor Kurzem auf YouTube hochgeladen und zeigt so etwas wie einen Stop-Motion-Abgesang auf die Hipster-Hauptstadt. »I Hate Berlin« besteht aus zwei Akten und wurde mit der befreundeten Künstlerin Ebow alias blaqtea produziert und aufgenommen. Alles anders, alles neu. Auf jeden Fall bewusster. Die persönliche Entwicklung ist enorm und doch überträgt sich dieser spezielle Moment der Berührung, dieses ureigene Charakteristikum, das ihre vorangegangenen Arbeiten ausgezeichnet hat, weiter.
Das gesamte Album wird demnächst live am Hyperreality Festival im Rahmen der Wiener Festwochen zu hören sein. skug hat die in Wien lebende Künstlerin vorab getroffen und mit ihr ein Gespräch über die eigene Entwicklung, den gegenwärtigen Zustand der Popmusik und ihr erstes Album geführt.
skug: Du hast vor Kurzem am Donaufestival im Rahmen der Stockholm-Syndrom-Reihe ein Konzert gespielt. Am Eingang war dort ein Schild zu sehen, auf dem unter deinem Namen ein schöner Satz stand: »Dies wird ihr Jahr«. Wird das also das Jahr von Farce?
Farce: Das war auf jeden Fall eine sehr süße Beschreibung, über die ich mich sehr gefreut habe. Mein erstes Album, mit dem ich extrem glücklich bin, wird im Oktober veröffentlicht. Dazu kommt, dass ich diesen Sommer auf den größten und schönsten Festivals Wiens spielen darf, nämlich auf dem Hyperreality und dem Popfest am Karlsplatz. Der Gig am Donaufestival ist natürlich auch eine Ehrung. Von daher schaut es zumindest so aus, als ob das mein Jahr werden könnte (lacht).
Auf deine Konzerte am Hyperreality Festival und am Karlsplatz wollen wir später zurückkommen, genauso wie auf deine bevorstehende Albumpräsentation. Ganz zu Beginn möchte ich mit dir aber noch einmal über deine Anfänge sprechen. Du kommst eigentlich aus einer ganz anderen Szene, bist musikalisch mit Post-Metal und Hardcore sozialisiert worden. Wie kam es eigentlich zu deiner Entwicklung hin zu poppigeren Elementen und Strukturen?
Das ist ziemlich genau mit meinem Umzug nach Wien Ende 2015 festzumachen. Davor habe ich bei der Band Boden gespielt bzw. die Gruppe auch in Stuttgart mitbegründet. Das ist eine Post-Black-Metal- und Shoegaze-Band, die ich nach wie vor nur empfehlen kann. Mit dem Umzug nach Wien kam spätestens nach einem halben Jahr auch der Antrieb, auf jeden Fall weiter Musik zu machen. Damals hatte ich allerdings weder Zeit, Lust noch irgendwelche anderen Ressourcen, um in einer Band zu spielen. Dazu kommt, dass ich mir nicht sicher war, ob die Musikrichtung, die ich machen will, überhaupt einer Band bedarf. Im Sommer vor meinem Umzug nach Wien entdeckte ich GarageBand und habe dann darüber für meine damalige Band Boden noch Songwriting gemacht. Dadurch bin ich später zum eigentlichen Produzieren gekommen, habe begonnen, auszuprobieren, was möglich ist. Das erste, was ich damit gemacht habe, war ein Cover von »Baby It’s Cold Outside«, das ich dann auf SoundCloud hochgeladen habe. Das war so ein shoegaziges Cover. Ich finde es leider nicht mehr, was wahnsinnig schade ist, aber es ist nirgendwo auf meinem Laptop zu finden und auch nicht mehr auf SoundCloud. Damit habe ich aber erstens gemerkt, dass ich nicht zwangsläufig eine Band brauche, um selber Musik zu machen. Und zweitens, dass da ganz viel ist, was aus mir raus will und was ich einfach so unvermittelt über meinen Laptop rausgeben kann.
Das heißt, der Sprung zu poppigeren Anleihen hing bei dir auch sehr stark mit dem Umzug nach Wien zusammen?
Das hat vor allem auch viel damit zu tun, wie sich meine eigene Einstellung zu Popmusik und vor allem der Frage, was Popmusik überhaupt ist und sein kann, geändert hat. Wenn man in linken Hardcore- und Metal-Strukturen unterwegs ist und da auch die eigene Sozialisierung genießt, dann wird man damit erzogen, dass Popmusik nicht gut ist. Und dass Popmusik nichts leisten kann – und dass Popmusik generell was für die blöde, konsumierende Masse ist. Von dieser Einstellung wollte ich mich irgendwann wegbewegen, weil ich das nicht wirklich so empfunden habe und es viel Popmusik in meinem Leben gab, auch noch als Kind, die mir sehr viel bedeutet hat, die ich allerdings nie als Popmusik gelesen habe, sondern als »richtige« Musik. Das war ein Problem, das ich dadurch aktiv angegangen bin, dass ich angefangen habe, Popmusik zu machen.
Was bedeutet Popmusik für dich heute?
Ich kann das ganz schwer an einem Genre oder auch an Klängen festmachen. Popmusik ist für mich auf jeden Fall konsumierbar, bietet gleichzeitig aber auch einen großen Platz, um experimentell zu sein. Vor allem, weil es so viele Dinge gibt, die in Popmusik Konjunktur hatten und die nicht aus der formtreuen Popmusik gekommen sind. Es gab und gibt extrem viele Einflüsse, die auf dieses Genre einwirken. Populärmusik ist für mich deshalb in erster Linie so, wie sich die Musik selbst positioniert. Das muss nicht unbedingt ein bestimmter Sound oder eine bestimmte Art von Künstler*in oder Gruppe sein, die aufgrund dessen Popmusik macht, sondern eher eine Einstellung, wenn man selbst sagt, dass es Popmusik ist, und sich damit in den Augen von elitären Diskussionen die Blöße gibt. Dann ist es Popmusik.
Geht das deiner Meinung nach mit einer gewissen Ästhetik einher?
Ich denke, es passiert gerade sehr viel in der Mainstream-Popmusik. Vor allem wenn wir von Top-40-Sachen sprechen, passiert viel, was sich extrem viel von Marginal Communities nimmt und von Musik, die nicht im Mainstream vertreten ist. An denen wird sich bedient. Jene, die aber tatsächlich aus diesen Communities kommen, schaffen es nur selten, wirklich in den Mainstream einzudringen – und das ist etwas, was mich stört!
Würdest du sagen, dass Popmusik generell offener für unterschiedliche soziale und gesellschaftliche Einflüsse ist als beispielsweise extreme Musikrichtungen, wo die Grenzen vielleicht von vornherein klarer abgesteckt sind?
Ich glaube nicht unbedingt, aber sie scheut sich auch nicht, diese Einflüsse in eine Struktur einzuflechten, die irgendwo da ist – eine Struktur von Verse und Refrain oder ähnliches, das aber auch immer öfter aufgebrochen wird. Wir tendieren auch in der Popmusik immer mehr dazu, den Genius sehen zu wollen und gerade in der Popmusik zu spüren, wie vielschichtig diese sein kann. Das, was zum Beispiel Childish Gambino macht, wird auch als Popmusik gehandelt, gleichzeitig wird er aber wie ein postmoderner Performancekünstler gehandelt. Das ist für mich schon eine sehr spannende Entwicklung, aber auch eine richtige Entwicklung. Wenn wir ehrlich sind, sind Rap und HipHop der neue Rock, also das, was Leute noch mitnimmt. Im weiten Genre der Rockmusik gibt es wenige Dinge, die uns überhaupt noch irgendwo anstoßen.
Du hast gerade auch von Childish Gambino gesprochen, der kürzlich ein Musikvideo veröffentlicht hat, das viral ging und viele interessante Diskurse ausgelöst hat. Was berührt und inspiriert dich ansonsten für deine eigenen Arbeiten?
Tatsächlich habe ich das Childish Gambino Video (»This Is America«) noch gar nicht gesehen. Es wird mich aber ganz sicher auf irgendeine Art und Weise inspirieren. Ich habe darüber schon mindestens zehn Artikel und Meinungen überflogen und werde das jetzt auch nachholen. Abseits davon fällt es mir zunehmend schwer, nach links und rechts zu hören, was so alles passiert. Es gibt nur noch wenige Dinge, die mich wirklich ansprechen. Das neue Cardi B Album (»Invasion of Privacy«) ist super gut und höre ich auch viel. Außerdem natürlich das neue Album von Fauna (»Infernum«), vor allem, weil ich mich darauf vorbereite, es am Hyperreality gemeinsam mit ihr zu spielen. Da höre ich dann schon links und rechts, wenn Dinge in gewisser Weise an mich herangetragen werden. Ansonsten höre und sehe ich tatsächlich wenig. Wir schauen gerade »Keeping Up with the Kardashians« (lacht), sonst passiert an Input gerade nicht so viel bei mir.
Vor Kurzem erschien die erste Doppelsingle von deinem neuen Album. »I Hate Berlin« heißen die Songs, die du gemeinsam mit Ebow produziert und aufgenommen hast. Wie kam es eigentlich zu der Zusammenarbeit mit ihr?
Ebru (Düzgün) und ich sind schon länger befreundet. Wir haben uns durch eine gemeinsame Freundin kennengelernt. Ich produzierte und schrieb das Album, während ich im letzten Jahr gemeinsam mit der Band I Salute auf Tour in Deutschland unterwegs war. Da hatte ich einen Offday in Berlin und bin zu den Gaddafi Gals ins Studio gegangen, die dort gerade ihr Album aufgenommen haben. Wir sind dann gemeinsam im Studio abgehangen und in unserem Gespräch ging es darum, dass ich Berlin nicht so gut abkann. Noch in Berlin habe ich »I Hate Berlin« angefangen, zuhause in Wien habe ich dann das Instrumental für beide Songs fertig produziert. Meinem Produzenten Nikolaus und mir ist dann aufgefallen, dass jemand über den Beat rappen muss. Man kann den Song nicht anders strukturieren, es sollte einfach so sein. Die einzige Person, die für mich in Frage kam, war dann Ebru mit ihrem Moniker blaqtea, unter dem sie bei Gaddafi Gals auf Englisch rappt. Sie hat sich sehr gefreut, wir haben das aufgenommen und sind total glücklich damit.
Auch das dazugehörige Musikvideo ist sehr, sehr schön geworden! Aber zurückkommend auf den Songtitel: Was ist eigentlich so abstoßend an Berlin?
Es geht in dem Song tatsächlich nicht so sehr um die Stadt Berlin, als vielmehr um den Zustand, in dem ich war, als ich in Berlin war. Ich hatte Heimweh, vermisste meine Freundin und wollte einfach zu dem Zeitpunkt nicht in Berlin sein. Außerdem ist mir Berlin einfach zu groß, zu flächig und zu unfreundlich. Von daher zaht mich Berlin nicht wirklich, um es auf Wienerisch zu sagen.
Im Oktober wird dein Debutalbum veröffentlicht. »Heavy Listening« wird es heißen und auf dem Label Futuresfuture erscheinen. Inwiefern wird sich der Sound des Albums von deinen früheren Arbeiten und vor allem deiner Erst-EP »Ich sehe im vorbeifahrenden Auto den Unfall mitvorbeifahren in Zeitlupe und rueckwaerts« unterscheiden?
Eigentlich zu 100 Prozent. Ich habe nicht wirklich das Gefühl, dass es an meine vorherigen Songs anschließt. Es steht eine große persönliche Entwicklung zwischen diesen beiden Veröffentlichungen, die sicherlich nachvollziehbar ist, die man mitspüren kann – auch mit Sachen, die ich dazwischen rausgebracht habe. Man wird aber andererseits auch hören können, dass ich zum Mischen und auch zum Aufnehmen mit einem Freund im Studio war. Man wird merken, dass ich mich mehr commited habe.
Also auch ein Stück weit weg vom Bedroom Producing?
Naja, ich habe das Album so oder so zum größten Teil in meinem Schlafzimmer mit GarageBand geschrieben und aufgenommen. Aber das Commitment zur Sache an sich ist auf jeden Fall größer. Für mich war das davor schon mehr ein Experiment, jetzt ist es vielmehr eine bewusste Entscheidung geworden.
Wie kann man sich dein Produzieren vorstellen? Wie arbeitest du an deinen Songs?
Ich produziere wie gesagt mit GarageBand und einem kleinen Akai Midi-Keyboard, habe mir aber vor Kurzem eine Native Instrument Maschine zugelegt, die extrem viel Spaß macht. Außerdem habe ich ein kleines Interface, wo ich meine Gitarre anschließen und aufnehmen kann. Das passierte auf dem neuen Album auf jeden Fall öfter, obwohl die Musik gar nicht mehr danach klingt, als könnte da noch eine Gitarre sein. Aber sie kommt wieder! (lacht) Oft sind es Klänge und Instrumente in verschiedenen Programmen, die ich ausprobiere und denen ich, sofern sie mir gefallen, eine gewisse Strukturierung gebe. In letzter Zeit hatte ich auch öfter Texte und einzelne Lines im Kopf, um die ich dann etwas gebaut habe.
Du betreibst ja auch ein Cloud-Rap-Projekt namens Minicar Bellucci. Gehört das heute einfach dazu?
Naja, das ist schon vor allem ein Spaß-Projekt. Oft sitze ich da und baue einen Beat oder es kommt im Gespräch irgendetwas auf, wo man sich dann denkt, dass es einen Cloud-Rap-Song darüber geben sollte. Diese Kunstperson der Minicar Bellucci gibt es dementsprechend auch hauptsächlich für Dinge, die ich zum Spaß mache und die mit allem zu tun haben, was nicht Farce ist. Ich spiele unter diesem Moniker auch als DJ lustige Sets auf Partys … Meine Freundin und ich machen gerade einen Song zusammen, vielleicht kommt der mal über Minicar Bellucci raus, wer weiß (lacht). Aber sonst ist das Profil momentan mehr zu vernachlässigen.
Demnächst kommen ja deine Auftritte am Hyperreality Festival, wo du insgesamt drei Mal spielen wirst. Was darf man sich da erwarten?
Ich denke, dass das Hyperreality vor allem für die Wiener Musikindustrie und ihren Kulturkreis – sowie das auch letztes Jahr war – ein Weckruf sein wird, weil dort die Sachen hingebucht werden, die in Wien passieren und wahnsinnig gut sind, aber eben nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie meiner Meinung nach verdienen. Das war letztes Jahr schon so und das ist dieses Jahr vor allem mit Bookings wie Fauna, Jung An Tagen oder den Gaddafi Gals, die ja auch partly-based in Vienna sind, so. Das sind ja zum Teil Sachen, die alle irgendwo schon am Schirm haben, aber wo sich noch niemand so richtig traut, voll dahinterzuspringen wie es bei anderen Wiener Acts ist. Von daher ist das Hyperreality sicherlich eine gute Chance und ein gutes Omen!
Später im Juli trittst du dann auch am Popfest in der Karlskirche auf. Sicher mit anderem Publikum als am Hyperreality, aber auch offen für deine Musik …
Auf jeden Fall! Ich muss allerdings echt dazu sagen, dass in Wien eh unglaublich viele offen für meine Musik sind, was mich extrem freut und wofür ich auch dankbar bin. Ich meine, ich werde gebucht. Es ist nicht so, dass ich jetzt sagen will: Oh, wir sind alle so gut, aber wir werden alle komplett ignoriert. So ist es ja nicht. Mir geht es nur um diesen einen Schritt dahin, auch wirklich dahinterzuspringen und etwas daranzusetzen. Beim Popfest freue ich mich extrem darauf, in der Karlskirche zu spielen. Das ist einfach eine wahnsinnige Location, auch weil ich die Karlskirche als Kirche furchtbar gerne mag, aber tatsächlich noch nie drin war, weil sie Eintritt kostet. Das wird sich jetzt bald ändern!
Farce präsentiert am Hyperreality Festival im Rahmen der Wiener Festwochen ihr im Oktober erscheinendes Album »Heavy Listening« (26. Mai). Außerdem spielt sie gemeinsam mit Fauna (24. Mai) und den Gaddafi Gals (25. Mai).
Das komplette Interview mit Farce sowie ein Ausblick auf das Programm des Hyperreality Festivals läuft am 15. Mai um 21:00 Uhr bei »Grundrauschen« auf Radio Orange.
Links:
https://farce1000.bandcamp.com
https://soundcloud.com/farce1000