»Es kann sein, dass es eine entropische Sucht ist, die mich vom Rock auflegen zum flächig-chaotischen geführt hat.«
Ich erinnere mich allzu gern an Thomas Pynchons grossartigen Roman »The Crying of Lot 49« (und nicht an Vineland), wo die Protagonistin Oedipa Maas mit konstant steigender Hilflosigkeit über die erratischen Zusammenhänge in Kalifornien planlos oder von unbekannter Hand gelenkt in der Gegend herumirrt und in jeder Kneipe, hinter jedem Briefkasten und hinter jedem Namen die Antwort auf ihre entscheidenden Fragen erwartet.
Natürlich löst sich keines ihrer unzähligen Probleme und somit bleibt es letztendlich dem Leser überlassen, ob sich hinter all dem Firlefanz um gefälschte Briefmarken, Maxwells vielleicht fiktivem Dämon oder das stets in kleiner Abwandlung aufgeführte Drama aus dem 16. Jahrhundert irgendeine tiefgreifende Wahrheit finden lässt oder ob sich alles in subjektiven Projektionen Frau Maas‘ auflöst.
Ein schlichtes »Egal« wäre mit Sicherheit die einfachste Antwort, gäbe es da nicht die Struktur des Romans, die eine solche Antwort nicht dulden kann und bei genauer Lektüre dem Leser auch nicht erlaubt.
Dead Moraks
Wie hängt diese Einleitung nun mit Dieter Kovacic aka Dieb 13 aka Takeshi Fumimoto zusammen? Auch hier empfielt sich, die Antwort rauszuschieben, um sie eventuell gegen Ende des Interviews, nach einer seiner Liveperformances oder während der Aufnahme einer seiner bis dato wenigen Tonträger zu erhaschen. Denn mehr als ein kurzes Aufleuchten, eine bereits vergangene 1000stel Sekunde Erleuchtung kann der Dieb nicht liefern – aber das ist in unserer heutigen Zeit, wo hier und da angeblich gültige Werte ersponnen werden bereits verdammt viel.
Doch auch Takeshi äußert sich zuweilen präzis und engagiert, besonders wenn es um die angespannt lächerliche politische Situation in der heimischen Bananenrepublik Österreich geht, wenn das Gespräch auf das Wie und das Wo seiner kratzenden Vinyl-Fragmente hinlenkt oder seine Stadt Wien als ironischer Aufhänger als Nabel der elektronische Welt betitelt wird (vernachlässigt).
Die Rede fällt zunächst auf den ehemaligen Burgtheater-Schauspieler und aktuellen ÖVP-Kulturstaatssekretär Morak, der in den frühen 80ern noch auf peinlichste Weise auf einer NDWNewWavePunky-Welle ritt, was nach Kovacics Worten »zumindest originell« wirkte. Deshalb gab’s das Dead Morak-Konzert anlässlich des 2-Jahre-Rhiz-Festes. Wenn man seine damaligen Texte heute singt, wie »Ich bin ein Fetter Schreibtischtäter« u.ä. kann man recht lustige Verbindungen herstellen.
Die Dead Moraks (Oliver Stotz, Herbert Molin, Cynthia Schwärtzig, Sylivia Fässler, Billy Roisz, Konrad Becker und ein gewisser Roland) sind irgendwann spätnächtens aus einer Blödelidee entstanden.
Es gab die Dead Kennedys, nach der sich in den 80ern die Wiener Band Dead Nittels benannt haben und so entstand irgendwie die Idee, die Punkband Dead Moraks zu gründen. Wir haben uns dazu entschlossen, absichtlich musikalisch nicht gut zu sein. Die Instrumentierung war nur ein Omnichord mit Gitarreneffekten und einem Verstärker, was sehr räudig und simpel geklungen hat, aber zum Thema gut gepasst hat. Wir haben die Originaltexte fast unverändert übernommen und neu interpretiert.
Pseudonym-Exzentriker
Auch wenn der Dieb bei diesem einmaligen Projekt lediglich als Backgroundsänger in Erscheinung getreten ist, wird hier bereits deutlich, wie er selbst in der Menge seiner Pseudonyme problemlos den Namen Franz Murack überstreifen kann, obwohl doch alle Betitelungen möglicherweise zu einem bestimmten Projekt gehören.
Echelon z.B. ist eher ein Computerprojekt, Dieb13 und Takeshi Fumimoto sind meine DJ- oder turntableist-Namen,
wobei auch hier eine fixe Trennung bzw. sture Rezepte gänzlich vermieden werden.
Kovacic hingegen ist sein tatsächlicher Nachname, der bis dato nur im Duo mit Christoph Kurzmann oder im Trio mit Dafeldecker und Fussenegger erwähnt wurde, also seine Arbeiten als Jazzer kennzeichnen.
Kaum ist das Wort »Jazz« gefallen, kommen wir auf die Heranagehens- und Arbeitsweise zu sprechen, die sich natürlich in Echtzeit von seiner Studioarbeit unterscheiden muss:
Live improvisiere ich immer in irgendeiner Form, wobei, wenn ich viel am Computer arbeite, die Arbeit nicht live und nicht improvisiert entsteht, sondern eher kompositionsartige Strukturen wachsen, die sich meist nicht so flächig wie meine turntabel-performances geben und im Bereich eines rhythmischen, bausteinartigen Sample-Mosaiks anzusiedeln sind.
Wenn ich live spiele, komme ich meist nicht dazu Stille zu integrieren. Da überschlagen sich die Ereignisse und ich finde nicht die Muße, einfach mal ein paar Sekunden Pause zu machen. Es entstehen zwar ruhige Momente, aber keine Stille im eigentlichen Sinn.
»Ich glaube nicht, dass es so etwas wie eine Absolutzeit bei meinem Plattenauflegen gibt.«
Themenwechsel:
Sobald ein DJ sich weigert, ganze Tracks auszuspielen, fällt uns leicht das Wort plunderphonics in den Mund, also der spielerische, ironische und daher oft allzu arrogante Umgang mit Soundfetzen aus der überfüllten Medienlandschaft. Müll wird konsequent nicht vermieden, sondern unaufhaltsam neu generiert, ohne dass sich ein schlechtes Gewissen (im grünen Sinn) ausbreiten kann. Das Thema nach dem Sinn oder Unsinn einer respektablen Tradition schließt sich an:
Ich bemühe mich, mich nicht auf Traditionen zu berufen, um somit Kategorisierungen zu vermeiden, die bis zu einem gewissen Grad beengend wirken.
Wir können allerdings auch nicht ohne sie leben. Sprache an sich ist doch bereits kategorisieren.
Da es sich hier aber um Musik handelt, ist die Aussage, die sie haben soll, bereits in der Musik drinnen und ich finde es beengend noch zu sagen, dass nennt sich so-wie-so und kommt von da und dort und bewegt sich da- und dorthin.
Für den Rezipienten ist’s allerdings eine gute Hilfestellung.
Ich helfe mir auch immer dabei, dass ich meine Musik über die Instrumente beschreibe, aber ich kann wirklich nicht meine Musik so verbal beschreiben, dass sich die Leute was darunter vorstellen können. Ich versuche, meine Musik so offen zu gestalten, dass man bei jedem Wiederhören was anderes hören kann, d.h. dass die Assoziationen und Traditionen, die man darin finden kann, offen bleiben. […] Ich hab mit Oliver Stotz das Projekt © gegründet und das Album Pop Concrète aufgenommen. Die ganze Platte ist fast ausschließlich Selbstironie. Wir haben beide unser Faible für die Residents u.ä. raushängen lassen. Es geht um ein permanentes Wegkippen der Musik, auch um ein permanentes Selbstverarschen. Wenn ich am Computer arbeite, kommt diese Komponente viel stärker zur Geltung. Da bleibt viel mehr Zeit zu reflektiern, Metaebenen einzuziehen und damit auch Ironie zu integrieren.
Es wird spannend:
Kurz darauf machen »Kommunikationsstrukturen« die Runde, der Fokus fällt auf die Strukturen der prä-existenten Sounds.
Auf der Platte befindet sich fertiges Material, im Normalfall nicht von mir. Es geht mir nun hauptsächlich darum, Bezüge zwischen den Dingen herzustellen und durch die verschiedenen Auflegetechniken Bögen zwischen den einzelnen Platten und Musikstilen zu spannen. Es handelt sich um Mini-Strukturen oder auch größere Bögen, aber es kommen keine hermetisch abgeschlossenen Dinge dabei heraus. Und das betrachte ich als Statements, die ich anderen vermitteln möchte.
Es soll eine non-verbale Ausdrucksform entstehen, die aber duchaus Strukturen aufzeigt, die man auch im Sprachlichen verwenden könnte. Es geht mir um Assoziationsstrukturen, die in der Sprache eine extrem wichtige Komponente darstellen. Ich glaube, dass Sprache jenseits der Semantik der einzelnen Wörter stattfindet.
Die Musik liefert ganz ähnliche Muster. Es ist die Art, wie bei mir ein Wechsel zwischen zwei Platten stattfindet; das ist eine ganz ähnliche Art der Kommunikation wie zwischen mir und dem Publikum oder anderen Musikern, mit denen ich zusammenspiele. Das ist für mich eindeutig der spannendste Punkt am Improvisieren: die Art und Weise, wie die Sounds und Breaks miteinander interagieren und wie die Subbögen der einzelnen Musiker mit dem Gesamtbogen einen Weg finden.
Nach Stunden ausführlichstem Gespräch steht die Frage nach dem beruflichem Ziel im Raum:
Ein weißer Elefant ist ein Mensch, der im Radio z.B. einen eigene Sendung gehabt hat oder im Theater ein Rollendarsteller war, der dadurch pragmatisiert, unkündbar ist und dann für den Rest seines Lebens nichts mehr tut, außer weiterhin die Kohle kriegen. Ich hab mir bereits den Plan überlegt, ein paar Stücke zu schreiben, wo Orchester und Plattenspieler vorkommen. Das Radiosymphonieorchester Wien braucht dann einen Plattenaufleger, ich bewerbe mich, spiele etwa zehn Sachen. Dann wird’s eh fad und ich werde zum weißen Elefant.
Sehr guter Plan – doch wer spielt das gedämpfte Posthorn?
Kovacic Diskographie:
Compilation »Picknick Mit Hermann« / rhiz 002 1997, 1 Turntable + CD Track 4’50“
»Pop Concrète« © / rhiz 005, 21 tracks je 2’21“, verschiedenste Instrumente und Geräusche am Computer montiert
Compilation »Turntable Solos« / amoebic amo-va 001 1999, Turntable Solo 4’55“
»Printer« / Dafeldecker, Fussenegger, Kovacic / durian 011-2 1999, (Dieter Kovacic tt, Werner Dafeldecker Kontrabass, Uli Fussenegger Kontrabass + von jedem ein Remix des live-Materials)
Compilation »13 Satements Concering Werk« / charhizma 004 (ein Remix von Werk-Nummern geschüttelter CD-Player + Computer)
»Grain« / efzeg / durian 012-2 2000, (Boris Hauf sax., Martin Siewert git., Burkhard Stangl git., Dieb 13 tt)
Dieb 13 »Restructuring« Edition Zeitton/charhizma (eigenes tt.-liveset + remixes von anderen musikprotokoll-konzerten)