Es ist nicht ganz neu und trotzdem wird die erste Reaktion auf diese Netflix-Dokumentation für viele sein, sich sofort von allen sozialen Plattformen abmelden zu wollen. All jene, die sich bisher geweigert haben, Facebook und Co zu verwenden, fühlen sich umso mehr bestätigt. Die britische Zeitung »The Guardian« weist darauf hin, dass Filmemacher Jeff Orlowski – wie bereits in früheren Filmen – neue überzeugende Erkenntnisse zu einem bekannten Thema ergänzt und so gleichzeitig eine attraktive Geschichte erzählt, die das Publikum schrecken soll (»scaring the absolute shit out of you«).
Orlowski spricht in dieser Dokumentation vorwiegend mit Männern (und wenigen Frauen), die dabei geholfen haben, die bekannten Social-Media-Netzwerke aufzubauen und sich jetzt vor den Auswirkungen ihrer Erfindungen auf die mentale Gesundheit und die Grundlagen der Demokratie fürchten. Der dokumentarische Blick hinter die Kulissen der sozialen Netzwerke zeigt auf, dass die Manipulation von menschlichem Verhalten für Profit ganz zentral für den Erfolg dieser Unternehmen ist. Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen außerhalb dieser Blase haben in diesem Film kaum Raum, ihre Perspektiven einzubringen.
Ein fesselnder Hybrid mit Sogkraft
Dramaturgisch fesselnd, verpackt in eine Hybrid-Form aus Interviews, Infografiken und einer mit fiktiven Szenen von Schauspieler*innen (wie Vincent Kartheiser, bekannt aus der Serie »Mad Men«) inszenierten Parallelgeschichte entwickelt »The Social Dilemma« seine Sogkraft. So schafft Orlowski für die breite Masse gute Unterhaltung; dabei regt der Film gleichzeitig an, über das eigene Konsumverhalten nachzudenken.
Doch dem steht die Simplifizierung gegenüber. Wie für eine Netflix-Produktion üblich, wird diese alleine zu Hause gestreamt – das Potenzial, sich hier unreflektiert mitreißen zu lassen, ist hoch. So kritisiert »The New York Times« das Doku-Drama dafür, dass es Faktoren wie ökonomische Unsicherheiten, Auswirkungen eines ungebändigten Kapitalismus und historische Zusammenhänge unberücksichtigt lässt. Außerdem ist eines nicht ganz auszublenden: Netflix selbst ist Teil des kritisierten Phänomens. »The Social Dilemma« bietet zumindest einen guten Anstoß, nachzudenken und die Diskussion voranzutreiben.