»Der Film soll den Zuschauer bedrängen, seine Weltanschauung zu verändern«, erläutert Regisseur Ferdinand Macek zu Beginn – wohl in Richtung eines nach wie vor verweigernden Kärntner Publikums. »Es geht um die Wahrheit, nicht um die Wirklichkeit. Der Film ist nicht nur kein böser Traum, sondern soll zum Nachdenken anregen«, so Macek. »Es gibt inzwischen leider keinen einzigen Ûberlebenden des Todeslagers am Loiblpass mehr, der heute noch lebt. Damals, im Jahre 1955, kam noch ein ganzer Bus ehemaliger Häftlinge aus Frankreich zu den Feierlichkeiten«, berichtet der Wissenschaftler Peter Gstettner, der sich sehr um das Gedenken auf der österreichischen Nordseite des Loiblpass-Tunnels, der in der NS-Zeit durch Gefangene gebaut wurde, bemüht hat. »Es wäre ein eigener Film, wie die Kärntner Behörden damit umgingen und wie das ganze Gelände heute zugewachsen ist.« Viele ZuseherInnen sind für die Wiener Filmpremiere in das Polnische Institut gekommen, denn auch polnische Häftlinge in großer Zahl mussten am Loiblpass schuften und der ehemalige Leiter des Polnischen Institutes, der selber Vorfahren im Holocaust verloren hat, unterstützte den Film.
Historisches Foto (SS-Aufnahme) vom Winter 1943/44 Loibl Tunnelbau Nordseite
(Quelle: Archiv Mauthausen Komitee Kärnten)
Schere zwischen Ton und Bild
Macek spricht über die angebliche »Ûberlegenheit der Deutschen«, darüber, dass Hitler nicht nur Deutschsprachige »heim ins Reich« holen, sondern auch zusätzlichen Lebensraum »für das deutsche Volk schaffen« wollte. Alle anderen interessierten Hitler nur insofern, »als wir Sklaven für unsere Kultur brauchen«. Es geht um die »Deutschblütigen« und das »mindere Menschenmaterial«.
Ferdinand Macek und seine Frau haben den Film aus Eigenmitteln produziert, er ist Autor und macht Sport- und Naturgeschichte-Dokumentationen. Ähnlich »sportlich« ist auch der Film geschnitten. Scharf und schnell, zumeist in Schere zwischen Ton und Bild. Man muss sehr genau aufpassen, selbst, wenn man ein paar Kilometer vom Loiblpass entfernt aufwuchs. Nur einige Historiker und der Pädagoge Gstettner haben die Ehre, gleichzeitig gehört und gesehen zu werden. Ein sehr flotter Film, der Unmengen an Archivmaterial des ORF in sich trägt.
Französische Stimmen
Erstmals werden auch bisher unveröffentlichte Interviews mit den französischen Häftlingen gezeigt, sowie historisches Filmmaterial von der Loibl-Baustelle mit dem damaligen Gauleiter Friedrich Rainer. Es gab sehr viele Außenlager von Mauthausen, denn dort wurden Gefangene an Firmen »vergeben« – bis zum bitteren Ende. Viele KZ-Häftlinge mussten in der Rüstungsproduktion arbeiten, oft unter Tage. Bei Krankheit kehrten sie in das KZ zurück. Steyr-Daimler-Puch war die erste Firma, die das tat. Am Loibl arbeitete die Baufirma Universale.
»Wir sind in Tržič aus dem Zug ausgestiegen und mussten zum Loibl hinaufgehen. Es sah aus wie das Ende der Welt, was es auch war«, erzählt der ehemalige Häftling Marcel Aubert. Die entkräfteten Gefangenen mussten oft elf Stunden pro Tag arbeiten. »Das war der Grund, warum sie uns nicht vernichtet haben, sie brauchten uns.« Ein anderer Franzose, mit Lederjacke und Kappe, zeigt, wo jemand ermordet wurde – manchmal allein wegen des Aufklaubens des weggeworfenen Zigarettenstummels eines SS-lers. Er schildert auch, wie mühsam sie einen großen Topf Suppe über den verschneiten Loibl hinüber in das Nordlager brachten. Mit bloßen Füßen in Holzschlapfen, bis zu den Knien im Schnee, bergauf.
Die Zeitzeugen Daniel Campion, Janko Tišler und Jean Baptiste Matieu kommen in »Außenstelle Mauthausen – Tatort Loibltunnel« zu Wort
Wir sind die lebenden Steine
Der Film hält mühsam »den Deckel drauf«, auf die ganzen Gräueltaten und die Nazi-Unmenschlichkeiten, über welche die umgebende Bevölkerung bis heute schweigt. Viele erfolgreiche Fluchtversuche gab es am Loibl, die Geflüchteten schlugen sich zu den PartisanInnen durch. Camille Bequer schildert, wie die Flüchtlinge unter den Brettern im Waggon der Verschublok lagen, mit dem ganzen Schutt vom Loibl oben drauf. »Dann wurde alles zusammen entladen«, berichtet er. Beim Rückzug 1945 wurde der neugeschaffene Loiblpass-Tunnel für die Flüchtlinge in die andere Richtung wichtig. Tausende zogen durch.
Der Film »Tatort Loibltunnel« bleibt immer sehr nahe am Geschehen dran. Es gibt keinen Ûberblick über die Landschaft auf beiden Seiten des Berges, dafür muss man hinfahren. Zu hoffen ist, dass Menschen, die noch nie persönlich am Loibl waren, sich auch auskennen. Und einmal die beiden Gedenkstätten auf beiden Seiten des hohen Berges besuchen. »Die Täter sind nach 1945 einfach wieder in die Gesellschaft verschwunden«, sagt der Historiker Bertram Perz.
Die Filmmusik erschuf der eigenwillige und eigenständige Macek übrigens selbst, zum Teil mit seinem Enkelkind gemeinsam. Am Ende wird das Lied »Wir sind die lebenden Steine« gesungen. Von einem slowenischen Chor.
»Außenstelle Mauthausen – Tatort Loibltunnel« wurde am 6. Mai 2017 auf ORF 3 gezeigt