Das Meer ist Hauptdarsteller*in in Helena Wittmanns »Human Flowers of Flesh«. Wobei das Meer nicht(s) darstellt, sondern ist. Dennoch fungiert das Meer in Wittmanns Film nicht nur als nur Hintergrund, Ort und Raum, in dem sich das Filmgeschehen abspielt. Schon in ihrem ersten Spielfilm »Drift« aus dem Jahr 2017 sind Ozeane zentral (ein Interview, das Patrick Wellinski mit ihr für »Deutschlandfunk« führte, trägt den Titel »Wenn das Meer eine Hauptrolle spielt«), die Geschichte spielt an und auf der Nordsee sowie dem Atlantik, während »Human Flowers of Flesh« am, auf und im Mittelmeer situiert ist. Die Handlung nachzuerzählen, ist gleichermaßen einfach wie schwierig, da Wittmann gewohnte Spielfilmkonventionen weitgehend beiseitelässt, in langen Einstellungen dreht, Motive ihrer Protagonist*innen nicht erklärt, allem, auch den scheinbaren Nebensächlichkeiten, dieselbe Aufmerksamkeit schenkt. Dennoch ist »Human Flowers of Flesh« ein narrativer Film, auf den man sich einfach einlassen muss, den Bildern, Tönen, (mitunter unverständlichen) Dialogen nur folgen, sie aufnehmen, sehen, hören.
Der Plot ist wie gesagt gewissermaßen einfach: Ida (Angeliki Papoulia) ist mit ihrer Crew – fünf Männer unterschiedlicher Nationalitäten – auf einem Segelschiff im Mittelmeer unterwegs. Bei einem Aufenthalt in Marseille werden sie auf Fremdenlegionäre aufmerksam, die dort einen Stützpunkt haben. Von den Soldaten geht eine Faszination aus, die Mannschaft und Ida beginnen sich mit der Truppe zu beschäftigen. Einer aus der Schiffsbesatzung liest Passagen aus den Lebenserinnerungen eines Legionärs vor. Einen direkten Kontakt mit den Söldnern gibt es vorerst nicht. Ida, respektive die Kamera, beobachtet die Legionäre in ihrem meist nicht militärischen Alltag (Sport, Essenszubereitung, Singen, Abhängen usw.). Wir sehen auch Ida und die Schiffscrew bei ähnlichen Tätigkeiten sowie etwa beim Schwimmen, Kursberechnen, Lesen, Schlafen. In einer Sequenz sieht man Soldaten der Fremdenlegion bei einer militärischen Übung im Wald. Die Männer im Tarnanzug, mit Camouflage-Bemalung im Gesicht und Maschinengewehren wirken einerseits bizarr, andererseits wie fremdartige Wesen, die sich nach einer geheimnisvollen Choreografie bewegen. Erst gegen Ende lernt Ida im ehemaligen Zentrum der Légion étrangère in Sidi bel Abbès, Algerien (gedreht wurde allerdings in Marokko), einen Legionär (Denis Lavant) kennen.
Das Knarren der Seile
Natürlich gibt diese Beschreibung den Film nicht wieder, denn in der filmischen Erzählung haben Elemente wie Geräusche, Gesten, Gegenstände, Natur, Umgebung etc. denselben Stellenwert und Raum wie in konventionellen Arbeiten Handlungsablauf, Dialog, Interaktion. Dieser Film lässt sich Zeit und gibt den Betrachtenden ebenso Zeit. Wir hören zum Beispiel das Knarren der Seile auf dem Schiff, Lieder der Fremdenlegionäre, Stimmengewirr in Lokalen und auf Märkten. Im Film werden unterschiedliche Sprachen gesprochen, Französisch, Englisch, Tschechisch, eine Berbersprache u. a. Lyrik und Prosa werden rezitiert oder vorgelesen. Immer wieder sehen wir die Bewegung des Meeres bei unterschiedlichem Seegang. Die Kamera taucht auch unter, ein Schiffswrack liegt auf Grund. Meereswasser unter dem Mikroskop lässt uns Rädertierchen beobachten. Das könnte einen Film dieser Länge – 106 Minuten – überfrachten, doch nein, in »Human Flowers of Flesh« fügt sich alles sinnvoll und harmonisch aneinander, und alles ist nie zu viel.
Obwohl der Film eine scheinbar martialische Thematik umkreist und der Cast vorwiegend männliche Darsteller umfasst, ist »Human Flowers of Flesh« ein sehr sanfter Film, die Personen gehen freundlich, freundschaftlich, fast zärtlich (in einer nicht erotischen Weise) miteinander um. Auf die Frage des Autors und Filmemachers Patrick Holzapfel, ob »Human Flowers of Flesh« eine Utopie sein könnte, meint Wittmann: »Ja, das könnte man sagen. ›Human Flowers of Flesh‹ ist wahrscheinlich ein utopischer Film. So hat es sich oft angefühlt, als wir ihn gemacht haben. Gleichzeitig beschäftigt er sich mit einer Geschichte, die alles andere als utopisch ist.«