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»Can’t Be Silent« – weder mundtot noch tonlos

Julia Oelkers Doku »Can't Be Silent« begleitet »Strom & Wasser featuring The Refugees«, ein Musikprojekt mit Asylanten, mehrere Monate lang.

»Es sind Migranten in Deutschland

sie sind geflüchtet vor Krieg

genau mit diesem Lied erzähl‘ ich

was hier geschieht«

Statt Deutschland könnte genauso gut Österreich im obigen Songtext eingesetzt sein oder jedes beliebige andere europäische Land. MC Nuri verarbeitet seine Erfahrungen als Asylant in Rap-Texten: die Erfahrung von Krieg und Flucht, die Eintönigkeit und Eingeschränktheit im Heimleben, die unsichere Zukunft und die engen Perspektiven. Vor mehr als zehn Jahren haben Nuri und seine Familie Asyl in Deutschland gefunden, das heißt, ein Leben auf engsten Raum, den Bezirk nicht verlassen dürfen, von Antrag zu Antrag, von Bescheid zu Bescheid zu hoffen und zu fürchten nach Dagestan, der früheren Heimat, abgeschoben zu werden. Als MC Nuri hat der junge Mann eine Möglichkeit gefunden, die Öffentlichkeit zu erreichen. Eine Bühne dazu bietet ihm ein Projekt des Musikers Heinz Ratz. »Strom & Wasser featuring The Refugees« kam 2011 zustande, nachdem Heinz Ratz auf einer Musiktournee vorwiegend in Asylantenheimen aufgetreten war und dabei einige ausgezeichnete Musiker kennengelernt hatte. Mit seiner Band Strom & Wasser arbeiten Trommler, Sänger und Rapper aus Gambia, Elfenbeinküste, Dagestan und dem Iran, gemeinsam wurde 2012 eine CD veröffentlicht und eine Tournee auf die Beine gestellt.

 

Musik als Ûberlebensmittel

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Die Dokumentarfilmerin Julia Oelkers begleitete die Musiker mit einem kleinen Filmteam über mehrere Monate. Im Zentrum des Films steht die Tournee, die es Nuri, Hossain, Sam, Jacques und Revelino ermöglicht, ihr musikalisches Können vor Publikum zu performen und auch die engen Grenzen ihrer Asylgemeinden verlassen zu können. Letzteres ist kein einfaches Unterfangen, für jedes Reiseziel (im Inland wohlgemerkt) muss ein Antrag gestellt werden. »Ich bin ein Künstler und ein Künstler kann nicht an Ort und Stelle seine Musik oder seine Kunst ausüben. Bewegung ist sehr wichtig, um den Menschen meine Kunst zu zeigen«, sagt Revelino Mondehi, Reggaesänger aus der Republik Côte d’Ivoire »ich kann nicht still halten, ein Gefangener sein«. Als gefängnisartig empfinden alle porträtierten Flüchtlinge ihre Unterkünfte und Oelkers Filmbilder vermitteln denselben Eindruck, wenn sie die Protagonisten besucht und erst recht, wenn ihr der Zutritt und die Dreherlaubnis verweigert werden. Julia Oelkers liest einen abschlägigen Brief einer Heimleitung vor verschlossenen Toren vor. Musik ist mehr als ein Lichtblick im tristen Lagerleben. »Musik hält mich am Leben, sie ist das Wichtigste, das ich habe«, meint Sam, Drummer und Sänger aus Gambia. Hip Hop, Reggae, Afrobeats – die Refugees haben unterschiedliche Genres, in denen sie sich vokal und/oder instrumental ausdrücken, die Musiker von Strom & Wasser bieten eine Art Rahmen für die Solisten, die, wenn man es unter einen Ûberbegriff bringen will, Weltmusiker im tiefsten Sinn des Wortes sind. Auf der Bühne wird jeder als Musiker, als Künstler wahrgenommen, das stigmatisierende Etikett »Flüchtling« fällt für eine gewisse Zeit ab. 

 

Am Ende Abschiebung

In »Can’t Be Silent« zeigt Julia Oelkers (leider) kein wahr gewordenes Märchen. Immer wieder kontrastiert sie bejubelte Auftritte mit Alltagsszenen, Ämter und Behörden sind durch musikalisches Talent wohl nicht zu beeinflussen. Vielleicht kann ein Projekt wie das von Heinz Ratz aufklären und politisches Bewusstsein stärken. Wie aber erreicht man die wahren Entscheidungsträger? Der Verleihung einer hochoffiziellen Medaille steht Ratz ambivalent gegenüber. Zu Recht: Nur wenige Tage später bekommt Hosain Amini, ein junger Afghane, der als MC Trelos mit »Strom & Wasser featuring The Refugees« rapt, den Abschiebungsbescheid.

 

»Can’t Be Silent«

Regie: Julia Oelkers

Mit: Sam, Nuri Ismailov aka MC Nuri, Hosain Amini aka MC Trelos, Olga aka LilOljay, Revelino Mondehi, Jacques Zamble bi Vie, Heinz Ratz u.a.

Musik: Strom & Wasser featuring The Refugees

Deutschland 2013
Derzeit im Kino

Home / Kultur / Film

Text
Jenny Legenstein

Veröffentlichung
17.12.2013

Schlagwörter

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