Future Voodoo
Selbst knapp 50 Jahre nach seiner Entstehung klingt Diddleys Sound immer noch wie ein böses, grollendes, überelektrifiziertes Sumpfmonster. Voodoo-Sex als Stromschlag. Dazu spielt Jerome Green seine Maracas als wüssten er und Diddley genau, dass dieses Instrument als »Ason« auch die Heilige Rassel der Voodoo-PriesterInnen ist. Wer braucht schon Akkord-Wechsel (die waren dem großen Vorbild John Lee Hooker ja auch eher fremd), wenn es neben einem unwiderstehlichen Rhythmus auch noch so tolle Sachen wie Tremolo/Vibrato-Effekte gibt? Bis zum Anschlag aufgedreht verdoppeln sie nicht nur die Gitarren (die bei Bo Diddley wie selbstverständlich auch von Frauen wie Peggy Jones aka Lady Bo und Norma-Jean Wofford aka The Duchess gespielt werden), sondern produzieren auch einen flirrenden, nicht so recht identifizierbaren Sound. Rhythm & Blues als Future-Shock. Zeigt sich hier doch auch, dass Diddley einer der ersten war, der erkannte, dass neben dem Rhythmus »Sound« wichtiger als alles andere ist. Gerade in den von der etablierten Rock-Presse nicht so geschätzten Platten aus den 1960ern experimentiert Diddley mit allem was geht. Begibt sich auf ebenso wunderbare wie irre Exkursionen ins Exotica-Genre zwischen Surf und Prä-Psychedelic, lässt dabei keine elektronischen Spielchen aus, zeigt sich aber auch als Meister liebeskranker Doo-Wop-Weiterschreibungen. Eigentlich – neben der Vorliebe für karibisch angehauchte Nummern – ein weiteres, nur allzu gerne übersehenes Standbein von Diddley. Immerhin verfasst er 1957 unter Pseudonym die herzzerreißende und auch von Buddy Holly gecoverte Nummer »Love Is Strange« für das Duo Mickey & Sylvia (deren Sängerin/Gitarristin Sylvia Robinson später Sugarhill Records gründet).
Signifying Hoodoo
Solch Liebesgeflüster stehen die Word-Plays und aufschneiderischen Prä-Raps entgegen, mit denen Diddley in den späten 1950ern seine Chess-Kollegen Willie Dixon und Muddy Waters verbal herausfordert. Mit »Who Do You Love« bittet er den »Hoochie Coochie Man« zum Duell und gewinnt knapp: »I walk 47 miles of barbed wire/I use a cobra-snake for a necktie/I got a brand new house on the roadside/Made from rattlesnake hide/I got a brand new chimney made on top/Made out of a human skull«. Das muss man sich mal bildlich vorstellen!
Dabei haben Dixon, Waters und Diddley – neben allen Sex-Protzereien – immer auch eine Warnung für ihre weißen Hörer parat: »Don’t you mess with me!« – unterstrichen durch eine Art Zauberspruch: »I’m A Man – I spell M-A-N«.
Man sollte dabei nicht vergessen, dass diese Songs in einer Zeit geschrieben werden als selbst erwachsene Schwarze immer noch als »Boy« angeredet werden. Ein Umstand, der für Hednrix-Biograph Charles Shaar Murray auch einen signifikanten Unterschied zwischen weißen Blues-(Rock)-Covern und den schwarzen Blues-Versionen darstellt: »Der unterschwellige Texte der weißen Version des Songs war ??Ich bin ein Mann?? (und du eine Mädchen, also zieh dich aus)??; der unterschwellige Texte bei Muddy und Bo war ??Ich bin ein Mann (nenn mich nie wieder Boy)??«.
Sonic Trance
Von Bo Diddley aus lassen sich mannigfaltigste Linien ziehen. Sowohl was den Rhythmus, die hypnotischen Ein-Akkord-Riffs plus FX-Overkill und das Fabrizieren eines spezifischen Sounds betrifft. Das fängt an bei Surf (Dick Dale & The Deltones: »Jungle Fever«), Rockabilly-Exotica (Tommy King & The Starliters: »Bop Diddlie In The Jungle«) Garage-Punk (The Preachers: »Who Do You Love«), Acid-Rock (Quicksilver Messenger Service), verschärft sich als »Black Secret Technology« bei Jimi Hendrix (»Voodoo Chile«) sowie im Verbund mit Avantgarde und Free Jazz bei Velvet Underground (hier vor allem Moe Tucker), den Stooges (»1969«) und MC5 (»Black To Comm«), wird von Suicide noch einmal radikalisiert und findet später nicht nur beim Gun Club, den Cramps, bei Spacemen3 oder den White Stripes, sondern auch auf diversen Techno-Maxis aus Detroit seine Weiterführungen.
So gesehen war Bo Diddley, etwa im Vergleich zu Muddy Waters oder Chuck Berry, der wohl einflussreichste Originator der 1950er. Ein sonischer Visionär, dessen Vermächtnis in Sachen Rhythm & Sound weiterhin auf zig Aufnahmen bewusst oder unbewusst zu hören sein wird.
Bo Diddley ist am 2. Juni 2008 im Alter von 79 Jahren in Archer/Florida gestorben.
» Bo Diddley: R.I.P.