Ramzey © Niclas Lenhard
Ramzey © Niclas Lenhard

Blaues Licht über Frankfurt

Von Blut auf den Grillz zum Herzen auf der Zunge: Auf seinem dritten Tape schlägt Rapper Ramzey neben harten Ansagen erstmals verletzliche Töne an.

Eine Promophase, deren Spannung kaum erträglich war, ist endlich im lang ersehnten Release geendet. Seit Wochen teilte Ramzey Snippets aus seinem neuen Tape »Cobalt«, veröffentlichte im März die darin enthaltenen Singles »Unter einer Sonne« und »Blau« und feierte keine zwei Tage vor endgültigem Erscheinen des Tapes die Videopremiere zu »Rammbock«. Mit jeder Dosis »Cobalt« wurde das Verlangen danach größer und die Erwartung höher. Seit dem 26. April 2024 ist es draußen. Und es ist alles, was man sich hätte wünschen können. 

Ein düsterer Klang baut sich beharrlich auf. Futuristische Tonspuren, die an Sirenen erinnern, bilden unheilvolle Melodien und münden schließlich in einer einzigen hohen Frequenz. Erst nach einer ganzen Minute setzt der Beat ein. Auf ihm Ramzeys Stimme, selbstbewusst und treffsicher. »Unter einer Sonne« bildet das wegweisende Intro eines Tapes, das eine neue Richtung einschlägt und brüchige Mauern einreißt. Der Sound klingt schärfer als je zuvor, die Parts fügen sich präzise und bestimmt ein. Es scheint, als hätte Ramzey über die Jahre seine Stimme gefunden, die er nun furchtlos und freimütig einsetzt. Eine Stimme, die schon lange was zu sagen hat. Über Ungleichheit, erschwerte Bedingungen und mit dem klaren Ziel vor Augen, diesen zu trotzen.

Müssen essen, wir sind viele

»Was weißt du von pechschwarzen Gedanken, weil du Angst spürst? / Was weißt du von schreienden Gebeten, dass du wach wirst? / Was heißt für dich leben, wenn du Leben lang ein Kampf führst? / Was weißt du vom Kuzeng, der dich holt, wenn du mich anrührst?« Zeilen wie diese trennen schon zu Beginn Spreu von Weizen unter den Zuhörenden. Unter ihnen jene, denen Ramzey mit seinen Erfahrungen und Anekdoten direkt aus der Seele spricht. Und jene, die sich niemals vorstellen können, wie sich ein solches Leben anfühlen mag. Auf acht Tracks, von denen keiner länger als drei Minuten ist, nimmt der Rapper sein Publikum mit auf eine allegorische Runde um den Block und leuchtet dessen Fassaden in den unterschiedlichsten Lichtern aus. Bösartiger Rap wechselt unerwartet zu souligen Samples und optimistischen Ausblicken auf »Lala Land«, Kampfansagen weichen verletzlichen Tönen auf »Diebe« oder »Cobalt«. Letzteres ist ein besonders ergreifendes Stück; ein tiefer und differenzierter Einblick in eine Lebensrealität, deren Ausweglosigkeit unbesiegbar scheint. 

Ramzey gelingt es, das Lesen eines Behördenbriefes in seiner gesamten Kafkárna widerzuspiegeln. Mit seinen Worten reißt er bodenlose Schluchten auf und schubst die Zuhörenden hinein in die Abwärtsspirale, die ihn selbst zu lang gefangen hielt. Gefesselt von dieser hautnahen Perspektive baut sich Verständnis auf, Nachvollziehbarkeit, Güte gegenüber dem Antihelden. Statt um Gier geht es um Existenzen. Um blühende Identitäten, die abseits ihrer Heimat nicht das Licht bekommen, das ihnen zusteht. Ramzey will seiner Mutter, die aus dem Kongo nach Deutschland gekommen ist, dieses Licht zurückgeben. Sich ein Stück Identität wiederholen. Wie Minenarbeiter im Kongo, die durch den gefährlichen Abbau von Kobalt ihren Lebensunterhalt verdienen, suchte auch Ramzey nach Wegen, die Schulden seiner Mutter schnellstmöglich zu begleichen. Doch die kürzesten Wege verlaufen abseits der Legalität und lassen einen nur schwer wieder umkehren.

Denzel feat. Ethan

Den Weg zurück ging Ramzey nicht alleine. Seine Familie als treibende Motivation, den Producer Yaze als Freund und Berater stets an seiner Seite und Funkvater Frank als Co-Produzent auf sämtlichen Tapes vertreten, steht der Rapper auf einem vielversprechenden Fundament. Ramzey genießt eine Rückendeckung, bei der ein gegenseitiges Vertrauen spürbar ist. Alle scheinen dieselbe Sprache zu sprechen, während jeder seinen eigenen Teil beiträgt, etwas Bedeutendes zu erschaffen. Auf dieselbe Weise entstehen Features wie »Scherben« mit Ansu und »Rammbock« mit OG Keemo. Große Namen, deren Parts ihrem Ruf gerecht werden. Das Musikvideo zu »Rammbock« hebt dieses Tape noch eine Stufe höher. Cineastische Farbgebung, hypnotisierende Zooms und nachgestellte Szenen aus dem Film »Training Day« mit Denzel Washington und Ethan Hawke unterstreichen einen Titel, der Ramzeys Entwicklung womöglich auf ihrem bisherigen Höhepunkt manifestiert. Es beweist ein weiteres Mal, dass er mit seinem Tape aufs Ganze geht. Die Komplexität und das stimmige Konzept hinter »Cobalt« machen es, trotz einer Gesamtlänge von nur 20 Minuten, zu einem kleinen Meilenstein. Es fädelt den Namen Ramzey in neue Diskussionen ein und zieht ihn auf ein Radar, das über den Untergrund hinweg gesehen wird.

»Acht Milliarden Menschen unter einer Sonne – aber für manche scheint sie blau.« Diese Worte tragen das Tape. In den Stücken, den dazugehörigen Musikvideos, aber auch in den Posts auf Social Media kommen sie immer wieder vor, wie ein heiliger Vers. Eindringlich fließen sie durch »Cobalt« und brennen sich ein. Sie betonen die Unterschiede, die Ungerechtigkeit, die Parallelwelt, in der der Rapper aufgewachsen ist. Das Negativ des Films, in kalten Schatten konturiert, während die Bilder der anderen in Sepia leuchten. Allerdings sind es die blauen Sonnen, die in der Atmosphäre am hellsten strahlen. Am Ende ist es das, was ihn unschlagbar macht. Es ist Frankfurt-Süd, das durch seine Adern fließt. Und für jemanden, der über Scherben läuft, kommt Ramzey ziemlich weit. 

Ramzey: »Cobalt« (Chimperator)

Link: https://ramzey.lnk.to/C0BALT 

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Text
Ariana Koochi

Veröffentlichung
03.05.2024

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