Vielgestaltig sind die Vorhaben von Teresa Schwind, Co-Kuratorin des SON/TON-Festivals in Brüssel und nebenbei auch skug-Autorin. In einer E-Mail-Konversation berichtet sie über ihren Werdegang, gibt Einblick in die Kulturszene Brüssels und beharrt auf ihrem Anliegen, mit dem Verein Bagasch österreichischen Künstler*innen ein Gastspiel in der belgischen und EU-Hauptstadt zu ermöglichen und vice versa belgischen Künstler*innen in Wien.
skug: Eine der heuer gebuchten Bands nennt sich Girls in Airports. Reine Worldtronica-Männerband aus Dänemark mit Projektionen? Meine Anfangsfrage bezieht sich aber mehr auf dich: Du bist viel unterwegs, machst auch Filme in afrikanischen Ländern. Kannst du kurz deine Tätigkeiten schildern und dich dabei selbst erklären?
Teresa Schwind: Ich habe Soziologie studiert und habe immer gedacht, dass ich mal Sozialwissenschaftlerin werde. Besonders die qualitative Forschung hat mich interessiert. Im Zuge einer Forschungsarbeit hatte ich das erste Mal ein Aufnahmegerät in der Hand. Das hat sich stimmig angefühlt und mich dann später zum Radio geführt. Nach meinem Studium wollte ich gerne raus aus Wien und aus purem Zufall ist es dann Brüssel geworden. Ich habe die Möglichkeit dazu bekommen, im sozio-kulturellen Zentrum Recyclart beim Fotografen Vincen Beeckman ein Praktikum zu machen. Deshalb bin ich auch, ohne irgendeine Idee oder ein Interesse an der Stadt zu haben, nach Brüssel gegangen. Ich bin da ziemlich spät mit dem Zug angekommen und mit einer riesigen Tasche durch die Stadt geirrt. Mit dem Gefühl im Bauch, dass ich zu Hause bin. Die Faszination für diese Stadt ist geblieben und ich habe mich sehr schnell fürs Bleiben entschieden. Auf der Filmhochschule (RITCS) habe ich audiovisuelle Kunst studiert. Mit dem Fokus auf Radio. Außerdem war ich auf der Academie beeldende kunsten Anderlecht (ABKA). In meiner Studienzeit habe ich dann angefangen, mich noch intensiver mit Ton, Aufnahmen und vor allem dem Zuhören zu befassen. Wir hatten unter anderem eine Atelier-Woche mit dem Künstler Felix Kubin. Das Kennenlernen seiner Arbeiten hat mich sehr geprägt, sein Umgang mit dem Medium Radio fasziniert mich sehr. In dieser Zeit habe ich auch Bagasch gegründet, ein Verein mit der Idee, österreichische und belgische Künstler*innen dazu einzuladen, gemeinsam einen Abend zu gestalten. Die erste Bagasch-Veranstaltung habe ich 2013 veranstaltet. Jörg Zemmler hat sein Stück »c’est parti« aufgeführt und Dieter van Dam hat seine »Radio Pieces« von Tuned City präsentiert. Danach haben DJs ziemlich heftigen HipHop aufgelegt. Durch dieses diverse Programm ist ein ziemlich gemischtes Publikum gekommen. Ich habe erlebt, dass die Stimmung bei Veranstaltungen mit experimentellen Sound-Performances oft angespannt und verstockt sein kann, meistens kommen auch immer dieselben Leute. An diesem Abend war das anders, Leute, die eigentlich für die HipHop-Party gekommen sind, haben dann konzentriert einer experimentellen Sound-Performance zugehört. Danach haben wir dann bis in den Morgen getanzt, das war ein toller Start für Bagasch. Für die nächste Ausgabe habe ich mit Vincen Beeckman einen Abend gestaltet. Dazu wurde von mir Musicgameboyclub eingeladen, von Vincen die FotografInnen Agnes Prammer und Markus Oberndorfer. 2015 bin ich nach Wien zurückgekommen, Brüssel ist aber immer mein zweites Zuhause geblieben und ich habe hier sehr viele wichtige Menschen kennengelernt. Momentan arbeite ich als freie Journalistin im Radio und mache Dokumentarfilme.
Dadurch lässt sich der interdisziplinäre Ansatz des Festivals wohl gut erklären. Welche Programmpunkte hast du für 2018 selbst eingebracht?
Mir war es wichtig, den interdisziplinären Ansatz von Bagasch weiterzuführen. Weil SON/TON eine Kooperation mit VOLTA, Kultuurkaffee und Bagasch ist und jede*r von uns Musiker*innen und Künstler*innen eingeladen hat, ist das Festival natürlich auch größer als die vorigen Bagasch-Veranstaltungen. Die Freiheit und das gegenseitige Vertrauen, das wir uns beim Festlegen des Festivalprogramms geschenkt haben, haben auch SON/TON zu einem interdisziplinären Festival gemacht. Mein Beitrag ist die Einladung von Julia Novacek, Mariah Doesn’t Carey, UMA und Infinite Palace. Julia Novacek ist eine Performance-Künstlerin aus Wien, beim Festival wird sie ihre Arbeit »Das Spiel vom Reden« zeigen. Der zentrale Fokus ihrer Arbeit liegt auf dem medial inszenierten Geständnis von Politiker*innen und der Frage danach, wie politische Identitäten medial konstruiert werden. In Bezug auf den derzeitigen österreichischen Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft finde ich es besonders spannend, ihre Arbeit hier in Brüssel zu zeigen. UMA haben ihr neues Album »If You Fall, Someone Will Notice« gerade veröffentlicht. Allein schon dieser Titel hat, bezogen auf die aktuelle politische Situation, etwas Tröstendes. Auf UMA bin ich wegen meiner Liebe zu der Band Go Die Big City! gestoßen, in der Ella Zwietnig von UMA gespielt hat. Infinite Palace, ehemals Crazy Bitch In A Cave, hat sich neu erfunden, wir haben uns schon im Frühling in einem Kaffeehaus getroffen, da war noch ganz unklar, wie es weitergehen wird, mit dem Festival und den jeweiligen persönlichen Plänen. Mir war aber schon von Beginn an klar, dass das Mitmachen von Infinite Palace beim Festival unbedingt sein muss. Viele der Künstler*innen kommen durch das Festival das erste Mal nach Brüssel. Ich würde mir wünschen, dass ein spannender Austausch zwischen den Künstler*innen und auch den Besucher*i nnen entsteht und den Leuten auch Zeit dafür bleibt, die Stadt kennenzulernen. Ich klinge manchmal wie eine Werbeperson für Brüssel, das ist mir auch etwas peinlich, aber meine Faszination für die Stadt teilen zu können, das ist mir wichtig.
Mariah Doesn’t Carey ist ein toller Name, weil er mit einer Mainstream-Popfigur spielt. Wer steckt dahinter und wie wird es ca. klingen?
Das finde ich auch! Ich weiß, dass die Person, die hinter Mariah Doesn’t Carey steckt, gerne anonym bleiben mag, deshalb möchte ich hier auch nicht mehr dazu sagen. Außer, dass ihre Teilnahme am Festival eine große Ehre und Freude für mich ist – klingen wird das eigenen Angaben nach eigenen Angaben ca. so: »Issuing slow burning sets from her decks, Mariah Doesn’t Carey spins transcendental music for head, heart, and hips. Her sets join the dots between synth boogie, fringe techno, deep minimalism, and lucid noise, weaving together remote genres into constantly surprising dancefloor trips.«
Großstadtklänge sind momentan en vogue. Nicht nur dass Peter Payer soeben im Böhlau-Verlag ein Buch über die auch einst sehr laute K.u.K.-Metropole Wien veröffentlicht hat oder Jacqueline George für das musikprotokoll im steirischen Herbst sowie Ö1 Kunstradio die Sounds von Kairo einfing, sondern auch SON/TON hat ein bemerkenswertes Projekt: Zaagsel von Marie Pien und Sam de Clerck geben eine Art rhythmische Partitur von Brüssel vor. Was ist da im Detail zu erwarten?
Es gibt in Brüssel eine ziemlich spannende Sound-Szene, besonders ARGOS, Q-O2 und les ateliers Claus haben ein sehr spannendes Programm und viele Workshops rund um Sound. Auch Tuned City war schon 2013 in Brüssel. Deshalb glaube ich, dass das Auseinandersetzen mit dem Klang der Stadt schon lange Thema in Brüssel ist. Bei Zaagsel bekommt das Publikum eine 360-Grad-Erfahrung, bei der die beiden KünstlerInnen versuchen, die Bewegung, die Menschen, Rhythmen und Atemzüge der Stadt Brüssel in einer Partitur einzufangen. Diese rhythmische Partitur spielt in einer Holzinstallation, die sowohl als Instrument als auch als Unterschlupf dient. In diesem poetischen Holzuniversum kommen die Stadtklänge zu einem Crescendo und enden in Stille. Auch die Stadtforschung-Zeitschrift »dérive« hat in Wien oft Audiowalks organisiert.
Hat Zaagsel auch mit dem Umfeld des Veranstaltungsortes VOLTA tun? Bitte Näheres zur sozialen Verortung des Festivalzentrums.
VOLTA ist erst vor Kurzem umgezogen und war noch bis vor einigen Wochen im Stadtteil Ixelles, in der Volta-straat. Dort hatte VOLTA ein Stockwerk in einem alten Bürokomplex. Das war eine tolle Location, aber etwas klein und auch nicht sehr gut zu erreichen. Der Prekariat-Vertrag des Kulturzentrums ist abgelaufen und VOLTA musste umziehen. Wenn ein Kulturzentrum umzieht, dann wird das auch schnell politisch und zeigt, wie eine Stadt mit Leerstand umgeht. Auch in Brüssel gibt es Organisationen, die Leerstände vermieten und damit die Preise hauptsächlich nach oben treiben. Es wird immer schwieriger, leistbare Leerstände zu finden. VOLTA ist jetzt Teil des CityGate Brussels, einer alten Fabrik, in der auch unterschiedliche andere Organisationen Platz finden. Der Keller hat eine riesige Fläche und wird von VOLTA organisiert, da sollen Aufnahme- und Probestudios hinein. Vor einigen Tagen hat VOLTA eine Crowdfunding-Kampagne gestartet! Auch das Kulturzentrum Recyclart musste dieses Jahr umziehen, das war besonders erschreckend, weil Recyclart seit den 1990er-Jahren ein wichtiger Ort für die Stadt Brüssel und aus stadtplanerischer Sicht einzigartig war: Früher war Recyclart Teil einer Bahnhofsstation (Gare Bruxelles-Chapelle), der Bahnhof wurde simultan von den Passagier*innen und Besucher*innen des Kulturzentrums genutzt. Am Abend, sobald der letzte Zug abgefahren war, wurden dann die schweren Metalltüren zugeschoben und im Bahnhof gab es Konzerte und Veranstaltungen. Es gibt keine andere Stadt, die eine Bahnlinie direkt durch die Stadt führt. Das hat die Stadt in zwei Teile geteilt und rund um die Bahnhöfe sind dunkle und nicht sehr einladende Ecken entstanden. Recyclart hat mit seinen soziokulturellen Programmierungen die Umgebung rund um den Bahnhof extrem aufgewertet. Sobald aber die ersten zwei, drei neuen Bürokomplexe gebaut und neue Dachgeschosswohnungen ausgebaut wurden, wurde Recyclart dazu gezwungen, auszuziehen. Die Stadt nutzt die Leute aus dem Kulturbereich, die meistens unter extrem prekären Umständen arbeiten, auf diese Weise offensichtlich dafür aus, Stadtteile aufzuwerten, um sie dann einfach rauszuwerfen. Das finde ich ziemlich daneben.
VOLTA ist wohl hauptsächlich fürs Band-Booking zuständig, während die Kooperation mit dem Kultuurkaffee den künstlerischen, sozialen und wissenschaftlichen Dialog fördert. Inwiefern bei welchen Programmteilen?
VOLTA ist für das Festival einerseits Partner und andererseits auch Ort des Geschehens. Kultuurkaffee ist relativ spät zu unserem Festival dazugestoßen. Da ist das Line-up auch schon festgestanden. Jozef van Wissem und Girls in Airports wurden von VOLTA programmiert, aber auch Zaagsel wurde von der Freundin vom VOLTA-Gründer eingeladen. Das ganze Line-up wurde in Absprache mit uns allen gemeinsam festgelegt. Zu Beginn waren auch Lectures und Gespräche geplant, da wäre auch vom Kultuurkaffee Einiges an Programmpunkten gekommen. Es gab Probleme mit dem Umzug von VOLTA und unsere angedachten Venues wurden uns sehr kurzfristig abgesagt. Das hat uns dazu gebracht, mehr auf Musik, Performances und Installationen umzudenken. Dass ich in Wien lebe und die anderen vor Ort in Brüssel sind, hat die Organisation nicht unbedingt einfacher gemacht. Wir haben da sicher auch einiges für das nächste Mal dazugelernt.
Ziel deines Festivals ist es, einen kleinen Austausch zwischen Brüssel und Wien zu pflegen. Bagasch ist die symbolisch gelungene Vereinsbezeichnung dazu. Welche belgischen Artists und Bands vom diesjährigen SON/TON können beim nächsten Mal in Wien auftreten. Wann und wo wird das sein?
Wie es mit Bagasch weitergehen wird, weiß ich noch nicht. Wir planen, ein kleines Festival in Wien zu organisieren. Ein Einladen von belgischen Künstler*innen aus dem diesjährigen SON/TON-Programm nach Wien plane ich nicht. Ich finde es spannend, für jede Veranstaltung ein neues Programm und Line-up zu erstellen. Da passieren dann bei dem Festival und den Veranstaltungen oft ganz unerwartete Beziehungen und ein Austausch. Generell nervt mich, dass Festival-Line-ups oft rein männlich sind. Auch für die nächsten Veranstaltungen möchte ich eine weniger männlich dominiert Programmation. Rein weibliche* Line-ups sollten genauso normal sein wie rein männliche. Darauf möchte ich auch in Zukunft achten, egal ob in Wien oder Brüssel.
Wie wird Bagasch finanziert? skug konnte 2005 an einer EU-Förderung partizipieren und in der Wiener fluc Mensa das SoundBridges Festival, das auch in Bratislava und Budapest stattfand, durchführen. Allerdings war das nur einmalig. Ist der Support für Bagasch längerfristig angelegt?
Ich habe 2013 und auch dieses Jahr eine Unterstützung vom Kulturforum bekommen, damit konnte ich Reise- und Hotelkosten und ein Honorar an die Künstler*innen zahlen. Ohne eine Kooperation und eine Art »Freundschaftsabkommen« mit Recyclart wäre eine Realisierung von Bagasch nicht möglich gewesen. Mein Wunsch wäre es, jedes Jahr ein Festival machen zu können. Die politische Lage gibt mir aber wenig Hoffnung darauf, auch nächstes Jahr eine Förderung zu bekommen. Ich hoffe es aber sehr!