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Astma – Rettet die Russen vor ihnen selber

Alexei Borisov/Olga Nosova aka Astma + Special Guest NOID (Arnold Haberl) gastierten am 14. 8. 2014 im Salon skug im Wiener rhiz.
Ist das jetzt der russische, rebellische Mädchen-Style? Olga zuckt aus am Schlagzeug, schreit rum, mit Hall, Nachhall hinterher. Eine subjektive Prolo Schlagzeug Kolumne.

Die erste Schlagzeugerin, die auf offener Bühne ein Kleid anhat, ein Latzkleid, hellblau! Und Olga Nosova spielt auch noch Rock und so genannten »Post Punk«, wobei ich mich immer frage, was das denn sein soll, denn PÖNK is not dead! PUNX. Shit. Die schaut jung aus, gähnt mit weit offenem Mund herum. Ihre Stimm-Performance klingt durch den digital verfremdeten Vocoder ein bisschen wie Laurie Anderson, die Pionierin von 1972. All den coolen und hippen BesucherInnen im rhiz mit ihren spitzen Schuhen sieht man den Zweifel an. Ein russisches »Mädchen« – was für ein Sound wird das nur werden? Dabei schaut sie süß aus, mit der Klammer im Haar.
DSC_7022.jpgMusik bedeutet Ruhe für unruhige GroßstadtbewohnerInnen. Cello, Elektronik, Kette überm Schlagzeug. Es geht los! Russen sind gerade unbeliebt – auch mädchenhafte? – nö, die nicht, Pussy Riot! Noid schaut auch lieb aus mit seinem Cello im Arm. Atmen durch den Vocoder, einatmen, ausatmen, Luft anhalten. Heißt auch Astma, diese Band aus St. Petersburg, weil Olga als Kind lange Asthma hatte. Ich denke an die Ukraine, in der gerade viele die Luft anhalten, der kleine Weltenwurm kann sich nur wundern. Russisch! Stimme, Gitarre – Alexei Borisov, der Pionier der Elektronikmusik in Russland, redet dahin in einer Art Sprechgesang. Man versteht nix. Znaj svet, pihodi – keine Ahnung, aber es klingt ernst und gemessen und spannend. Fünf Jahre spielen die beiden nun schon zusammen.

Putin, Pussie Riot, Winnie The Puuh
Olga trommelt eigentlich Rock, Noid spielt Cello mit der Hand, mit zwei Händen, rauf und runter. Schlagzeug, tief mit Hall. Die Stimme ruft fragend? Schlagzeugdonner. Sie ruft rein ins Mikro, treba, treba, verstehe ich. Man muss. Wieso hallt ihr Schlagzeug so? Russisch! Putin und Pussie Riot und Winnie The Puuh. Heute sieht man den Backstein an der Decke des rhiz rötlich schimmern und es klingt wirklich rockig. »Langweilig« fand Olga Alexeis Musik zu Beginn, erzählt die Filmemacherin Elena Tikhonova nach dem Konzert, deswegen brachte Olga mehr Pep rein. Olga singt sogar mit Hall und Verzerrer in einem eigenen Stil – hoch wie eine Transe. Dazu Hall am Schlagzeug. Die kann was. Aber Postpunk, was ist das? Poooooooooostpuuuuuuuuuuuuunk. Putins Post Punkeria. Pizzeria. Alexei Borisov spricht nach wie vor vor sich hin, Hauptsache die Schlagzeugerin versteht den Text und reagiert entsprechend. Sie singt schräg dazwischen. Vocoder-Stimme. Musik ist reine Konzentration. Ti si spala, verstehe ich, russischer Häfn, russische Rechtsextreme – mein Russland-Bild ist gestört. So ein riesiges Land. Cas, cas, sie schreit rein, die Sprechstimme von ihm geht quer durch, Schreierei! Schreierei verboten. Zumindest in der Kirche. Die traut sich eh, die Latzrock-Trägerin, lila Stiefel! Was ist Rock, Rock im Rock? Rhythmus und Refrain. Was ist Avantgarde? Ohne Refrain.
Klein-Laurie am Schlagzeug donnert rum, Bahnhofsgeräusche, schneller, sie wirbelt von der Snare auf die Hi Hat, rauf und runter und wieder rauf. Latzrock rockt – in hellblau! Wiederholt Sätze. Der Hall, das ist wohl der Zensor. Symbolisch gesehen. Nachhall. Das Cello arbeitet vor sich hin. Voice over – deswegen heißt es voice over. Over. Olga Nosova nimmt sich auf und spielt es ab, mit Nachhall, eine zweite Stimme singt sie nach, Mehrstimmigkeit entsteht auf diese Weise. Es klingt wie alte Konzerte in Osteuropa. Eine andere Welt, eine andere Sprache. »Here is the body, knock, telefon is on the log, telefon is on the knock. O Superman«, sang Laurie Anderson 1981 …

Poesie, Politik und der Punkt
olga_nosova.jpgOlga wirbelt wirklich viel mit dünnen Stäben, die aussehen wie chinesische Essstäbchen. Man sieht sie im Nachhall wie in Zeitlupe, blaues Licht. Alexei wirkt wie in Trance, schwarzes T-Shirt, unbeweglich. Nur die Gitarre in seinen Händen und seine Finger bewegen sich. Cello als Rock-Instrument, hehe, klingt folkloristisch. Ich werde Noid einen Schottenrock schenken.
Alexei war einer der wenigen, der in den 1980er Jahren mit New Wave begann, erzählt Elena Tikhonova, Regisseurin von »Elektro Moskva«. In dem Film (die Dreharbeiten dauerten acht Jahre!) spielen Olga und Alexei mit, das erste Treffen der beiden 2009 wurde mit der Kamera festgehalten. Alexeis Konzerte brachten in den 1980ern bis zu 3.000 Leute in Stadien. »Sie brachten damals die Poesie auf den Punkt. Weil sich die politische Situation jetzt so umgedreht hat, bringen sie im Moment die Politik wieder mit Poesie auf den Punkt«, improvisiert Elena. »Alexei wollte damals Noise und Industrial machen, aber Olga fand das zu langweilig. In Russland gibt es nur zwei Schlagzeugerinnen, die Profis sind, Olga ist eine davon.«

In der ukrainischen Kirche in Wien singen die auch sehr schön, man sieht den Vorsinger von hinten, wie in der Synagoge. Hoti, graf, Strukturrrrrrrrrrrrrrrr, se moti, krach – sorry, ich kann kein russisch. Lautmalerei. Zloti kruh? Gold und Brot? Goldenes Brot? Schön in der Wiederholung. Ich sehe die Markise vom Café Concerto, Autos fahren vorbei. Dass die jungen Frauen von Pussy Riot wirklich ins Arbeitslager kamen, diese Mütter von Babys, und jetzt weitermachen wollen, wie neulich im Fernsehen zu hören, kann ich bis heute nicht glauben. Genau in dem Moment zuckt Olga aus am Schlagzeug, schreit rum, hehe – wehe, wenn sie losgelassen, die rebellischen „Mädchen“. Sie spielt Schlagzeug wie einen Teil von sich selbst, braucht aber noch mehr Möglichkeiten. Hall! To hell! Hall! Halt. Klickklickklick, spielt das Cello. Zugabe. Die Zugabe klingt schon wieder wie ein Gebet. Popepopepope, so heißen die Priester mit den hohen Mützen in der orthodoxen Kirche. Die Rettung fährt vorbei, blaues Licht. Rettet die Russen vor ihnen selber. Wenn Olga sich mal auf ihr Schlagzeug konzentriert, rollt es von selber. Spasiba.

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