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»Arrietty – Ein Fall für die Borger«

Ziemlich retro: Das neueste Zeichentrickmärchen aus dem Hause Ghibli.

3D und hochentwickelte Animations-Software sind Standard im Mainstream-Trickfilm und neben der ausgefeilten Technik geraten oft Story und Charaktere ins Hintertreffen. Die japanische Filmfirma Studio Ghibli ist einer der wenigen Major-Filmfirmen, die noch mit Stop-Motion-Technik arbeitet, handgefertigte Vorlagen benutzt und möglichst auf Computereinsatz bei der Herstellung der Anime-Pictures verzichtet. Ästhetisch erinnern Studio Ghibli-Produktionen oft an TV-Trickfilmserien aus den 1970er/80er-Jahren. Der Gründer der Firma Hayao Miyazaki arbeitete damals an der Fernsehserie »Heidi« mit und viele seiner späteren Arbeiten als Regisseur und Produzent tragen Züge des legendären Kinderprogramms – so stehen fast immer weibliche Heldinnen im Mittelpunkt, meist spielen auch Waisen eine wichtige Rolle. Bei »Arrietty« führte Miyazaki zwar nicht Regie, schrieb aber mit Keiko Niwa das Drehbuch und war ausführender Produzent. Der Film trägt eindeutig die Handschrift des Altmeisters. Als Vorlage diente ein Band aus der Borger-Buch-Serie der amerikanischen Kinderbuchautorin Mary Norton. Hayao Miyazaki fand die Idee des Borgens gerade in einer Zeit wirtschaftlicher Krise und der Infragestellung des Kapitalismus faszinierend.

Nicht mythisch, aber wunderbar

Ähnlich wie Miyazakis Anime-Klassiker »Mein Nachbar Totoro« beginnt »Arrietty« mit einem Umzug in ein altes Haus in ländlicher Umgebung – der zwölfjährige, herzkranke Sho wohnt für einige Zeit bei seiner Gro&szligtante und kurz nach seiner Ankunft erblickt er im Garten, der das Haus umgibt, ein winzigkleines Mädchen. Es ist Arrietty, die mit ihren Eltern unter den Dielen des Hauses lebt. Die kleine Familie gehört zur Spezies der Borger, nur wenige Zentimeter gro&szlige Menschen, die sich von den gro&szligen Menschen Dinge wie Zuckerwürfel oder Taschentücher »borgen«. Die Menschen dürfen von der Existenz der Borger nichts erfahren und so bringt die sich entwickelnde Freundschaft zwischen Sho und Arrietty die Borger-Familie in gro&szlige Gefahr. Neugier, Grenzüberschreitung, Bewährungsproben, Freundschaft sind Themen, die in diesem Film wie auch in vielen anderen Arbeiten des Studio Ghibli behandelt werden. Ebenso geht es wieder um Transformation, so z. B. entwickelt der Anfangs pessimistische Sho wieder eine optimistische Sicht auf seine Zukunft – Magie spielt dabei aber im Gegensatz zu Miyazakis letztem Film »Ponyo« keine Rolle. Auch, wenn man in diesem Film fantastische Elemente und mythische Anspielungen vermissen mag, das Wunderbare zeigt sich in Form von idealisiert dargestellten Naturphänomenen – vom glitzernden Tautropfen bis zum Regenbogen: Kitsch darf sein. Typisch für Miyazaki-Produktionen ist das zwar zuversichtliche aber offene Ende, das eigentlich zu einem Sequel führen könnte, doch offenbar verfolgt man bei Ghibli eine Fortsetzung-folgt-nicht-Strategie und widerstand der Versuchung auch den grö&szligten Erfolgen wie etwa »Chihiros Reise ins Zauberland« oder »Das wandelnde Schloss« einen Teil 2 nachzuschie&szligen.

»Arrietty – Ein Fall für die Borger«: Japan 2011. Regie: Hiromasa Yonebayashi. Nach der Romanvorlage von Mary Norton. Drehbuch: Hayao Miyazaki, Keiko Niwa.

Derzeit in österreichischen Kinos

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Text
Jenny Legenstein

Veröffentlichung
13.12.2011

Schlagwörter

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