© Feral Crust
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Anarcho-Punks und solidarisches Landleben

Vielleicht ist es an der Zeit, wieder auf das Land zurückzukehren. Das öko-anarchistische Kollektiv Feral Crust auf den Philippinen sucht nach Einklang mit der Natur und einem selbstorganisierten Leben ohne Hierarchien.

Im Dezember 2020 erregte ein internationaler Solidaritäts- und Spendenaufruf Aufmerksamkeit, der von einem autonomen DIY-Kollektiv namens Feral Crust aus den Philippinen stammte. Es handelt sich dabei um ein öko-anarchistisches Kollektiv aus der Metropole Davao, das einige Kilometer nördlich, in den Wäldern der Hügel von Marilog, auf einem Grundstück mit einem halben Hektar, ein Land- und Community-Projekt aufbaut. Sie selbst bezeichnen es als eine »autonome Subsistenzzone« und ein »Lebensexperiment«, das auf den Prinzipien der gegenseitigen Hilfe, der Zusammenarbeit und Ökologie beruht.

Das Ziel besteht in der »Schaffung eines stabilen Ökosystems durch Permakultur und Regeneration von Wildtieren und Natur, dem Erlernen und Üben von naturbezogenen Fertigkeiten und Subsistenzleben und der Bereitstellung von offenem Unterricht, Austausch von Fähigkeiten und Veranstaltungsräumen für die Gemeinschaft«, sowie der »Zusammenarbeit mit einheimischen und nicht einheimischen Menschen zur Verbesserung des kulturellen Austauschs und der Solidarität.« So in einem aktuellen Artikel und Spendenaufruf auf der Plattform Radical Guide.

Was jedoch seit Dezember 2020 entstanden ist, kann auf dem Feral Crust Blog und der Facebook-Seite der Gruppe nachgelesen und angesehen werden. Bilder vom Hüttenbau, den ersten Ernten und den geflochtenen Körben zeigen die neu erlernten Fertigkeiten. Wie die aktuelle Situation auf den Philippinen ist, mit welchen Schwierigkeiten die Genoss*innen kämpfen, aber auch ihre Hoffnungen und Ziele, darüber wollen wir hier berichten. Auch da weitere finanzielle Unterstützung von solidarischen Menschen und Gruppen notwendig ist, um das Projekt weiter entwickeln zu können.

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Anarchismus auf den Philippinen

Die Gruppe Feral Crust ist keine Ausnahme auf den Philippinen. In einem Artikel aus dem Jahr 2018 berichtet Gabriel Kuhn, dass die anarchistische Bewegung in diesem Land »eine der aktivsten des globalen Südens« ist. »Libertäre Einflüsse haben dort eine lange Tradition« und die »Szene ist vielfältig. Im Vordergrund steht dabei die Praxis.« Weiters berichtet Kuhn von seinen damaligen Erfahrungen vor Ort, von seiner Begegnung mit einer lebendigen anarchistischen Subkultur: »Infoläden wurden aufgebaut, Blogs eingerichtet, Publikationen geplant und Konferenzen organisiert. Dazu gab es Food-Not-Bombs-Gruppen, die Essen verteilten, und eine rege Anarcho-Punk-Szene.« (Kuhn 2018)

Für das Online-Portal von CCN Philippinen porträtierte die Journalistin Portia Ladrido vier Anarchisten. Sie zeigt ihre Werdegänge, die unterschiedlicher nicht sein könnten. So fand einer der Porträtierten von einer pazifistisch-christlichen Kirche zum Anarchismus, einer war zuvor bei einer kommunistischen Gruppierung und zwei waren in Umweltorganisationen aktiv. Was sie nun verbindet, sind ihre anarchistischen Ideen und Aktivitäten, die die Journalistin folgendermaßen zusammenfasst: »Dass im Anarchismus die Fähigkeit der Selbstorganisation des Individuums geschätzt wird; dass im Anarchismus dem Individuum die Rolle zukommt, zu einer größeren Gemeinschaft beizutragen; dass es im Anarchismus um gegenseitige Hilfe geht, um direkte Hilfe für jede Seele in Not; und dass es im Anarchismus um die Überzeugung geht, dass die Menschen dazu bestimmt sind, das Gemeinwohl zu verfolgen, unabhängig von einer Autorität.« (Ladrido 2017)

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Einer der Porträtierten ist Bas Umali, Autor des 2020 im US-Verlag pm press erschienenen Buchs »Pangayaw and Decolonizing Resistance: Anarchism in the Philippines«. Von ihm sind auch mehrere Texte auf der Plattform The Anarchist Library zu finden. Umali ist einer der aktivsten anarchistischen Autor*innen auf den Philippinen. Gabriel Kuhn geht in dem erwähnten Artikel auch auf seine anarchistischen Ansätze ein, die sich an den Barangay, den traditionellen Dorfgemeinschaften auf den Philippinen, orientieren und, so Kuhn, als romantisierte Vorstellung von vorindustriellen Gemeinschaften – wie sie auch dem Anarchoprimitivismus eigen sind – kritisiert werden könnten. Umali stören diese Vorwürfe der Romantisierung allerdings nicht. »Indigene Gesellschaften sind nicht perfekt, aber weit weniger zerstörerisch als Staaten, Konzerne und Kirchen, die Macht zentralisieren und für Kriege, Ausbeutung, Umweltzerstörung, Hunger und Armut verantwortlich sind. Indigene Gesellschaften sind höher entwickelt als moderne, weil sie nachhaltiger sind.« (Kuhn 2018) Ganz ähnlich sehen es auch die Genoss*innen von Feral Crust.

Politische Bewegungen und soziale Ungleichheiten

Im letzten Jahr ist im Mandelbaum Verlag das Buch »Die Linke auf den Philippinen« von Marina Wetzlmaier erschienen. Es bietet nicht nur einen guten Überblick über linke Gruppierungen und Parteien, sondern auch Einblicke in ein Land, das von antikolonialen Kämpfen, zuerst gegen die Spanier, dann gegen die USA und immer noch von halbfeudalen Strukturen geprägt ist. Diese über viele Jahrzehnte geführten Kämpfe ließen eine recht komplexe und reichhaltige Geschichte linker – vor allem kommunistischer – Parteien und Bewegungen entstehen. An dieser Stelle sollen nur ein paar Eckpunkte erwähnt werden, die für die gegenwärtige philippinische Gesellschaft von Bedeutung sind. So kam es im Jahre 1968 zur Gründung einer weiteren, maoistisch orientierten kommunistischen Partei (CCP), in der José Maria Sison als strategischer Kopf und seine Schrift »Philippine Society and Revolution« als wichtiger Referenztext eine zentrale Stellung einnahmen. 1969 wurde der militärische Flügel, die Neue Volksarmee, der CCP gegründet. Diese Guerillabewegung ist heute noch in weiten Teilen des Landes aktiv, hat je nach Schätzung 5.000 bis 10.000 Mitglieder und gilt als älteste aktive Guerillabewegung der Welt.

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Ihre Bedeutung hatte sie vor allem in den 1970er- und 1980er-Jahren im Kampf gegen den Diktator Ferdinand Marcos, auch wenn sie bei der tatsächlichen Revolution 1986, die zum Sturz des Diktators führte, nur eine Statistenrolle einnahm. (vgl. Wetzlmaier 2020, S. 62) Wetzlmaier schreibt von einer verpassten Revolution, die anstatt der Linken einen liberal-bürgerlichen Präsidenten an die Macht brachte. An den ökonomischen und sozialen Bedingungen veränderte sich in der Folge nur wenig und die versprochene Landreform wurde nur zögerlich und in viel zu geringem Ausmaß durchgeführt. Das Versagen der linken Kräfte führte zu Zerwürfnissen und zu inhaltlichen bzw. theoretischen Auseinandersetzungen und schließlich Anfang der 1990er-Jahre zur Spaltung in zwei Blöcke – jenen der traditionellen maoistischen Befreiungskampf-Ideologie und jenen der eher gemäßigten und demokratischen linken Gruppierungen. Neben diesen beiden Blöcken gibt es eine breite und sehr aktive Zivilgesellschaft mit verschiedenen NGOs, die sich für Frauenrechte, Landrecht, Pressefreiheit und Menschenrechte einsetzen. Eine bedeutende Rolle spielt auch die katholische Kirche, sowohl in ihrer reaktionären und staatstragenden Form als auch in den kritischen und politisch aktiven Basiskirchen.

Trotz der vielen Gruppen und Bewegungen ist das Land von Ungleichheit und Armut geprägt. Die Weltbank spricht 2012 davon, dass von den 103 Millionen Einwohner*innen rund ein Viertel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt und 15 bis 25 Prozent immer wieder unter Hunger leiden. Im Gegensatz hierzu verdienen die reichsten 20 Prozent der Bevölkerung achtmal so viel wie die ärmsten 20 Prozent. (Philippinenbüro 2017) Gründe für die sozialen Ungleichheiten sind die ungleiche Verteilung der Ressourcen, der politischen Machtmittel, des Eigentums an Land und Produktionsmitteln. »Hier auf unserem Archipel werden unsere Agrarindustrie, Bildung, Wasserversorgung, Elektrizität, Wohnungen, Gesundheit und andere gesellschaftliche Dienstleistungen von wenigen Konzernen und Familien kontrolliert, die wiederum vom Staat geschützt werden.« (Umali 2011)

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Die aktuelle politische und soziale Lage

Bei den letzten Präsidentschaftswahlen (die Philippinen haben ein Präsidialsystem ähnlich dem der USA) kam Rodrigo Roa Duterte an die Macht. Internationale Bekanntheit erlangte er vor allem durch seinen brutal geführten Drogenkrieg, der nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen bereits 30.000 Tote, vor allem Kleindealer*innen, Drogenkonsument*innen und Unbeteiligte, forderte. Menschen, die von der Polizei oder von Todesschwadronen ermordet wurden. Auch gegen die freie Presse und unabhängige Fernsehsender wird Krieg geführt und macht das Land zu einem der gefährlichsten der Welt für kritische Journalist*innen. Hinzu kommt der Krieg gegen die aktiven Guerillaorganisationen (neben der Neuen Volksarmee, gibt es noch andere linke und eine muslimische), der unter Duterte wieder verschärft wurde. Gegenüber dem Nachrichtenmagazin »Spiegel« beschreibt der Polit-Analyst Richard Heydarian die aktuelle Situation folgendermaßen: »Die Corona-Krise hat den Autoritarismus Dutertes beschleunigt. Was Jahre hätte dauern können, geschieht nun in Wochen. (…) Covid-19 hat nicht nur eine wirtschaftliche, sondern eine demokratische Krise mit sich gebracht.«

Präsident Duterte verhängte ein Notstandsgesetz, ein Anti-Terror-Gesetz und versucht, seine Position weiter zu stärken, denn er plant, auch nach den Wahlen im nächsten Jahr an der Macht zu bleiben. »Hunderttausende wurden bislang wegen Verletzung der Corona-Regeln verhaftet, Dutzende belangte die Regierung wegen Kritik in sozialen Netzwerken«, berichtet »Der Spiegel« weiter. Auch das Feral Crust Kollektiv nennt die restriktiven und autoritären Corona-Bestimmungen als Grund, warum sie nicht mehr in Davao leben können und in die Wälder von Marilog zogen. Mitte August schrieben sie in einer Aussendung: »Es ist an der Zeit, wieder auf das Land zurückzukehren, sich mit den Genoss*innen zu organisieren und grundlegende Lebensfertigkeiten und Lektionen von der Natur zu lernen. Vor einigen Wochen wurde in Manila eine strengere Abriegelungsmaßnahme mit der Bezeichnung ECQ (Enhance Community Quarantine) eingeführt, die wiederum darauf abzielt, die Bewegung der Bevölkerung zu kontrollieren. Sie könnte in Zukunft auch an anderen Orten des Archipels eingeführt werden.«

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Auf Grund dieser schwierigen Situation wollen die Aktivist*innen des Feral Crust Kollektivs sich nun verstärkt um das Landprojekt kümmern und dort ihre Lebensgrundlagen aufbauen. »Wir haben letzte Woche mit dem Rückzug auf unser Landprojekt begonnen und ziehen mit unseren Sachen und Genoss*innen, die uns freiwillig helfen und aus dem Punk- und Anarchist*innennetzwerk sind, ein. Wir wollen eine ökologische Gemeinschaft mit vertrauenswürdigen Genoss*innen schaffen und mit der lokalen Bevölkerung sowie den indigenen Ureinwohner*innen zusammenarbeiten. Wir werden unsere Hütte fertigstellen und mehr Nahrungsmittel anbauen. Was uns sehr am Herzen liegt, sind die Arbeiten zur ökologischen Wiederherstellung und Erhaltung, um dem Land etwas zurückzugeben. Wir möchten unsere Ziele für das Landprojekt erreichen. (…) Wir brauchen dringend Geld, um Holz und Bambus für den Bau zu kaufen, mehr Setzlinge, zusätzliche Werkzeuge, Stacheldraht, zusätzliche Fässer, Gartennetze, verzinkte Dachbleche, Sperrholz und Hohlblocksteine, Sand- und Kiesmischung für einen Betonvorratsbehälter (Werkzeugkasten). Wir werden mit dem Leben im Wald beginnen und sicherlich andere inspirieren.«

Unterstützung für die Punk-Pioniere

Es ist wohl das, was es im Moment braucht. Gruppen, die aktiv versuchen, Dinge für sich und ihre Umgebung zu verändern und neu zu gestalten. Die versuchen, solidarische Beziehungen aufzubauen, vielleicht auch eine ökologische Ernährungssouveränität herstellen und sich wieder eines anderen Wissens und alter Techniken bedienen. Es ist notwendig, gegen die Entfremdung und Erniedrigung der Menschen und die Zerstörung der Lebensgrundlagen zu kämpfen. Diese Kämpfe können verschiedene Formen annehmen, entsprechend den Situationen und Verhältnissen in unterschiedlichen Gegenden dieser Welt.

Ein Beitrag, den Aktivst*innen oder Anarchist*innen aus den reicheren und wohlhabenderen Gegenden leisten können, liegt darin, Projekte und Gruppen wie Feral Crust finanziell zu unterstützen oder Unterstützungen zu organisieren. Natürlich könnte sogar noch viel mehr passieren, aber finanzielle Unterstützung ist auf jeden Fall möglich, wenn Gruppen aus dem globalen Norden angefragt oder dazu aufgerufen werden. Der Fundraising-Account ist auf der Feral Crust WordPress-Seite unter Donate zu finden. Projekte des globalen Südens, die, ähnlich wie zuletzt die Zapatistas, konkrete Vorschläge für neue Formen des Zusammenlebens machen, sind inspirierend und geben Hoffnung.

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Infos und Kontakt zum Feral Curst Kollektiv:

https://www.facebook.com/feralcrustinfoshop

https://feralcrustproject.wordpress.com/

https://www.radical-guide.com/land-project-and-communal-living/

(Die englischen Textauszüge und Zitate wurden vom Autor übersetzt.)

Literatur:

Gabriel Kuhn (2018): »Vom Baragany zum Infoladen: Der philippinische Anarchismus ist gut verankert« (zuletzt aufgerufen am 31.10.2021)

Portia Ladrido (2017): »The anarchists making a difference in Philippine society« (zuletzt aufgerufen am 31.10.2021)

Marina Wetzlmaier (2020): »Die Linke auf den Philippinen«, Wien: Mandelbaum Verlag

Karin Kuntz (2020): »Wir sehen einen autoritären Blitzkrieg« (zuletzt aufgerufen am 31.10.2021)

Bas Umali (2011): »Social Revolution is the Solution« (zuletzt aufgerufen am 31.10.2021)

Philippinenbüro (Hg.) (2017): »Factsheet« (zuletzt aufgerufen am 31.10.2021)

Der Autor ist im Institut von Anarchismusforschung aktiv, mehr Infos dazu unter: https://anarchismusforschung.org/

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