Zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten haben zwei Mitglieder versucht, bei Wunderkammer aufzuhören. Keiner von beiden schaffte es, beide Male kamen sie nach wenigen Monaten wieder zurück. So gesehen hat Wunderkammer seine Form gefunden. Was uns zusammenhält, ist die Spielfreude. Gleichzeitig bereitet es geradezu Kopfschmerzen, alle Mitglieder für Auftritte und Proben zusammen zu trommeln, da sie alle noch andre Projekte haben, von denen sie leben. An Wunderkammer verdienen sie gewiss am wenigsten, aber es bringt wie erwähnt eine enorme Spielfreude mit sich und auch immer viel Feedback vom Publikum. Vor ein paar Wochen haben wir eine kleine Norwegentour abgeschlossen. Wegen den Finanzen mussten wir uns auf einen Kern von fünf Musikern beschränken. Es zeigte sich, dass die Eingrenzung auch was fürs Spiel brachte, weil jeder Einzelne mehr geben musste. Zu den Fünf gehören Johan Egdetveit (Akkordeon), Tanja Orning (Cello), Børge Fjordheim (Drums) und ??yvind Storesund (Kontrabass). Fast immer tauchen in den verschiedenen Städten ein oder zwei Musiker aus der Großfamilie „Wunderkammer??? auf. Gjertrud ??kland und Morten Jackman in Stavanger und Haugesund, Roald Gilje (Tuba) in Bergen, Per Zanussi (Säge) und Pål Nilssen-Love (Drums) in Oslo usw. In Europa wird wohl auch diese Fünferbesetzung zu hören sein. Es lässt sich nicht verhehlen, dass wir ein wenig darunter leiden, wenn Bandmitglieder in kommerzielleren Projekten wie etwa Kaizers Orchestra oder Morten Abel mit von der Partie sind. Nach Wunderkammerkonzerten passierts schon mal, dass die Musiker fette Angebote von anderer Seite erhalten. Mir ist aber auch zu Ohren gekommen, dass sie einen gewissen anarchistischen Zug zu diesen Projekten von Wunderkammer mitbringen. Gleichzeitig werden natürlich auch sie durch die Nebenprojekte beeinflusst. Das macht schon Spaß und bringt mir unheimlich viel bei. Gertrud und Johan haben mich etwas um Klezmer gelehrt, ??yvind und Pål um Jazz und Tanja brachte Elemente aus der Klassischen und Gegenwartsmusik mit. Denn wir müssen lernen und uns stets weiter entwickeln, andere Genres ausprobieren. Genauso wenig gleichen sich unsere Konzerte. Das „Showpaket??? liefern andere, kommerziellere. Wir wollen „mehr???!
Jackman über seine Rolle bei Wunderkammer:
Ich schreibe die Texte, Melodien und Arrangements, lerne sie den anderen dann mündlich. Ich kann nämlich keine Noten. Das würde meine Kreativität hemmen, bilde ich mir ein. Vielleicht bin ich in Wirklichkeit aber nur zu faul und/oder habe Angst, mich da nicht auszukennen. Ungeachtet dessen muss die Magie in der Musik die treibende Kraft sein. Sie darf nicht gestört werden. Zahlen bedeuten nicht alles! Musiker tragen enorm zu den Arrangements bei. Als Ungelernter habe ich da meine Grenzen.
Über seine Nebenbeschäftigung:
Nebenbei schreibe ich am Drehbuch zu einem Kinofilm, der nächstes Jahr gedreht werden wird. Da ist es eine richtiggehende Befreiung, zurück zur Musik zu kommen, nachdem man zwei Jahre an etwas gearbeitet hat, das nicht wirklich rund läuft bis alle Elemente an ihrem Platz sind – in der letzten Woche. In der Situation tut es einfach gut, den weltbesten Musikern ein paar Riffs und Themen anzuschlagen und so auf deren Reaktion zu warten. Das Zufriedenstellende am Filmen ist, eine lange Geschichte zu erzählen, die dem Publikum am Ende ein nuanciertes Gefühl gibt. Für mich muss – um sich ein wenig interessant zu machen – Film zu Musik und Musik zu Film werden.
Wunderkammer mengt anspruchsvoll Klezmer mit Punk, Rock, Polka (Liste wird sicherlich fortgesetzt) und nimmt des öfteren Poesie als Textgrundlage, was nicht immer so ohne weiteres akzeptiert wird:
Einzelne Kritiker werfen Wunderkammer immer wieder vor, dass wir zu intellektuell wären. Die würden gerne die Illusion konservieren, dass Rock eine Sache der Arbeiterklasse ist und die Texte deswegen »Be-bop-a-lula…« und ähnlich lauten sollten. Sie sind dabei, die snobistische Unterscheidung zwischen klassischer, ausgebildeter Musik und nicht studierter Populärmusik aufrecht zu erhalten, so wie es Akademiker und die selbstberufene Geisteselite tun. Wunderkammer ist ja bloß Populärmusik oder Volksmusik oder was auch immer. Aber sie ist nicht versteinert und reif fürs Museum. Wunderkammer bedeutet Raritätenkabinett, hat mit Museum nichts am Hut. Museen sind überhaupt ein Hohn für die Gegenstände und deren Eigenwert, nehmen alle Magie weg. So soll das aber nicht sein. Ich mag alte Gedichte. Einige von ihnen inspirieren mich derart, dass ich sie einfach singen muss. Weil sie in sich wunderbare Melodien tragen. Obwohl Gedichte ja am besten für sich alleine sind, wenn du sie selbst liest. Aber es lässt sich aushalten, anderer Leute Interpretationen anzuhören. Die Gedichte, bei denen ich dann bleibe, sind ohnehin allgemein bekannt und verdienen es, auch auf eine andere Weise gebraucht zu werden. Das erste Gedicht, dass ich je vertonte, war übrigens Egon Bondys »The Sun Was Setting Behind New Jersey…«. Ganz schön lehrreich, mit so wunderbarer Poesie zu arbeiten. Und immer schwerer, selbst was annähernd gleich Gutes zu schreiben. Trotzdem ist’s gut, seiner Grenzen erinnert zu werden und diese dann zu gebrauchen.
Oft werden die Stücke einem Harry Wei/y/ntraub (zwei Alben, zwei Schreibweisen) in Kooperation mit Pål Jackman zugeschrieben. Über diesen Textverfasser: Harry Weyjntraub ist ein jüdisch-amerikanischer, alkoholisierter Kunstmaler, der am besten Gedichte schreibt. Was er weigert, einzusehen. Eine Ehrbezeugung an Martin Scorsese, Frank Zappa und Mickey Katz.
Ein Landstrich (die Gegend um Stavanger in Südwestnorwegen), zwei Bands mit ähnlichem musikalischen Mengwerk. Jackman über die Reihenfolge des Auftretens:
Uns gab’s vor Kaizers Orchestra. Und davor Tom Waits, europäische Zirkusmusik, Jiddischkeit und ganz Osteuropa. Einmal spielten wir in Sandnes vor lediglich sieben Zuhörern. Der Gitarrist der – damals noch zu gründenden – Kaizers arrangierte das Konzert und wir begrüßten alle Zuhörer persönlich, bevor wir auftraten. Die Gerüchte wollen wissen, dass das die Band war. Ich weiß nicht so recht. Ich bin ein wenig neidisch auf sie, auf ihre Verkaufszahlen und Gagen. Sie haben aber, glaub ich, mehr von Kusturicas Underground und seiner Verrücktheit als von Wunderkammer.
Über das aktuelle Album und die Unterschiede zum Vorgänger: Ich bin sehr stolz auf »Today I Cannot Hear Music«. Beim ersten Album war ich so sturköpfig, verstand nichts von Studioarbeit und wünschte mich jedes Mal zu einem Konzert, wenn ich dort singen sollte. Ich fand es schrecklich, im Studio zu singen – es glückte dann auch nur beim »Erlkönig«. Auf »Today I Cannot Hear Music« rettete mich das Singen vor dem Zusammenbrechen aus Angst und Erschöpfung. Ich konnte nicht einmal mehr atmen, verdammt. Auf dem Weg zum Studio beschloss ich, die Aufnahmen an »Do Not Go Gentle …« einzustellen, traute mich dann aber nicht, das Johnny Skalleberg, dem Techniker und Produzenten und außerdem der netteste Mensch der Welt, zu sagen. Als ich mit dem Singen dann anfing, bekam ich auch wieder Luft, weil ich musste … und ließ mich nicht mehr stoppen. Es ist immer gut, einzusehen, dass man im Grunde genommen nichts anderes ist als ein pathetischer, selbstverliebter Künstler.
Das Beste am Album aber ist seine Vielschichtigkeit. Das war mir wichtig. Wir nutzten aus, was das Studio so bot, selbst wenn wir die Hauptarbeit in vier Tagen erledigt hatten. Viele unfertige Stücke entstanden spontan durch diese intensive Arbeitsweise.