Headerimage Placeholder

»Fatherfucker« vs. »Fuck the Pain«: Peaches ist zurück!

Es ist gut wenn man sich von »Fatherfucker«, der neuen CD von Peaches, nicht zu viel erwartet. Obwohl, es ist eine Überraschung wenn die Mistress des »Fuck the pain away«-Manifestos, der supercoolen weiblichen Emanzipation, der männlichen sexuellen Befreiung und der Demontage und Überaffirmation des Klischees gleich am Beginn der CD die an Joan Jetts »Bad Reputation« angelehnte Parole ausgibt: »I don't give a fuck about reputation...!«

Diese Parole ist in der Tat etwas abstrus, weil diese »Ich geb‘ einen Scheiß«-Philosophie bereits auf ihrem ersten Album, »The Teaches of Peaches« fantastisch ausgedrückt worden war. Eine Platte, die übrigens nur einen Teil des Publikums erreichte, nämlich: for those about to rock. Aber jetzt, durch den neuen Deal mit dem englischen Indie-»Major« XL (die u.a. Prodigy, Basement Jaxx, White Stripes und Electric Six heraus bringen) und brandneuen und charmanten Möglichkeiten für ein größeres Stück Rock-Markt, müssen einige Dinge wieder erwähnt werden. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass die neuen Peaches-Hörer ihre vorigen Arbeiten nicht kennen und auch nicht die Neugierde aufbringen werden, die alte Scheibe zu kaufen. Daher: Besser mal Einiges klar machen. Und die Live-Shows werden den Rest erledigen. »Ich denke, das neue Level ist, dass mich jetzt die Leute kennen. Aber ich fühle, das ist eine kontinuierliche Entwicklung. Ich glaube, diesmal konnte ich mehr von dem integrieren, das ich auch live mache, etwas, das beim letzten Album nicht möglich war. Bei den Lyrics geht es tiefer in die »Gendernomics« und nicht nur darum, Sex zu haben.« Aber wie hat sich Peaches seit »Teaches…« verändert und wie ihr Publikum? Haben sie die Lektion kapiert? »Es gibt keine Lektionen zu verstehen« sagt eine ziemlich nicht-ironische Peaches, »und eigentlich gibt es gar keine »Teaches«. Es ist am besten, wenn die Leute das alles als ein normales Ding und nicht kontroversiell begreifen. Es sind Dinge, die sowieso alle tun und über die alle nachdenken!«
Punk’n’Roll/Electropop
Aber warum immer dieses Suchen nach Überraschungen in der Musik? Manchmal ist das, was wir wollen, exakt das selbe noch einmal, einfach weil wir es so gut fanden. Im Falle von Peaches hätten wir noch weitere drei Jahre mit »Teaches…« überleben können, weil es eine verdammt gute Platte ist und uns nie einschläfert. Denjenigen, die an Neuem interessiert sind, sei gesagt: »Fatherfucker« bringt den musikalischen Diskurs ein bisschen weiter. Ihr Stilwechsel vom HipHop/Electropop zu Punk’n’Roll/Electropop ist keine Überraschung für Peaches-Kenner (wenn man sich die Trend-Prognosen der Cool-Hunter ansieht, findet man für die Saison Herbst/Winter 2003 Rock’n’Roll in Kapitallettern), aber für diejenigen, die weniger auf Electropop denn auf Punk abfahren, bietet die Platte einige Erregungen. Und das ist gut, denn es bringt unterschiedliche Tribes zusammen. Und es hat auch Peaches weiter gebracht … näher wahrscheinlich zu den Wurzeln von Merril Nisker aka »die Peaches »Impersonatorin« numero uno!«. Das heißt, eine 36 Jahre alte jüdische kanadische Frau, die in einem gutbürgerlichen Ambiente in Toronto aufgewachsen war. Am College hatte sie Theater- und Regiekurse besucht. Später trainierte sie mit Kindern, war auch Religionslehrerin, und gründete einen Musik- und Drama-Workshop für Kinder. Und war in der Zwischenzeit immer heiß auf Musik … Zusammen mit ihrem besten Freund Chilly Gonzales wurde sie aus der Community rausgeworfen und gründete dafür im Gegenzug die etwas radikalere Band Shit. Mit ihm ging sie Ende der 90er nach Berlin, um das Unmögliche zu versuchen. Und, wie man weiß, welche Stadt ist besser geeignet für freakige Outsider? Das macht die gerühmte Berliner Luft …
In der Zwischenzeit ist viel passiert. Peaches hatte angefangen, mit Gonzales zu touren (ihr erster Gig 1999 in meiner Heimatstadt Bologna war sehr erinnerungswürdig: Im Publikum ganze zwölf Leute. Mindestens drei verpfiffen sich nach den ersten zwei Nummern) und ein Jahr später hatte sie ihr brillantes Debüt auf Kitty-Yo. Dann mehr Konzerte mit Gonzales und Taylor Savvy (manchmal mit Mocky) und plötzlich sie alleine auf der Bühne mit einer noch nie da gewesenen Live-Show. Pures Adrenalin, wie man weiß. Das hatte eine große Zuhörerschaft zur Folge.
Der Pressetext will uns daran erinnern, dass Peaches vielen Stars aus dem Musicbiz eine Abfuhr erteilt hat: Von Michael Stipe zu Marilyn Manson bis zu Boy George. Sie war Opener für Queens of the Stoneage und unlängst für Björk. Iggy Pop ist ihr verfallen. »Ich traf ihn, als er einen Überraschungs-Gig in L.A. spielte und ich lud ihn zu meiner Show ein«, erzählt sie. »Er kannte mich nicht, nichtsdestotrotz kam er zu meinem Konzert und bekam das Album. Wenig später hatte ich ihn am Telefon.« Und so ist man auf der jeweils anderen Platte kollaborativ vertreten: Auf »Fatherfucker« hört man Peaches im Duett mit Iggy bei dem Track »Kick It« und man hat stark den Eindruck dass der »Iguana« total hingerissen ist von ihr. Unlängst hat der Manager von Britney Spears sie gefragt, ob sie bei ihrem neuen Album mitmachen wolle. Christina Aguilera hält auch nicht hinter dem Berg, dass sie sich von Peaches inspirieren lässt: In einem ihrer letzten Videos hat sie die für Peaches typischen pinken Hotpants an (allerdings in einem mehr sportlichen Stil), änderte ihre Haarfarbe, weil sie wahrscheinlich den Stylingtipp bekommen hatte, dass blond gleich blöd ist und schwarz Frauenpower signalisiert und darüber hinaus hatte sie sie um ein paar gemeinsame Songs angehauen. Aber es sieht so aus, als ob dieses kanadische Girl vom Rock-Stardom nicht so wirklich angetan ist. Sie steht darauf, mit Sicherheit, aber auf etwas Subtileres. Sie präferiert den Ruhm der Idole. JedeR hat einen speziellen Geschmack wenn es um Weiblichkeit geht und Peaches macht es mit den Königinnen … Lil???Kim und Pink wollen gemeinsame Sache mit ihr machen und sie ist ernsthaft am Überlegen zuzusagen! In der Zwischenzeit spielt sie V-Gitarre im »We don???t play Guitars«-Video der Chicks On Speed und lässt sich im Vamp-Outlook sehen um zu zeigen, dass sie genauso rau sein kann wie eine »Signora des Rock’n’Roll«. Peaches Terminplan war noch nie so voll. JedeR will sie. Sie ist von Karl Lagerfeld fotografiert worden, bekam eine Rolle in einem Film von John Malkovich und die Crème de la crème der Modewelt hätte für ihre Kreativität gern jeden wenn auch noch so kleinen Abglanz ihrer Attitude.
KeineR fürchtet sich vor ihr. Die trendigsten Kollektionisten stehen auf sie. Sie nimmt Rache für ihre Bemühungen, wählt aus, was ihr gefällt und bleibt aber auf ihrer Linie. Indes, liebt oder hasst sie diese Glamourwelt? »High Fashion ist nichts für mich. Ich liebe es, in Berlin herumzuhängen und ich fühle mich als Teil der dortigen Community! Fans und Freunde machen Dinge für mich und das ist gut, weil es kommt vom Herzen und außerdem fühle ich mich gut, diese Dinge zu tragen.«
Peaches hat super Lyrics. Sie lehrte uns »Fans der ersten Stunde« wie man in einer konstruktiven Weise mit Schmerz umgeht. Sie spricht von den Platten, kreiert Diskurse und Slogans. Aber wenn sie will, kann sie ziemlich trocken sein. Zum Beispiel, mit halben Phrasen Interview-Fragen zu beantworten. Sie interessiert sich keinen Scheiß dafür, ob für diejenige, die die Antworten per E-Mail zurückbekommt, diese auch irgendwie verständlich sind. Keinen Scheiß dafür, dass die Antworten nicht einmal für die Kolumne in irgendeinem blöden Rockpop-Magazin ausreichen. Aber manchmal kann der Stress, eine Ikone zu sein, zu solchen Konsequenzen führen. Vor allem dann, wenn man sich als Magazin und Musikpresse zu sehr auf die »weißen Westen« der Plattenlabels verlässt. Da kommt manchmal die falsche Entscheidung dabei heraus und Derartiges steht konträr zu den Roots, von denen man herkommt.
Leitthema Sex
Peaches ist ziemlich sicher dass sie kein Rockstar werden wird. Aber wie geht sie mit dem großen Erfolg bisher um? Schreckt sie das nicht ab und zu? »Ich will nicht auf der Straße alle fünf Minuten angehalten werden, aber ich glaube, das wird eh nicht passieren«, sagt sie. Eine große Wahrheit, komprimiert in eine Erklärung, so schnell rausgeschossen wie ein Quickie. Peaches??? Art, keine Frage. Für sie ist Sex ein Leitthema, immer und immer wieder. Beginnend mit dem Album-Titel. Derartiges stimuliert klarerweise die Neugierde. In einer Welt voll mit Motherfuckers, die so sexy und verführerisch wie möglich in Musik, Kino und welchen Medien auch immer gehörig abgefeiert werden, ist ein Hurra! für Fatherfuckers willkommen. »Yes«, sagt Peaches, »I want to make it even between fathers and mothers.« Geschnallt? Aber sie erklärt auch, dass sie das Album so genannt habe, um dem Publikum ein faires Indiz darüber zu geben, wie sie über den kommerziellen Markt denkt. Von dem sie eine absolute Protagonistin ist. Von dem sie teilweise befriedigt ist, wie man annehmen kann (weil man sonst möglicherweise »Nein« sagen sollte zu einem größeren Label, das die Türen des Marktes für deine Musik noch weiter aufmacht), auch wenn sie auf Abstand geht zu den extrem kommerziellen Seiten des Marktes. Es sind jene anonymisierten/globalisierten Regionen, die jeder unabhängig denkende Musiker nicht wahrnehmen, -haben will, wenn es darum geht, wie ihre/seine Musik distribuiert wird.
Aber schlussendlich, who gives a fuck? Wenn ein Wort wie »Fatherfucker« global wird. Wenn Muster der Befreiung in weiblichem/männlichen Verhalten sich über die ganze Welt ausbreiten. Wenn außergewöhnliche künstlerische und Entertainer-Artikulationen, Gender-Diskurse, Doppel-/Triple-Sexualitäten und wenn man während man Liebe macht Al Green hört (so wie Peaches), wenn so der große Markt da draußen verunreinigt wird und die Leute das tun, was Peaches sagt, nämlich »Fuck the pain away«, ist???s doch letzten Endes nicht so schlimm. Weil: Es ist nur ROCK’N’ROLL.
Peaches live: Am Fr 12. Dezember 2003, Vorprogramm von Marilyn Manson in der Wiener Stadthalle.
Peaches-CD: »Fatherfucker« XL Rec./Musica
>> www.xl-recordings.com/peaches/

Home / Musik / Artikel

Text
Benedetta Cucci, Heinrich Deisl (Übersetzung)

Veröffentlichung
10.12.2003

Schlagwörter

favicon

Unterstütze uns mit deiner Spende

skug ist ein unabhängiges Non-Profit-Magazin. Unterstütze unsere journalistische Arbeit mit einer Spende an den Empfänger: Verein zur Förderung von Subkultur, Verwendungszweck: skug Spende, IBAN: AT80 1100 0034 8351 7300, BIC: BKAUATWW, Bank Austria. Vielen Dank!

Ähnliche Beiträge

Nach oben scrollen