Dass hier die großen Rock-Zitate hergebeten werden müssen, ist mindestens ebenso klar, wie das Vermengen der selbigen mit Klängen der wohlfeinen, osteuropäischen Musik-Sphäre. Da wären wir also, beim Cocktail, der seit 1996 unter dem Namen Firewater durch die Welt geistert und mit jedem Album einen weiteren Höhepunkt, eine weitere Zirkusattraktion für uns lechzende Mitbürger setzte. Diese Band adäquat-rockhistorisch und unprätentiös zu beschreiben ist an dieser Stelle sowohl unmöglich, als auch unangebracht. Aber die Erwähnung gehört dazu, auch weil Paul Wallfisch auf seiner Orgel einen Firewater-Sticker hat.
Paul Wallfisch ist einer der Menschen, die mit enormer Produktionswut geschlagen sind und kaum an einer Stelle ruhig stehen bleiben können. Jahrelang Keyboarder bei Firewater zu sein reichte ihm insofern nicht, als dass es dann doch eine Tod A.-Show war, ein Tod A.-Erfolg und einfach ein von Tod A. geleitetes Projekt. Also: Botanica. Paul Wallfisch und Freunde skizzieren seit 1999 (das grandiose »Malediction«-Album) hier eine andere Vision von Rock-against-Elfenbeinturm. Der (klarerweise) stärkere Schwerpunkt auf Keyboard und Orgel und die Offenheit der Band für Zusammenarbeiten (u.a. Beteiligte von Wilco, Walkmen, KMFDM, Beck, Blondie, Nick Cave etc.) macht deutlich, wie vielschichtig Botanica als Projekt ausgelegt ist. Weg von der klassischen Rock-Struktur, hin zur Zigeunerkappelle, zur Hochzeitsband und … zur Ballade der Verlierer. Jetzt werdet ihr vermutlich zurecht fragen: »Aber ist es nicht genau DAS, was Firewater so groß macht?!«
Die Antwort ist: Jein. Botanica sind eher Firewater in hellgrün, als ein reines, kleines Nebenprojekt. Und vermutlich hört sich das auf unterschiedlichen Phasen der Band auch sehr unterschiedlich gut an. Im B72, ihrem ersten Wien-Konzert seit vier Jahren, waren sie angenehm gut gelaunt, Paul Wallfisch springt im Publikum herum, schreit sich die Seele aus dem Leib und weint fast, wenn er wütend »You try to get in under my skin« in den Fußboden stampft. Die neue CD »Botanica vs. The Truth Fish« hinterlässt aber einen bei weitem schwächeren Eindruck als die Sachen, die sich in meinem Ohr als »älter« abgespeichert finden. Denn dort zumindest scheint eine gute Ergänzung zu Firewaters »The Ponzi Scheme«-Album zu finden zu sein. Selbige CD im Discman auf dem Nachhauseweg nach diesem schönen, aber stellenweise etwas flachen Abend macht dann deutlich, warum Botanica »nur« den Durst nach einer neuen Firewater-Platte stillen. »Bodies falling to the floor, They’re dropping like flies«.
Von Botanica zu verlangen oder zu erwarten, dass ihr »Truth Fish« diesen perfekten Moment einer Platte rekonstruieren kann, ist einfach absurd. Aber ihre Version des Exzesses, des Blues, des Souls und auch des Rocks ist eine anders verortete, als die von Tod A. Wir müssen uns damit zufrieden geben, dass Paul Wallfisch unsere »Bodies« nie zu Fall wird bringen können. Aber wenn er in seinen traurigsten Momenten auf der Bühne zusammenkauert, denken wir vielleicht auch mal darüber nach, ob wir nicht kurz mit ihm weinen sollen. Denn weinen tun alle Menschen unterschiedlich. Die Balladen, die vielleicht das privateste Zeugnis der Welt von Paul Wallfisch sind, können dann doch ganz einzigartig wirken, auf ihre erstaunlich erfrischende Art und Weise. Immerhin etwas. Den Firewater-Sticker auf seinem Keyboard hat er schon überklebt.