Das Frankreich eine bedeutende Krimi- und Thrillertradition vorzuweisen hat muss hier nicht mehr erwähnt werden. Ironisch-sarkastisch geht da Claude Chabrol vor, die eher brachiale Variante zeigt die Purpurne Flüsse-Serie. Weder auf schwarzhumorige Gesellschaftskritik noch auf bluttriefende Verschwörungstheorie setzt Regisseur Dercourt. Der klassisch ausgebildete Musiker siedelt seinen aktuellen Film im Musikermilieu an. Die zehnjährige aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammende Melanie tritt bei einem Klavierbewerb an. Sie selbst macht ihre Zukunft von ihrem Abschneiden dabei abhängig: Fällt sie durch, will sie das Klavierspiel für immer aufgeben.
Notenblätter wenden
In der Jury sitzt die bekannte Pianistin Ariane Fouchecourt (Catherine Frot), die justament während Melanies Darbietung ein Autogramm gibt. Das Mädchen ist aus dem Konzept gebracht und verpatzt ihren Auftritt. Ergo, rührt sie kein Klavier mehr an. Zehn Jahre später arbeitet Melanie (Déborah Francois) als Praktikantin in einer Anwaltskanzlei, deren Inhaber niemand anderer ist als der Ehemann jener Pianistin, die Melanie verantwortlich macht für das Ende ihrer Musikkarriere. Als Herr Fouchecourt (Pascal Greggory) ein Kindermädchen für seinen Sohn sucht, meldet sich Melanie. So kommt sie in Kontakt mit ihrer einstigen Widersacherin, die sich an das kleine Mädchen von einst natürlich nicht erinnert. Die junge Frau erringt das Vertrauen der Pianistin, die gerade am Neubeginn ihrer Karriere arbeitet. Ariane fühlt sich sicher, wenn Melanie neben ihr sitzt und die Noten umblättert. Darum soll sie die Musikerin auch bei ihren wichtigen Auftritten begleiten. Doch die scheinbar bescheidene und liebe Melanie verfolgt einen perfiden Plan.
Ein Unschuldslamm?
Der sprichwörtliche Wolf im Schafspelz stand wohl Pate für die Figur der Melanie. Anscheinend die Unschuld in Person, entpuppt sie sich als rachsüchtig und eiskalt. Ihr Vergeltungsfeldzug steht in keinem Verhältnis zur Kränkung, die ihr widerfuhr – hier hat Dercourts Film Erklärungsbedarf. Perfekt durchinszeniert und komponiert (auch was die Filmmusik betrifft), bleibt die Lebendigkeit der Figuren auf der Strecke. Worauf aber seine Parabel zielt lässt sich schwer sagen.
»Das Mädchen, das die Seiten umblättert« (La Tourneuse de pages)(Frankreich 2006, R: Denis Dercourt. D: Catherine Frot, Déborah Francois, Pascal Geggory, Clotilde Mollet u.a.)
Seit 4.5.2007 im Kino