Es ist immer problematisch Filmbiografien zu machen. Insbesondere, wenn die porträtierte Person eine Gestalt der jüngeren Geschichte oder Gegenwart ist – im Vergleich mit der realen Person zeigt sich zwangsläufig eine Diskrepanz. Meist wird eine der folgenden Strategien bei Biopics angewendet: 1. Möglichst akribische Nachstellung der Ereignisse und Nachahmung der Person (beliebt im Dokudrama). 2. Idealisierung – die Menschen sind schöner, die Aussagen pointierter, die Ereignisse dramatischer als im wirklichen Leben (Mainstream-Filmbiografie). 3. Verzicht auf Authentizität i. S. von exaktem Realismus (Bsp. Todd Haynes »I’m Not There«). Paolo Sorrentino entschied sich für eine unausgewogene Mischung aus allen drei Ansätzen und kann auf diese Weise weder Informationsbedürfnis, noch Sensationslust, noch die Phantasie befriedigen.
Künstlichkeit wirkt
Am stärksten wirkt der Film in jenen Sequenzen, die vollkommen künstlich scheinen. wo die Charaktere in kulissenhafter Umgebung als rein stilisierte Figuren agieren. Etwa, wenn Andreotti (Toni Servillo) bei einem nächtlichen Spaziergang von einem ganzen Tross an Sicherheitsleuten und Fahrzeugen im Schritttempo begleitet wird. Oder wenn er mit seinen engsten Gefolgsleuten ein Abendessen zu sich nimmt an einem Tisch, der sich im Freien befindet, umgeben von pechschwarzer Nacht, das weiße Tischtuch wird angestrahlt und die Gesichter, Andreotti in der Mitte – ein Dali-Gemälde des letzten Abendmahls. In dieser Szene beschließt Andreotti übrigens, für das Amt des Staatspräsidenten zu kandidieren. Eines der wenigen Ziele, die der oftmalige Minister und mehrfache Regierungschef nicht erreichen konnte. Diese Geschichte der Präsidentenwahl ist auch eine der wenigen konsistenten innerhalb des Films.
Datenlawine
Der über 90jährige Andreotti soll Sorrentinos Film gesehen haben und nicht sehr angetan sein davon. Unterstellt ihm der Regisseur doch, unter anderem, direkte Kontakte zur Mafia. Diese Mafiakontakte sind nur eine der Spekulationen, denen in »Il Divo« Ausdruck verliehen wird, es gibt auch Traumsequenzen, Szenen im Beichtstuhl. Dann wieder überschüttet Sorrentino das Publikum mit Fakten, Zahlen, Namen, denen unmöglich gefolgt werden kann. Die Geschichte Italiens während einiger Jahrzehnte wird in Minuten rekapituliert. Welch Rolle Andreotti in der einen oder anderen Causa spielte bleibt unklar. Am Ende des Films bleiben einige Bilder hängen: Die Bauerngesichter der Mafiosi, Italiens Politik als vollkommenes Chaos, eine sich in Wasser auflösende Brausetablette (dieses Bild kehrt refrainartig immer wieder, Andreotti litt/leidet an schwerer Migräne) und vor allem, der hagere Mann mit dem unbewegten Gesicht und dem krummen Rücken bleibt ein Geheimnis.
»Il Divo« (R: Paolo Sorrentino. Italien 2008)
Ab 24.7.09 in österreichischen Kinos