Die Ferne des (Post-)Strukturalismus: Mutet es nicht eigentümlich an, dass mit den sogenannten poststrukturalistischen Debatten eine bemerkenswerte Entpolitisierung oder politische Verdrehung französischer Texte einherging, die gerade im Umfeld von 1968 nachdrücklich zur Stärkung der Linken verfasst wurden? Woher kommt eigentlich der auch in der Medientheorie vorhandene Drall zu rechten, konservativen oder gar faschistischen Positionen? Es geht nach wie vor um ein ?bersetzungsproblem, dem nur eine beruhigte Annäherung an Rezeptionssperren und nationale, politische und historische Verzerrungen nachkommen kann. Denn dass z.B. Karl Marx für Foucault oder Deleuze und Guattari von geraumer konzeptueller Bedeutung war, lässt sich nicht bestreiten, wenngleich sie nachdrücklich gegen den dogmatischen und totalitären Marxismus der realsozialistischen Staaten Sturm gelaufen sind, als wären sie kämpferische Jakobiner. Linke Archive des Wissens müssen also unter den Bedingungen des Empires (Hardt/Negri) und der Neuen Internationale (Derrida) einmal mehr gesichtet und gerettet werden. Der neuen Reihe erster Teil: Marx bei Foucault ?? Klappe ?? die erste ??
Geschichte und Charaktermasken
Der Marxismus ruht werttheoretisch im Denken des 19. Jahrhunderts wie ein Fisch im Wasser, [1] da schon Ricardo die Möglichkeit des Warentausches auf die Arbeit gründete, was auch Marx zugestanden hat. Foucaults Analyse der neuzeitlichen Episteme des Abendlandes in »Die Ordnung der Dinge« von 1966 – ein nicht zuletzt gegen Sartres Phänomenologie, politische Strategie und singuläre, moralische Stellung gerichtetes Buch – scheint oberflächlich betrachtet dem marxistischen Denken keine herausragende Stellung einzuräumen, sondern sieht es vor allem von anderen Wissensformen umkränzt und bestimmt. Dies allerdings ausschließlich auf der Ebene der Ükonomie und ihres Grundbegriffs Arbeit und nicht im Umkreis der Geschichte. Eigentlich wollte Foucault nach »Les Mots et les Choses« eine Archäologie der Geschichte schreiben ?? ein historischer Kreis ?? So aber betont erst die Einleitung zur »Archäologie des Wissens« von 1969 – neben mehreren Interviewstellen desselben Zeitraums – nachdrücklich, dass die maßgeblichen historischen und epistemologischen Veränderungen im Bereich der Geschichte auf Marx zurückzuführen sind, der mit seiner historischen Analyse der Produktionsverhältnisse (z.B. die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals im 16. Jahrhundert) und mit dem Konzept des Klassenkampfs die Souveränität des Subjekts dezentriert habe. Subjekte sind Charaktermasken, wie Marx so gerne formulierte. Dabei betont Foucault immer wieder den Kampf und weniger, wie zu kritisierende dogmatische Marxisten, die Klassen. »Vom Licht des Krieges zur Geburt der Geschichte« [2] wird aber dem Kampf und dem Krieg von »class« oder »race« genealogisch weiter nachgehen. Denn schon Marx sprach immer wieder von der Arbeiterrace: »Die Kosten, die der Arbeiter verursacht, beschränken sich daher fast auf die Lebensmittel, die er zu seinem Unterhalt und zur Fortpflanzung seiner Race bedarf« [3]
In der genannten Einleitung wird Marx darüber hinaus insgesamt sechs Mal und oft in einem Atemzug mit Nietzsche affirmativ genannt. Foucault betonte auch – einer Selbstaussage nach -, dass er in den frühen 50er Jahren versuchte, ein »nietzscheanischer Kommunist« [4] zu sein. Außerdem habe man Marx anthropologisiert, mit dem Humanismus in Zusammenhang gebracht und schließlich verfälscht. [5] Und ist es nicht bemerkenswert, dass Foucault in der Einleitung zur »Archäologie des Wissens« nur eine einzige bibliographische Anmerkung setzt, die mit Nachdruck an seine(n) Lehrer erinnert? »Louis Althusser, Für Marx.« [6]
Das Bürgertum und die Sexualität
Wohl auch deshalb konnte ?tienne Balibar festhalten, dass ein »Kampf mit Marx das gesamte Werk Foucaults begleitet« [7]. Am offensichtlichsten dürfte dies in »Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1« sein, wo nach der Kritik an der sogenannten Repressionshypothese, die Foucault vor allem bei Wilhelm Reich und Herbert Marcuse lokalisiert, die bürgerliche Sexualität analysiert wird. Die Bourgeoisie habe demnach die Sexualität gerade nicht zur Unterdrückung des Proletariats erfunden, sondern – wie es bei der Aristokratie im 18. Jahrhundert mit »blauen Blut« geschah – eher als eine relativ autonome Technologie zur Distinktion und Disziplinierung ihrer selbst. Denn: »Man muss sagen, dass es eine bürgerliche Sexualität gibt, dass es Klassensexualität gibt. Oder vielmehr, dass die Sexualität in ihrem historischen Ursprung bürgerlich ist und dass sie in ihren sukzessiven Verschiebungen und ?bertragungen zu spezifischen Klasseneffekten führt.« [8]
Dabei haben nach Foucault die Lebensbedingungen des Proletariats gezeigt, dass man sich um dessen Körper und Sex lange Zeit eben keine Sorgen gemacht hat[9]. Erst durch die Klassenkämpfe des 19. Jahrhunderts erhält das Proletariat schließlich Gesundheit, Sex und Fortpflanzung in der Auseinandersetzung mit der Verkürzung des Arbeitstages und – Foucault zitiert hier Marx – dem »Werwolfsheißhunger« [10] des Kapitals. Das Kapital ist eine wilde Bestie und manifestiert einen Trieb, der dazu führt, dass es sich nach der Verwandlung nicht mehr an die eigenen Taten erinnern kann. Es ist dazu getrieben, die Lebens- und Arbeitskräfte des Proletariats aus ihm herauszureißen. Die foucaultschen Ausführungen zum Klassenkampf zeigen genau auf, dass die Konflikte und Kämpfe zwischen den Klassen transversal verlaufen sind und nicht einer binären Logik der Herrschaft folgten, die ein unterdrückendes Oben gegen ein unterdrücktes Unten stellt. Im weiteren Umfeld dieser Analysen betont Foucault auch, dass Marx »das Problem der Disziplin in Armee und Fabrik ausgezeichnet analysiert« [11] hat. Marx habe gezeigt, wie aus ursprünglich kleinen Machtregionen ganze Staatsapparate entstehen können. Staats-Apparate, die im ?brigen auch nach Louis Althusser nicht unbedingt repressiv vorgehen.
[12] Staatsapparate
Deshalb durchzieht ein manifestes Erkenntnisinteresse an institutionellen Gesellschaftsmaschinen das gesamte Werk Foucaults, wenngleich sie immer durch diskursive Formationen affiziert werden. Bei Althusser gibt es verschiedene ideologische »Staatsapparate«: den religiösen, den schulischen, den familiären, den juristischen, den politischen, den gewerkschaftlichen und den kulturellen ideologischen Staatsapparat. Darüber hinaus bilden Presse, Radio und Fernsehen den ideologischen Staatsapparat der Information. Eine gewisse Nähe dazu findet sich auch bei Foucault: die Klinik, die Irrenanstalt, das Asyl, das Gefängnis, das Gericht, die Schule, das Kolleg oder die Regierung.
To be (dis)continued [??]
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[1] Foucault, Michel, Die Ordnung der Dinge, Frankfurt/M. 1974, 320.
[2] Foucault, Michel, Vom Licht des Krieges zur Geburt der Geschichte, Berlin 1986.
[3] Marx, Karl/Engels Friedrich, Manifest der kommunistischen Partei, in: MEW Band 4, Berlin 1990, 459-493, hier: 469.
[4] Foucault, Michel, Gespräch mit Ducio Trombadori, in: ders., Dits et Ecrit. Schriften. Vierter Band, Frankfurt/M. 2005, 51-119, hier: 63.
[5] Vgl. Foucault, Michel, Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main 1990, 25.
[6] Ibid. 12.
[7] Vgl. Balibar, ?tienne, Foucault und Marx. Der Einsatz des Nominalismus, in: Ewald, Francois/Waldenfels, Bernhard (Hg.), Spiele der Wahrheit. Michel Foucaults Denken, Frankfurt/M. 1991, 39-65, hier: 40.
[8] Foucault, Michel, Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1, Frankfurt/M. 1995, 153.
[9] Ibid. 152.
[10] Ibid. Vgl. Marx, Karl, Das Kapital, MEW Band 23, Berlin 1989, 258: »Den Trieb nach Verlängerung des Arbeitstags, den Werwolfsheißhunger für Mehrarbeit, beobachteten wir bisher auf einem Gebiet, wo maßlose Ausschreitungen […] das Kapital endlich an die Kette gesetzlicher Regulation gelegt haben.«
[11] Vgl. Foucault, Michel, Die Maschen der Macht, in: ders., Dits et Ecrit. Schriften, Vierter Band, Frankfurt/M. 2005, 224-244, hier: 229. [12] Vgl. Althusser, Louis, Ideologie und ideologische Staatsapparate. Aufsätze zur marxistischen Theorie., Hamburg/Westberlin 1977.