Fotos:© Manfred Rahs
Fotos:© Manfred Rahs

Der Poet als Punk-Partisan

Dreißig Jahre üben sich nun schon Ted Miltons Blurt in einer Art erhabener No-Wave-in-Resistance. Wie man mit dieser Haltung das Feld von Kunst und Kommerz souverän düpiert, zeigt nicht nur die alljährlich stattfindende Abschiedstour, sondern auch die erste Studioplatte seit langem.

Irgendwie schlie&szligt sich hier ein Kreis. Als Blurts monolithischer Beitrag auf dem Factory-Sampler »A Factory Quartet« (eine Seite der DoLP, 1980) vor zwei Jahren wiederveröffentlicht wurde, gekoppelt nun mit dem legendären Debütalbum »Live in Berlin« (1981), führte das den Hörer zurück in jene ferne Zeit des Umbruchs, als zumindest schal gewordene Punk-Attitüden von abgekühltem New Wave fortgespült wurden. Aus diesem klinisch gesäuberten Popgrund ragten damals nur wenige kühne Soundgebilde hervor, wie etwa Pere Ubu oder eben Blurt. Die Performance dieser Bands allein lieferte schon so manchen Hinweis, dass ihre Musik anderen Kunstkontexten entstammte. Hier wurde offensichtlich etwas weitergesponnen, was einst von den frühen europäischen Avantgarden initiiert wurde: eine Intensivierung ihrer Kunst durch Aufladung mit etwas Ursprünglicherem, mehr noch Archaischem. Aktuellere Vorbilder, die mit solcherart Radikalprogramm die populären Musikgenres durcheinanderwirbelten, waren da zuallererst Captain Beefheart, dessen ??Antirock?? immer noch viel ??älter?? klang als die alten Bluesmen und gleichzeitig ??spaciger?? als alles Neue, was gerade zu hören war. Auf anderem Terrain, und für Blurt nicht weniger wichtig, praktizierten dies von allem unbeeindruckt Ornette Coleman, Sun Ra oder Chris McGregor’s Brotherhood of Breath (an die so mancher Track von »Cut It!« erinnert).

ted_milton_by_manfred_rahs.jpg»Love is like a Violence«

Blurts aktuelle Platte »Cut It!« versucht es, genau diese wirkungsvolle Symbiose von theatralischbeschwörender Geste und ganz gegenwärtiger musikalischer Ausdrucksweisen aufs Neue festzuhalten. Sie ergänzt damit jenen Eindruck, den man durch die umfangreiche Konzertaktivität der Band erhält (allein ihre Auftritte im Wiener rhiz verdienen höchste Weihen) und die weitere gewichtige Facetten von Ted Miltons Performancekunst zeigt. Hier setzt einer in der Pose des schelmischen Jazzpunk-Schamanen ein wild-energetisches, doch stets hochkonzentriertes poetisches Gegenprogramm, das zeitlos wirkt zu den sachlichen Sounddesignern von heute. Vielleicht auch aus dieser Erfahrung heraus tönt »Cut It!« düsterer als noch die letzte Studioproduktion aus den Neunzigern, »Pagan Strings«, erscheint wie ein Endpunkt eines langen, schmalen Weges abseits des Mainstream oder neuem Akademismus. Vor drei&szligig Jahren mit der eher hilflosen Etikette »No Wave« belegt, geraten solcherart stilistisch eigensinnige Exkursionen, wie Blurt sie unternimmt, schnell zur Randexistenz im musikalischen Spektrum zwischen Rock und Jazz. Wo Virtuosentum und reines ??Kunstpublikum?? einerseits und eingängige Rockismen andererseits konsequent verweigert werden, fehlt es sogleich an breiterer Rezeption.

»To Keep the Bells«

Ted Miltons frühe künstlerische Schritte verliefen genau in jenem elitären künstlerischen Umfeld, das er mit Blurt verlassen sollte. Er schrieb bereits als junger Mann, entgegen dem Geist der Zeit, Gedichte in Nachfolge der klassischen Moderne, von Jarry über Dada bis Charms (dem er 2002 gemeinsam mit Sam Britton mit »In Kharms Way« ein musikalisches Denkmal setzte). Diese Gedichtbände, in Kleinstverlagen erschienen, bilden wie vieles Unveröffentlichte bis heute den Fundus für Miltons Leseauftritte und seine Songs. (In den Neunzigern stellte er aus seiner Lyrik selber kleine bibliophile Kleinode her, aus vorgefundenem Material, quasi funktionelle Ready-mades, die rasch zu begehrten Objekten von Ausstellungen und Installationen wurden!)

Sein Hang zum Theatralischen aber fand neben seinen eindringlichen Gedicht-Performances noch eine weitere produktive Bühne: In den siebziger Jahren agierte Milton erfolgreich als Puppenspieler, was ihm sogar eine kleine Rolle in Terry Gilliams »Jabberwocky« eintrug. Er gab diese alte Kunstform auf, nachdem sie genau wieder jenes ??Kunstpublikum?? anzog, das er nicht suchte.

Auf »Cut It!« lauscht man nun gespannt Miltons monoton-beschwörender Stimme, die meist mehr Rezitation als Gesang ist (wie vormoderne Dichter-Sänger), im Wechselspiel mit seinem simpel-trötenden Saxophon und unterlegt von der wuchtig-grummelnden Bass- Gitarre des in bewundernswerter Lakonie agierenden Steve Eagles und dem kompromisslosexakten Schlagzeug von David Aylward. »Cut It!« legt eine tranceartige, von Stimmeffekten, Echos, Loops aufgelöste Soundspur durch immer wieder albtraumhaft beschriebene Szenarien, in der die verstörende Monotonie zum wirkungsvollen Kunstprinzip erkoren wird. All das kommt in der klanglichen Differenziertheit des Studios noch stärker zur Geltung, ohne dass jedoch die viel gelobte schneidende Intensität der zum Bersten konzentrierten Soundbilder von Blurt verblassen würde. »Cut that cloud in two with a chainsaw, God!«

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Blurt: »Cut It!«
(The Orchestra Pit Reording)

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