Seine Berufsbezeichnung lautete Gitarrist und die Improvisationsszene in Europa wäre ohne ihn wohl ein gutes Stück ärmer und langweiliger. Jetzt legt der ohnehin rastlose Noël Akchoté nach und haut uns nicht nur sein Archiv um die Ohren, sondern schreibt auch an seinem ersten Buch.
Der Nomade
Nachdem er jahrelang seine Basislager in Wien und Paris aufgeschlagen hatte, verließ er vor zwei Jahren Wien und auch Paris ist mittlerweile mehr ein Lager für Bücher, Tonträger und Gitarren, als ein ständiger Aufenthaltsort. Seine Liebe zu Polen und den dortigen Nahrungsmitteln entdeckte er schon in seinen Wiener Zeiten, seine Liebe zu Krakau ist aber neu: »Ich lebe eigentlich nirgends richtig, aber Krakau, und besonders der alte jüdische Bezirk Kazimierz, ist ein Platz wo ich oft bin und für mich ist das Gefühl dort einmalig, so etwas habe ich noch nie in meinem Leben zuvor gespürt. Es ist ein Ort, wo die täglichen Verpflichtungen und Sorgen zu verschwinden scheinen und wo ich mich über allem fühle. Vielleicht ist meine Geschichte des ewigen Tourens und Reisens ja meine Diaspora und je älter ich werde (Anm.: Er ist 43), desto deutlicher ist es für mich, dass ich auch aus diesen Geschichten komme: Man wird irgendwo geboren, geht dann irgendwo hin, nur um dann wieder weiterzuziehen. Im August war ich eine Woche in diesem Hotel in der Szeroka Straße, im Herzen des jüdischen Bezirks und ich hab mich als Teil dieses Lebens empfunden. Leute, die wie ich leben, sind dort nicht nur willkommen, sondern werden gebraucht und haben einen Platz und das ist nicht oft der Fall.«
Die Feder
Wer mit Noël Akchoté redet, lernt schnell, dass er es mit einem Vielwisser und einem Denker zu tun hat, der zu jedem politischen oder kulturellen Thema durchdachte, pointierte und oft auch unangenehme Meinungen vertritt. Und egal mit wem er gerade diskutiert, er wird nie eine Position aus Höflichkeit oder Opportunismus aufgeben. Diese Eigenschaft hat ihm in manchen Szenen den Ruf des Sturkopfes eingebracht, und vielleicht schon die eine oder andere gute Verbindung und damit so manchen ständigen Festivaljob gekostet, aber Akchoté nimmt das sehr bewusst in Kauf, da das der Preis ist, seine Freiheit zu erhalten und zu schützen. Neben seinem Beruf als Musiker versorgt er nicht nur skug seit Jahren mit Artikeln über Leidenschaften, Zustände und Menschen die er herausragend (in alle Richtungen) findet. Momentan schreibt er an seinem ersten Buch und das Dossier daraus, die wir in skug #87 lesen durften, lässt viel erwarten. In seiner typischen Weise verweigert er Allgemeinplätze, Schonungen und will um jeden Preis zum Kern vordringen. »Es ist das Buch, das ich immer gesucht habe, aber in den letzen 30 Jahren nie gefunden habe, es erzählt einfach welche Gedanken man hat, wenn man das getan hat, was ich getan habe, aber ohne Anekdoten zu erzählen, und ich will da auch keinen Mythos schaffen. Es ist das Porträt eines Arbeitslebens mit der Gitarre, mit all den Fantasien und Fetischen. Und das Ziel und der einzige Grund warum ich mir so viel Zeit nehme, ist einfach der, dass ich ein Buch anbieten will, das jeder lesen kann und jeden so in meine Arbeit eintreten lassen will. Oder anders ausgedrückt, ich will es von der Szene in die Welt hinaus tragen.« Bei der Lektüre der ersten Seiten wird klar, dass er diesen Satz ernst meint. Er dringt tief in sein Schaffen und seine Gedanken ein und als ich beinahe vergeblich nach einem auch nur ansatzweise ähnlichen Buch suche, fallen mir einzig und allein die Erzählungen des Eremiten und Sologitarrenextremisten John Fahey ein, die Akchoté natürlich kennt: »1000 mal ja zu John, er ist der einzige, den ich gefunden habe. Es war immer ein großer Verlust für mich, dass Musiker nicht schreiben, nicht unbedingt Literatur, aber eine Art von Ausdruck ihrer Leben, ihrer Gedanken, ihrer Arbeit, Alle anderen tun es ja, Filmemacher, Journalisten, Sportler, Wissenschafter, Politiker, nur Musiker tun es kaum. Im klassischen Bereich haben es ein paar getan, aber es ist dann meist die Nacherzählung von Geschichten, die ohnehin bekannt sind, wie bei Dylan oder Patti Smith. Ihre Bücher sind sehr charmant, aber wir haben doch schon vorher vieles über Woody Guthrie und das Chelsea Hotel gelesen.« Die Frage nach dem Erscheinungstermin liegt nach so viel einleitenden Worten nahe: »Es ist noch nicht fertig, ich verbringe immer ein paar Wochen damit, dann lasse ich es rasten. Ich gebe mir einen großen Rahmen, es ist ein wirklich ernster Teil meines Lebens, und es braucht eben die Zeit, die es braucht. Das Buch wird mir den Moment schon verraten. Die Sache mit dem Verlag ist wirklich einfach, ich habe schon eine Vereinbarung mit einem großen französischen Verleger, aber ich lasse mir auch da Zeit, ich muss mir noch überlegen, ob ich es zuerst in Frankreich veröffentliche, wie normalerweise bei meinen Arbeiten, oder einen anderen Weg will.«
Produkte
Als langjähriger musikalischer Artist des Münchner Labels Winter & Winter hatte Akchoté so etwas wie eine künstlerische Heimat für seine eigenen Veröffentlichungen, aber auch für gemeinsame Projekte mit Künstlern wie Red, Marc Ribot Jean-Louis Costes und einer Unzahl mehr. Im Zuge der Reorganisation seines Lebens beendete er diese Zusammenarbeit, schaute auf sein Archiv und die Veröffentlichungen seines stillgelegten Labels Rectangle und machte sich unter seinem Motto »No More Monkey Business« an die Arbeit, sein Werk in Form von Downloads auf den einschlägigen Plattformen von Amazon bis iTunes zur Verfügung zu stellen. Und da ein Akchoté keine halben Sachen macht, sind nun 699 Stücke/Songs verfügbar. Herausragend dabei ist vieles, eine neue Seite zeigt der Improvisateur extraordinaire aber mit seinen Bearbeitungen/Vereinnahmungen der großen Jazz-Standards. Er ist mit ihnen aufgewachsen und entdeckt sie jetzt neu und ist schon fast besessen im Umgang mit ihnen. Aber auch das ist Noël Akchoté: Wenn er an eine Kreuzung kommt, an der er schon einmal war, wird er sicher einen neuen Weg nehmen. Was eigentlich ständig passiert – kein Gitarrist ist so vielseitig beschlagen wie Akchoté: Er variiert Barockmusik – etwa »Fuga« und »Passacalles #2« von Gaspar Sanz, covert Daft Punks »Around The World« oder oder interpretiert weitere Tanzmusikstile, ganz glorios etwa Disco: »You Make Me Feel (Mighty Real)« von Sylvester.
Noël Akchoté live:
Fabian Pollak und Noël Akchoté werden im Rahmen des Viennale-Filmarchiv-Austria-Schwerpunktes »Silent Masters« (21. 10. bis 2. 11.) Musik zu zwei Stummfilmen mit jüdischer Thematik spielen. Unter dem denkwürdigen Subtitel »Ausgegrenzt« wird im Programm 9 am 29.10. im Metro Kino u. a. »Der Fluch« aus dem frühen 20. Jahrhundert mit Klezmer-Sounds vertont werden.
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