Wer einen Dokumentarfilm über Musik macht – und dies nicht aus rein kommerziellen Gründen tut – geht das spezifische Thema üblicherweise aus der Haltung der Bewunderung an. Sei es als Fan einer Band, als VerehrerIn einer MusikerIn, sei es aus Faszination an einem Musikstil. Das jeweils Besondere, Reizvolle einzufangen und rüberzubringen ohne sezierende also sinnlich zerstörende Herangehensweise oder einen lehrerhaften, gängelnden Gestus einzunehmen, macht eine gelungene Doku zum großen Teil aus. Andrew Standen-Raz begegnet den AkteurInnen, die im Gegensatz zu ihm vor der Kamera positioniert sind, auf Augenhöhe, als artist amongst artists. Dabei erkundete der gebürtige Brite in seinem Debütfilm ein klar abgestecktes, aber sehr vielfältiges und »dicht besetztes« Gebiet, nämlich die Electronic Music-Szene Wiens.
Dynamisches Mosaik
Standen-Raz setzt seinen Dokumentarfilm aus puzzleartigen, nein, mosaikartigen Teilen zu einem dynamischen Muster zusammen, das der Komplexität dieser Szene durchaus entspricht und diese dennoch nachvollziehbar macht. Interviews in Schwarz-Weiß wechseln sich ab mit farbigen Bildern von Clubbings, Performances, Konzerten. Dazwischen ziehen Tramways und U-Bahnzüge z. T. visuell verfremdet ihre Bahnen über die Leinwand. Der Schnittrhythmus ist an die Musik angepasst und so ist der Film auch ein visueller Mix, aber kein beliebiger Musik-Clip.
Alte Stadt – neue Musik
Zu Wort und ins Bild kommen MusikerInnen aus verschiedenen Richtungen des von Andrew Standen-Raz weit gefassten Feldes der elektronischen Musik, die von Hardcore-Techno bis in Gefilde von Singer/Songwriting, Jazz, Experimental Music und Performance reichen. Es sind KünstlerInnen verschiedener Generationen von Austro Disco-Pionier Kurt Hauenstein alias Supermax, über die mittlerweile »altgedienten« Peter Kruder und Richard Dorfmeister bis zu Newcomern wie Dorian Concept. Gefilmt wurde an einer Vielzahl von Orten: fast unzählige Locations, Studios, Privatwohnungen, Kaffeehäuser u. a. In den Aussagen der InterviewpartnerInnen geht es um das Verständnis von (elektronischer) Musik, um das Verhältnis von Klang und Raum und auch um die (Teil-) Selbstsicht einer Stadt, die, zumindest von außen gesehen, oft rein konservierte Vergangenheit darstellt. Dass das (musik)historische Wien und das Neue nicht als Gegensätze gesehen werden, ist eine Erkenntnis, die Standen-Raz während der zweijährigen Drehzeit erfuhr. Zitat eines Gesprächspartners: »It does not feel strange to me to make modern music in an old city.«
»Vinyl – Tales from the Vienna Underground«: Üsterreich/Großbritannien 2011. Regie: A. C. Standen-Raz. Mit: Kruder & Dorfmeister, Patrick Pulsinger, Electro Indigo, Tanja Bednar, Maja Osojnik, Christian Fennesz, Dieb 13, Bernhard Fleischmann, Noid, Philipp Quehenberger, Fuckhead, Bulbul, Rokko Anal, Drahdiwaberl, Supermax u. a.