Lady Gaga, das war einmal gezielte Provokation, inszenierte Ûberschreitung und sehr bemüht irgendwie neu. Gerne auch mit diesem Quäntchen »Identitätspolitik«, wie heute die berechtigten Anliegen ausgestoßener Minderheiten und der Frauen falsch etikettiert und verniedlicht werden. Ob die Superstartrulla so wahnsinnig viel mit diesen Sorgen zu tun hatte, steht auf einem anderen Blatt, zumindest nahm sie es in den Mix ihrer Popäußerungen auf. Gestern Abend begann sie ihre Super Bowl Show mit einem beschwörenden Song, der flehentlich ihre tief ergebene Bewunderung für Amerika belegen sollte. Eine Art Ausweis der politischen Unbedenklichkeit. »God bless Americaaaaaaaaa …«
Dann schafft sie es, Woody Guthries »This Land Is Your Land« mit jenem patriotischen Schmalz einzuseifen, den Guthrie mit seiner Proletarierhymne gerade persiflieren wollte.
In den verschiedenen Versionen hören wir, was Lady Gaga zu singen vergaß:
»There was a big high wall there that tried to stop me
Sign was painted, it said private property
But on the back side it didnʼt say nothing […]
In the squares of the city, in the shadow of a steeple
By the relief office, Iʼd seen my people
As they stood there hungry, I stood there asking
Is this land made for you and me?«
Die Gaga endet Guthrie mit dem Sprüchlein »One Nation under God«, zeigt in den Himmel, in dem sich die Sterne mit einem Videotrick zum Star-Spangled Banner formieren, sagt noch kurz etwas von wegen »indivisible with liberty and justice for all« und springt vom Stadiondach. Irgendwie folgerichtig.
Hitmonster im Betäubungsmodus
Keine Angst, die Gute hängt an Stahlkabeln. Wie ein zappelnder Krabbelkäfer landet sie unbeschadet in der Arena. Eine beachtliche sportliche Leistung – zumindest das. Sie steht dann auf so einem glänzend polierten Mad-Max-Endzeitturm und beginnt ihre latent faschistische Massenhysterie-Routine. Nun, was soll die Arme auch machen? Funktionierende Hits hat sie kaum produziert. Lady Gaga kann nur groß und größer. Es gibt Madonna-Songs, die lassen sich mit der Pfadfinderklampfe am Lagerfeuer spielen und sie wirken noch ein bissel. Aber Lady Gaga müsste die ganze Sound-Machine mit in den Wald schleppen, damit die Nummern überhaupt erkannt werden. Okay, bleiben wir fair. Ohne Frage spielt Lady Gaga sehr gut Klavier und kann prächtig singen, aber ihre Kompositionen wirken immer ein wenig wie eine Aneinanderreihung von Effekten.
Folgerichtig fuchtelt sie während ihrer Superbowl-Show an den Stahlkabeln durch die Arena, was ihrem Tanz etwas bemüht Spektakuläres verleiht. Unverkennbar sollen die Beats mit dollen visuellen Effekten aufgepeppt werden. Ständiges Eingepeitsche mit strengem Blick. Die einzige menschliche Regung: Sie ist sich auch nicht ganz sicher, ob die Sache mit den Stahlkabeln wirklich funktioniert. Wer einmal auf dem Fünfmeterbrett im Schwimmbad stand, wird erahnen, was Lady Gaga an dem Abend über sich ergehen ließ, schließlich ist das Stadiondach gut fünfzig Meter hoch und die Ärmste wird wie ein Jo-Jo herumgewirbelt.
Irgendwie hatten die Black Eyed Peas den Vogel bereits abgeschossen, wenn es darum geht, die Superbowl-Arena mit Licht-Effekten und technischem Firlefanz auszufüllen. Bei deren Musik mit dem ständigen übergeschnappten Auto-Tune-Gesang passte es damals ziemlich gut. Die vier hatten sich halt in technoide Roboterwesen verwandelt und ein 15-minütiges Bumm-Päng-Knall produziert. Bei Lady Gaga wirken die dauernden Sternenspritzer-Attacken bald nervig. Sie will ja unter all dem Feuerwerk auch noch singen. Die Chose wabert dahin, kein Song länger als 55 Sekunden. Perfektes Getanze – eh klar. Irgendwie wartet man die ganze Zeit, dass endlich Beyoncé reinmarschiert.
Fühlen wir uns gut?
Lady Gaga krabbelt ein bisschen durch Neonkäfige, fragt mehrmals nach: »Do you feel alright« und macht noch den Ûberschmäh, indem sie immer wieder auf die Tastatur ihrer unzähligen, schnell hereingereichten Keyboards blickt – glaubt irgendwer, dass sie wirklich live spielt? Netter Versuch. Die begeistert aufwogende Menge singt fleißig mit, allerdings werden die Lyrics auch auf den Bannern eingeblendet, für die weniger Textsicheren. »Rah rah ah-ah-ah! Ro mah ro-mah-mah« Irgendwann umarmt Lady Gaga eine sichtlich gerührte, afroamerikanische Zuschauerin aus dem Publikum. »I want you to stay!« Okay, war das jetzt die große Geste? Weiß Gaga mehr, müssen die Farbigen denn jetzt auch alle raus? Irgendwie zieht sich die Sache in die rot-weiß-blaue Länge, aber am Ende haben wir zumindest gelernt, dass der liebe Gott ein Amerikaner ist. Aber das ahnten wir bereits.
Der Schlussgag ist, dass sie sich – mittlerweile in luftiger Footballplayermontur – einen Ball zuwerfen lässt und diesen dann fest umklammernd in die Tiefe springt, um endgültig zu verschwinden. Donald Trump war während der Halftime-Pause vielleicht am Häusl und fand die Show vermutlich einfach »great.« Dass Lady Gaga den Herrn – aus gutem Grund – nicht verknusen kann, das kam nicht so rüber. »Sad.«
Zur Erinnerung: Woody Guthrie