Wer welchen Oscar erhält, ist allein deswegen unerheblich, weil Preise dieser Art gekauft werden. Die gigantischen Produktionskosten und die ebenso gigantischen Einspielergebnisse erlauben keine Freiräume für die Urteilskraft von KritikerInnen. Die meinungsbildenden Zirkel werden in einer Weise bearbeitet, die bestenfalls kurios zu nennen ist. Der Witz sagt, etablierte FilmrezensentInnen brauchen in ihren Häusern keine Küchen, weil sie jeden Abend zwischen unzähligen Dinner-Einladungen wählen können. Ein Phänomen wie »La La Land« wird mit Millionensummen an Marketing erzeugt. Diese schützen zwar nicht notwendig vor Flops, sind aber für jeden Erfolg conditio sine qua non. Trotz aller Mache: Auch wenn Träume in einer Fabrik produziert werden, haben sie noch einen Bezug zum Unbewussten und ein solcher ist immer bemerkenswert. Wenn sich Hollywood nun so dermaßen ins Zeug legt, wieder einmal einen besten Film aller Zeiten (mit erstmalig 14 Oscar-Nominierungen) zu inszenieren, dann darf mit einem nüchternen Auge hingeschaut werden, was da an die glänzende Oberfläche drängt. Außerdem geht es ja um Jazz.
Die Ûbersetzung für Jazz
Zunächst muss erwähnt werden, Damien Chazelles Film »La La Land« ist ausgezeichnet. In jeder Dimension technisch nahezu vollendet. Jede einzelne Szene des Filmes kann als Beispiel inszenatorischer Perfektion dienen. Die Protagonistin Emma Stone wird von ihrem männlichen Widerpart Ryan Gosling nach einer Party zu ihrem Auto begleitet. Die beiden gehen gewundene Wege durch die Hollywood Hills, wo alles einfach nur schön ist. Die Villen und die Autoschlange inbegriffen. Sie hüpfen leichtfüßig vom Bordstein in die Rabatten und zurück. Jede Bewegung ist bereits tänzerisch, bis sie dann an einem jener herrlichen Aussichtspunkte zu tanzen und zu trällern beginnen, das Lichtermeer der Stadt ihnen zu Füßen. Alles ist wunderbar ausgewogen, zeitweilige Virtuosität durch schnoddrige Schlichtheit kontrastiert. Schließlich sind die beiden Stars des Films keine ausgewiesenen SängerInnen und TänzerInnen. Aus diesem scheinbaren Handicap schlägt das Musical genüsslich Funken, indem der oberflächliche Schein hier seine Authentizität vorgaukeln kann.
Der Film gibt als Quelle allen Wohlgefallens den Jazz an und liegt damit natürlich vollkommen richtig. Unter afroamerikanischen Musikern gibt es eine unstillbare Lust, Dinge zu sagen, die nur gut klingen, aber keinen lexikalischen Sinn haben. Bei Jazz ist das aber nicht so. Jazz heißt etwas und zwar »Ficken«. An dieser Stelle dürfen sich alle genüsslich an ihren biedere Pullover tragenden Geographielehrer erinnern, der so gerne betonte, Jazz-Liebhaber zu sein. Ja eh. Die farbigen Musiker der ersten Generation hatten eine diebische Freude daran, dass die prüden Weißen den Begriff so bereitwillig übernahmen. Ausgerüstet mit diesem Wissen offenbaren die trockenen Dialoge des Films über Jazz ihren eigentlichen Sinn. Das schüchterne Mädchen Stone sagt, sie mag keinen Jazz, aber eigentlich nur, weil sie ihn nicht kennt. Oh, die Arme. Aber der hübsche Bube Gosling redet es ihr enthusiasmiert ein: Es ist doch eine Form der Kommunikation, auch wenn die Menschen verschiedene Sprachen sprechen, können sie sich über Jazz verständigen. Stimmt, ab in die Hapfn!
Die Tränen des Krokodils
Die Sache mit dem Sex ist wichtig zu bemerken, denn der Film ist konsequent stofflich. Er ist nur angeblich eine Romanze, denn in diesem Film geht es keine Sekunde lang um Liebe. Hollywood macht sich frei von dieser Art sentimentalem Kitsch. Freimütig wird bekannt: Es gibt nur mehr die Abwägung zwischen Lustgewinn und Kapitalvermehrung. Der »Traum«, den die beiden hübschen Arschgesichter träumen, ist ein materiell bezifferbarer. Er will einen – natürlich erfolgreichen – Jazzclub, sie will ein Filmstar werden. Am Ende heißt es mission accomplished. Da sie die Karriere im Ausland befördern und er sein Vermögen mittels Touring durch die USA einspielen muss, können sie dies nicht gemeinsam erreichen. Der Film erspart sich hier alle genaueren Erklärungen und stellt mit der Seelentiefe eines Hermann Maiers fest: »Najo, es hot holt nimma passt.« Nuff said. Kurzes Tränerl verdrückt und weiter geht’s. Das ist die Lehre dieses Films und diese wird dem Publikum als die aktuell gültige Herzensbildung vermittelt. Wer »erwachsen« zu werden gedenkt, der mache sich dieses bitte bewusst. Alles was die beiden füreinander tun können, ist ein gewisser, zeitweiliger Lustgewinn (Jazz halt) und sich wechselseitig auf den Pfad der Tugend drängen, indem die jeweils nächsten Karriereschritte angepeilt werden. Dabei müssen Ûberzeugungen, Grundannahmen, die der Film als Träume apostrophiert, eben über Bord geworfen werden. Dies zeigt uns »La La Land« in aller Deutlichkeit. Wohlgemerkt ohne dies ernsthaft zu problematisieren, da die tragischen Anflüge streng oberflächlich bleiben.
Den meisterlichen Machern des Films ist dies vollends bewusst. Sie präsentieren es uns eindrucksvoll in jener Szene, in der Emma Stone zu Tränen gerührt Todtrauriges von sich gibt. Beim Aufblenden der Kamera zeigt sich, sie ist bei einem Casting. Die Tränen sind Ausdruck ihrer Schauspielkunst. Mehr nicht. Es gibt keinen Traum zu träumen, der mehr wäre als die glückliche Einfügung in die bestehenden Verhältnisse. Erfolg, Ansehen, Reichtum unterliegt gewissen letztlich wirtschaftlichen Gesetzen und an die gilt es sich zu halten.
(Mehr zu den Regeln des kapitalistischen Spiels gibt es im März auf skug.at, denn dann starten wir unsere Marx-Wochen.)