Wenn der Himmel zufriert …
Laurie Andersons Worte und Sätze erscheinen wie leuchtende Orientierungslichter im Nebel des uns umgebenden Nichtssagenden, der uns die Sicht aufs Wesentliche nehmenden Beliebigkeiten und Reizüberflutungen. Laurie Andersons Worte und Sätze scheinen kristallklar, ruhig und langsam zu fließen wie Quellwasser, das heiter und neugierig zum ersten Mal an die Oberfläche tritt. Laurie Andersons Worte treiben wie leuchtende, richtungsweisende Bojen auf dem unendlich tiefen Meer der Bedeutungslosigkeit, das uns im strengen Rhythmus des Alltagstrottes umspült und versucht, unsere innersten Wünsche, unsere Träume und unsere Intuitionen auszulöschen, Strandspuren gleich, die von diesen stetigen Wellen weggespült werden. Laurie Andersons Worte und Sätze kühlen und beleben wie die ionisierte Luft in der Nähe von Springbrunnen, wie die Gischt in den Grenzbereichen von Land und Wasser. Laurie Anderson scheint nicht wie ein Durchschnittsmensch im Laufe seines Lebens an Wassergehalt zu verlieren, sie scheint im Gegenteil ihre Entität komplett mit Wasser in allen Aggregatzuständen auszufüllen. Doch kehren wir zurück an die Stelle ihres Lebens, als sie wie andere Säuglinge noch zu 75 Prozent aus Wasser bestand.
Ertrinken in Geschichten …
Die Halbschwedin Laura Phillips Anderson wurde 1947 in Glen Ellyn, Illinois, einer Kleinstadt in der Nähe von Chicago, geboren. Als eines von acht Kindern musste sie früh lernen, auf sich aufmerksam zu machen, sich Gehör zu verschaffen. Eine ihrer Schwestern konnte nachts nicht einschlafen, und so erfand und erzählte ihr Laurie, wie sie retrospektiv beurteilt, »ziemlich epische und verrückte Geschichten einer gewissen Judy Marie«. Noch heute hat man beim aufmerksamen Lauschen ihrer unzähligen Geschichten das Gefühl, dass sie vor allem dazu dienen, einen sanft und fürsorglich in einen erholsamen Schlaf zu geleiten. Zwei Kindheitserinnerungen scheinen prägend gewesen zu sein. Einmal rettet sie zwei jüngere Brüder, als sie bei einem gemeinsamen Spaziergang über einen zugefrorenen See mit dem Kinderwagen ins Eis einbrechen. Sie muss tief ins eiskalte Wasser abtauchen, um die beiden zu bergen. Als das verängstigte Mädchen ihrer Mutter diesen Vorfall schildert, findet diese trostspendende Worte: »Was für eine großartige Schwimmerin, was für eine gute Taucherin du doch bist!« Dieses Gefühl des Abtauchens in dunkles und kaltes Nichts scheint sie später in ihre eisig-schöne, sphärische Geigenmusik zu transformieren. Ein andermal überlebt sie als junge Teenagerin nur knapp eine Mutprobe. Bei einem Salto von einem Sprungbrett verfehlt sie den Pool und verletzt sich schwer am Rücken. In der Krankenstation, gemeinsam mit Kindern mit schwersten Verbrennungen, ist sie dem Schreien von Sterbenden ausgesetzt und die Ärzte diagnostizieren ihr außerdem, dass sie vermutlich nicht mehr gehen können werde. Doch sie glaubte den Ärzten nicht und lernte einfach wieder zu gehen.
Gefiltertes Fließen …
Ihr unbändiger Lebenswille und ihre Neugier bleiben treue Begleiter in ihrem Leben. Sie erfüllt sich ihren Kindheitswunsch, Künstlerin zu werden – »meine Eltern haben mich auch nie gefragt, was ich einmal werden möchte, und so konnte ich tun, was ich wollte« – und beginnt ihre künstlerische Laufbahn als Malerin und Bildhauerin. Bekannt wird sie unter anderem für ihre selbstgebauten Musikinstrumente, wie den sogenannten Viophonographen, eine Violine, auf deren Bauch eine 7-Inch-Single montiert ist, die mit einem elektronisch verstärkten Violinbogen bespielt werden kann. Ende der 1970er-Jahre war sie bereits eine prägende Figur der New Yorker Avantgarde-Szene und erfand für eine Veranstaltung zu Ehren William S. Burroughs, bei der sie als MC durch den Abend führte, eine männliche Identität. Ihr neues Alter Ego, ihr »Audio Drag«, besitzt eine tiefe, unheimliche Männerstimme. Sie verfremdet ihre zarte Frauenstimme mit elektronischen Filtern zu einer blechernen, monströsen Brummstimme. Laurie Anderson nennt diese neu gefundene Stimme »The Voice of Authority«. Ihre Produzentin Roma Baran, die sie seit ihrem Debütalbum »Big Science« begleitet, nennt die Stimme ironisch »Mister Difficult Music«, ihr Ehemann Lou Reed, der sie bei der Produktion ihres bislang letzten Studioalbums »Homeland« unterstützte, wird diese Figur später kryptisch als »Fenway Bergamot« bezeichnen.
Künstlerische Aggregatzustände …
Nach einem Projekt mit Nam June Paik etablierte sich Laurie Anderson in den 1980er-Jahren als gefragte Multimedia-Künstlerin. In dieser Zeit startet sie auch die iterative Performance-Serie »The Language of the Future«. Ein Zitat aus der ersten Performance lautet dabei: »Strom fließt durch Körper und dann wieder nicht.« Es prospektiert die Logik einer digitalen Zeit bereits in den frühen 1980er-Jahren, als digitale Technologien noch futuristisch erschienen. In den Solo-Stücken ihrer fortwährenden »The Language of the Future«-Performances verbinden sich gesprochenes Wort, Elektronik und Violine auf die ihr eigene, kontemplative Art und Weise. Am 24. September wird dieser »eternal monolog« nun im Rahmen des Klangspuren Festivals 2017 fortgesetzt. Laurie Anderson nimmt ihre Rolle als soziopolitische Kommentatorin, als »Narratorin des sozialen Bewusstseins« sehr ernst und reflektiert über ihre Auftritte folgendermaßen: »Beinahe jede Show starte ich mit einer Beschreibung, wo ich mich befinde. Einer Ortsangabe. Ich habe mich immer als Nomadin gefühlt. Ich bewege mich kontinuierlich zwischen verschiedenen Szenen – der Kunstwelt, der Musikszene, dem Feld des politischen Aktivismus, dem Reich der Bücher und Ideen. Ich versuche, in Bewegung zu bleiben.«
Flüchtige Erkundungen …
Wie eine Art Kondensat ihres Schaffens kann man ihren essayistischen Dokumentarfilm »Heart of a Dog« sehen. Sie reflektiert und philosophiert über schwere Verluste in ihrem Leben. Ihren erblindeten Hund Lolabelle, um den sie sich wie ein eigenes Kind kümmerte. Den Verlust ihres Ehemannes Lou Reed, der im Abspann in Form eines todtraurigen Songs den Film posthum zu kommentieren und komplettieren scheint. Den Tod ihrer Mutter, die beim Sterben Tiere auf der Zimmerdecke halluzinierte. Den frühen Tod des Künstlerkollegen Gordon Matta-Clark Ende der 1970er-Jahre. Die Beschäftigung mit dem Buddhismus ist in diesen filmischen Anekdoten und im kontemplativen, verschwommenen Rhythmus der Bilder wahrnehmbar. Ihr buddhistischer Lehrer ist der Tibetaner Yongey Mingyur Rinpoche, den Neurowissenschaftler der University Of Wisconsin untersuchen und dessen Hirnströme sie unter Einfluss extrem stressiger Klänge messen: Er scheint nachweislich einer der glücklichsten Menschen zu sein – sein Glücksempfinden wird durch Klänge definiert. Laurie Anderson – Sound Designerin ihrer (noch) fiktiven »Snow Religion« über den Einfluss seiner spirituellen Lehrtradition auf ihr Leben: »Der Buddhismus hat ganz wenige Regeln, deshalb mag ich ihn so. Man glaubt eigentlich an nichts außer an die eigene Freiheit. Man hat Verantwortung für das, was man tut. Das entspricht mir sehr. Die Psychoanalyse hat mich nie angezogen. Weil ich weiß, man kann Realität immer umschiffen, indem man einfach noch eine Geschichte erzählt.«
Erstveröffentlichung in »spuren – musikzeitung für gegenwart«, 2017
Klangspuren Schwaz: Late Nite Lounge feat. Laurie Anderson et al.
Freitag, 22. September 2017, 22:00 Uhr, Treibhaus, Turm, Innsbruck
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Klangspuren Schwaz: Laurie Anderson – The Language of the Future
Sonntag, 24. September 2017, 20:00 Uhr, Silbersaal im SZentrum, Schwaz
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