Wie würde sich die Premiere zu einem Film anfühlen, der nie entstanden ist? Vielleicht wie die Premiere von »B wie Bartleby« am 21. Oktober im Stadtkino. Also es gibt schon einen Film, nur nicht den, den ich erwartet habe. Dafür kann der Film aber nichts. Das liegt an meiner Erwartungshaltung. Ich erwarte eine Verfilmung von Herman Melvilles »Bartleby« und das ist dieser Film nicht.
Die Hauptrolle in Summereders Film hat das »Nein«
Dass ich hier im falschen Film bin, stellt sich eigentlich schon im Vorgespräch heraus. Die Moderatorin kündigt eine Weltpremiere an. Regisseurin Angela Summereder wirft ein, der Film sei gerade im internationalen Wettbewerb der Doc Lisboa gelaufen, einem Dokumentarfilmfestival. Eine Person, die mit der Erwartungshaltung an eine »Bartleby«-Verfilmung hier im Kinosaal sitzt, sollte spätestens jetzt überlegen, ob sie für das Folgende bereit ist. Ich bin es jedenfalls nicht. Bei der Viennale im Stadtkino sitzend, warte ich noch immer auf eine Melville-Adaption. Und dann beginnt der Film. Auf grobkörnigem 16-mm-Digitalisat flackert ein Besuch im Herman Melville House in Massachusetts im 4:3-Format über die Leinwand. Das Wohnhaus des Schriftstellers ist heute ein Museum. Ticketing, Gruppenführungen, eine Museumsangestellte, die ihre Stimme für ein Reenactment der Ehefrau des Schriftstellers, Elizabeth Melville, aufwärmt. Eine Besucher*innenhand nach der anderen greift auf das stille Leben eines Knaufs in Herman Melvilles Treppenhaus. Lehrbuchhafte Filmmontage, irgendwie melancholisch. Ich erwarte einen »Bartleby«-Film und die Regisseurin sagt in Arthouse-Codes: »I would prefer not to.«

Wird das jetzt zu einem Abend der Verneinungen? Die Geste passt jedenfalls zu Melvilles »Bartleby, the Scrivener: A Story of Wall Street«. Der Plot der Erzählung von 1853 ist, dass der Schreiber Bartleby erst seine Arbeit in der Kanzlei des Ich-Erzählers und später jede an ihn gestellte Aufforderung und Frage mit dem Satz »I would prefer not to« zurückweist. Die Figur bekommt eine unheimliche, weil unverständliche und zugleich unvermeidliche Präsenz. Summereder hat keinen Film aus der Erzählung gemacht, sondern verschiedene »Bartleby«-Lesarten in einer Montage zusammengeschnitten. Eine Leseart, nämlich diejenige von Benedikt Zulauf, dem verstorbenen Lebenspartner der Regisseurin, steht dabei im Mittelpunkt. Aus dem Off spielende Tonaufnahmen von Gesprächen zwischen Summereder und Zulauf über Zulaufs Interpretation der Erzählung und die Möglichkeit einer Verfilmung bilden den roten Faden von »B wie Bartleby«. Für Zulauf ist die Verneinung Bartlebys eine doppelte: Wenn Bartleby »Nein« sagt, verneint er die Verneinung des White-Collar-Worker-Lebens in der Kanzlei des 19. Jahrhunderts. Bartlebys »I would prefer not to« ist eigentlich ein »Ich möchte nicht nicht leben« oder ein »nicht euer Leben«.
Der Filmessay als Antwort auf das gescheiterte Filmprojekt
Neben der Stimme Zulaufs im Gespräch mit Summereder werden Schüler*innen gefilmt, ebenso wie Bewohner*innen der Dauerherberge für Obdachlose »Vinzidorf« in Wien, Kinder in einer Jugendbetreuung und drei Rezitatorinnen. Die unterschiedlichen Darsteller*innen lesen aus der Erzählung vor und werden, bis auf die Rezitatorinnen, zu der Erzählung und Bartlebys Verneinung befragt. So lesen zwei Anwohner des Vinzidorfs eine Stelle vor, in der der Rechtsanwalt verzweifelt versucht, Bartleby mit Geld aus seiner Kanzlei zu befördern. Dass Obdachlose am ehesten etwas zu der Erfahrung, rausgeschmissen zu werden, sagen können, ist irgendwie naheliegend. Es verschränkt aber auch den Blick auf die Menschen, die da vor der Kamera sitzen, vorlesen und über »Bartleby« reden. Am Ende kommen keine Individuen, sondern Stellvertreter*innen vorkategorisierter Gruppen zu Wort, die unterschiedliche Aspekte der an ihnen vollzogenen Personalisierung repräsentieren.

Die Schwäche, Menschen in ihrer Individualität greifbar zu machen, hat der Film auch mit dem Text: Melville hat die Figuren in seiner Erzählung sehr spezifisch aus der Perspektive eines Ich-Erzählers ge- und beschrieben. Wäre dem Autor dieser darstellende Aspekt des erzählerischen Gestus für den Stoff nicht angemessen erschienen, hätte er keine Erzählung, sondern einen Essay geschrieben. Summereder ist das bewusst. Sie fordert Zulauf in einer der eingespielten Tonaufnahmen dazu auf, ihr kein abstraktes Deutungsmuster, keinen Überbau an Interpretationen zu geben. Als Filmemacherin möchte sie von ihm Beschreibungen, Figuren und Räume, so wie sie ihm in »Bartleby« erscheinen. Zulauf scheitert daran. Er will das Drehbuch zu einem Film schreiben, einmal fällt sogar das Wort »Spielfilm«, kommt aber nicht über sein Interpretieren hinaus. Aus Interpretationen kann er aber, wie er sich selbst eingesteht, keinen Film machen. Auf seine Ratlosigkeit hin fragt Summereder ihn zurecht: »Und warum schiebst du’s dann mir in die Schuhe?«
Ein persönlicher Film über den Tod und das Lesen von Literatur
Das Ganze ist tragisch. Benedikt Zulauf bleibt Zeit seines Lebens auf der Suche nach einer filmischen Form für »Bartleby«. Angela Summereder schließt sich mit ihrem Film dieser Suche an und holt in »B wie Bartleby« keine Figuren, sondern Deutungen vor die Kamera. Sie sammelt, montiert und begibt sich auf die Suche nach einer Form für »Bartleby«, die letzten Endes unabgeschlossen bleibt. Die Verfilmung macht aus der Erzählung ganz konventionell einen Essay über die Suche nach einer angemessenen Form. Einen Text zu deuten, setzt Textkenntnis voraus. Trotz der vorgelesenen Passagen in »B wie Bartleby« führt das dazu, dass sich Menschen, die Melvilles »Bartleby« nicht gelesen haben, kaum auskennen. Insgesamt ist der gezeigte Film voraussetzungsreich. Zu Beginn werden immer wieder Sequenzen aus Jean-Marie Straubs und Danièle Huillets »Geschichtsunterricht« (1972) gezeigt. Da ich weder den Film noch Benedikt Zulauf selbst kenne und auch nicht weiß, dass Zulauf eine Rolle in dem Film hatte, bleiben mir die Sequenzen im Kino rätselhaft. Welche Funktion haben diese 1970er-Jahre Filmästhetik, das knallig Bunte, die gut frisierten schwarzen Haare von – wie sich später herausstellt – Zulauf? Ich denke kurz an den Film »Reifeprüfung« (1967) und bekomme das nicht so richtig mit einer »Bartleby«-Verfilmung zusammen.
Als der Film aus ist, habe ich keine doppelte Verneinung, kein »Nein zum Nein zum Leben« gesehen, das dann eigentlich ein »Ja« sein müsste, sondern einen Film über den Tod. Ganz konkret über den Tod von Benedikt Zulauf, der Bibliothekar im Filmmuseum Wien war und über Jahre an einer »Bartleby«-Verfilmung gearbeitet hat, ohne sie je abzuschließen. Ich möchte keinen Verriss schreiben. Ich sehe zwar keinen »Bartleby«-Film, aber etwas, das irgendwie berührend und sehr persönlich ist. Einen Film über das Sterben einer geliebten Person und alles, was mit diesem Ende zurückbleibt. Und außerdem sehe ich einen Film, der mich neu über Melvilles Erzählung nachdenken lässt. Melvilles »Bartleby« wird von einer Erzählung, die ich eigentlich mag und die ich mit diesem widerständigen »Nein« Bartlebys irgendwie auch witzig finde, zu einer Erzählung, die ich eigentlich nicht mag, weil ihr Protagonist, ähnlich wie Zulauf, ständig sagt, was er nicht will, aber zu keinem Zeitpunkt, was er eigentlich will. Wenn sich »B wie Bartleby« an der Frage abarbeitet, wie Literatur im Medium Film stattfinden kann und wie Menschen über diesen Medienwechsel zu einem neuen Nachdenken über Literatur gebracht werden können, dann hat er eigentlich sein Ziel erreicht und alles richtig gemacht.











